Uhren aus Deutschland: Wohin die Reise des Traditionsunternehmens Junghans jetzt geht


Es ist ein ungewöhnliches Interview. An einem kleinen Privatflugplatz in der Nähe von Schramberg, irgendwo im Nirgendwo des Schwarzwalds, treffen wir Hannes Steim, den geschäftsführenden Gesellschafter von Junghans. Als im Jahr 2008 der ehemals größte Uhrenhersteller der Welt, damals im Besitz von Egana Goldpfeil, in die Insolvenz geriet, übernahm die Unternehmerfamilie Steim aus Schramberg das Traditionsunternehmen. Danach wurde Junghans viele Jahre von Geschäftsführer Matthias Stotz geleitet. Im Juni 2022 ist Hannes Steim in die operative Geschäftsführung mit eingestiegen und hat nach dem Ausscheiden von Matthias Stotz im September 2023 das Steuer des Traditionsunternehmens komplett übernommen. Der ambitionierte Hobbypilot hat uns zu einem Besichtigungsflug eingeladen, um uns seine Heimatstadt Schramberg und sein Unternehmen Junghans aus einer anderen Perspektive zu zeigen. Während des Fluges erklärt er uns, wie er auch das Unternehmen Junghans ganz nach oben bringen will. Wir helfen ihm, das Flugzeug aus dem Hangar zu schieben, und steigen ein. Nach einem kurzen Check-up rollen wir auf die Landebahn vor, es geht los – mit dem Interview und unserem Rundflug über Schramberg.
Herr Steim, entschuldigen Sie die plakative Frage, aber was lenkt sich leichter: ein Flugzeug oder ein Unternehmen?
Bei einem Flugzeug müssen nur genau drei Dinge mitspielen: das Wetter, das Flugzeug und Sie selbst. Das meiste davon haben Sie wortwörtlich selbst in der Hand und können das direkt steuern. (Während er das sagt, greift er zum Steuerknüppel und lässt das Flugzeug in eine Steilkurve nach links absinken.) Wie Sie sehen, reagiert das Flugzeug sehr schnell auf meine Signale. Ich muss dazu nur das Steuer ein bisschen nach links oder rechts bewegen, und in der gleichen Sekunde fliegen wir in eine andere Richtung. Bei einem Unternehmen dagegen gibt es sehr viele Menschen, viele Individuen, die Sie zusammenbringen müssen. Die alle unterschiedliche Tagesformen haben, mal besser, mal schlechter, ganz zu schweigen von den tausend anderen Variablen, die einen Einfluss darauf haben, ob am Ende des Tages das Ergebnis stimmt. Bei einem Flugzeug aus dem Sinkflug zu kommen, ist viel einfacher, als bei einem Unternehmen eine Kurskorrektur vorzunehmen.
Sie sind neben der Fliegerei auch Hobbyrennfahrer. Was bringt mehr Adrenalin: Flugzeug oder Rennwagen?
Beim Fliegen habe ich wahrscheinlich mehr Adrenalin im Körper als auf der Rennstrecke. Denn die Sache ist die: Wenn man erst einmal in der Luft ist, muss man die Sache auch zu Ende bringen. Beim Auto kann man theoretisch bei einer Panne rechts ranfahren und den Wagen ausrollen lassen. Das geht beim Flugzeug nicht ganz so leicht, man muss im Zweifel schnell reagieren und irgendwie die Maschine sicher runterbringen. Deswegen bin ich beim Fliegen viel fokussierter, man muss ständig wissen, was um einen herum gerade passiert.
Für den Chef eines Uhrenherstellers haben Sie sehr ungewöhnliche Hobbys. Wie kam es dazu?
Mit Autos bin ich familienbedingt groß geworden, das mit der Fliegerei hat sich so ergeben. Mich faszinieren vor allem die Motoren und die Mechanik. Das Gleiche gilt für Uhren, auch wenn die Skalierung natürlich eine völlig andere ist. Ein mechanisches Werk mit seinen extrem kleinen Toleranzen, das ist ein ganz besonderes Zusammenspiel von Technik und Präzision.
Sie haben vor circa anderthalb Jahren selbst das Steuer von Junghans übernommen. Warum haben Sie nicht wieder einen Manager für diese Position eingesetzt?
Es ist schon ein großer Unterschied, ob Sie lediglich Eigentümer eines Unternehmens sind oder ob Sie sich selbst einbringen, die Entwicklung, das Design, die Produktion mit gestalten. Das ist ein bisschen wie bei einem schönen Automobil. Es gibt wenige Leute, die ein Auto besitzen und es dann nur von anderen bewegen lassen. Der Reiz liegt darin, es selbst zu fahren. Und es macht natürlich auch Spaß, nicht nur Eigentümer, sondern Chef einer Firma zu sein, selbst mit anzupacken und Verantwortung zu übernehmen.
Wo liegt der entscheidende Unterschied zwischen einer Konzernmarke und einer vom Inhaber geführten?
Bei einem kleinen Unternehmen kann man die Schrauben etwas schneller drehen als bei einem multinationalen Konzern. Und wenn etwas nicht stimmt, wischt man nicht nur die Krümel auf der Oberfläche weg, sondern sieht auch unter dem Teppich nach. Das ist in einem großen Konzern anders. Eine Marke innerhalb einer Konzernstruktur ist an bestimmte Vorgaben gebunden und kann oft nicht so schnell auf externe Veränderungen reagieren. Da sind wir deutlich flexibler, können direkter und schneller auf Kundenwünsche eingehen. Als Eigentümer denke ich außerdem viel langfristiger und strategischer als ein Manager, der sich nur für Quartalszahlen interessiert und nach ein paar Jahren in der Regel zu einem anderen Unternehmen weiterzieht.
Ein Alleinstellungsmerkmal von Junghans unter europäischen Uhrenherstellern ist nach wie vor die Funkuhr. Bleibt es dabei?
Ja, wir werden auch in Zukunft auf Funkuhren setzen. Diese sind besonders in Deutschland und in Japan stark nachgefragt. Aber ein Großteil unserer Produktion sind inzwischen mechanische Werke, wobei wir meistens Sellita-Werke aus der Schweiz verwenden. Heute liegt unser Anteil an mechanischen Uhren bei circa 70 Prozent.
Wenn die Werke von Sellita kommen, was produziert Junghans dann selbst?
Wir kaufen natürlich auch andere Komponenten zu, wir sind ja keine Manufaktur in dem Sinne. Das ist aber Standard, das machen viele andere Hersteller auch. Unsere Funkwerke entwickeln und montieren wir hier in Schramberg selbst und gestalten auch das Design in eigener Regie. Auch die Teilekonstruktion und die komplette Uhrenmontage finden hier am Standort statt. Und wir haben 2023 außerdem einen Zifferblatthersteller übernommen, der für uns, aber auch für andere Marken produziert.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, eigene Werke zu produzieren?
Ein eigenes Werk zu entwickeln, kostet leider sehr, sehr viel Geld. Ich würde aus dem Bauch heraus schätzen mindestens 10 bis 15 Millionen Euro. Das würde unsere Uhren extrem teuer machen, und ich bin mir nicht sicher, ob unsere Kunden einen derartigen Preissprung mitmachen würden.
Viele verbinden Junghans vor allem mit den „Max Bill“-Uhren und dem Thema Bauhaus. Ist das eher ein Segen oder ein Fluch?
Weder noch. Aber Junghans ist natürlich deutlich mehr als nur „Max Bill“. Unsere „Meister“-Linie geht auf das Jahr 1936 zurück, „Max Bill“ dagegen kam erst in den 1960er-Jahren dazu, aber nur für eine kurze Zeit. Richtig groß wurde das Thema erst in den 1990er-Jahren, weil wir selbst diese Modellreihe stark in den Fokus unserer Werbemaßnahmen gestellt haben. Junghans hat eine lange Historie, es gab bereits Pilotenuhren, Taucheruhren, Sportuhren oder auch reine Dress Watches. Und ich sehe es als meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir hier wieder etwas breiter aufgestellt sind.
Liegt Ihnen als Hobbypilot die Fliegeruhr besonders am Herzen?
Ja, das könnte durchaus sein. Die Pilotenuhr liegt bestimmt etwas stärker in meinem Fokus als andere Modelle. Diese Uhren sind etwas größer und wuchtiger als andere Uhren, das gefällt mir ganz gut (er zeigt auf die Armaturen vor sich im Flugzeug und hält vergleichend seine Armbanduhr am Handgelenk davor). Sehen Sie, das ist eine Junghans „Pilot Chronoscope“, das Design der Uhr, insbesondere die geriffelte Lünette, ist inspiriert von den Instrumenten und Armaturen eines Flugzeugs.
Wie groß ist der tatsächliche Anteil an Piloten, die eine Pilotenuhr kaufen?
Ich denke, die wenigstens Käufer einer Pilotenuhr sind wirklich Piloten. Das sehen Sie, wenn Sie die Stückzahlen der Uhren, die in diesem Segment gefertigt werden, vergleichen mit der Anzahl von Menschen, die einen Flugschein haben.
Wie wichtig ist eine gut funktionierende Armbanduhr beim Fliegen?
Wenn ich heute beim Flugzeug navigiere, habe ich natürlich ganz andere Möglichkeiten. Es ist definitiv nicht mehr wie früher, als die Armbanduhr eines Piloten noch als dessen Lebensversicherung galt.
Was sollte eine Pilotenuhr aber auf jeden Fall können?
Prinzipiell gibt es zwei Funktionen beim Fliegen. Man braucht eine einseitig drehbare Lünette, ähnlich wie bei einer Taucheruhr, damit man im Blick hat, wie weit man mit einer Tankfüllung kommt. Und falls mal die Spritanzeige ausfällt, kann man dadurch nachvollziehen, wann man spätestens wieder landen sollte. Das andere ist die Stoppfunktion, damit checkt man, wie lange man welchen Kurs fliegen muss, bevor man dann einen neuen Kurs setzt, um am Ende ans Ziel zu kommen.
Als Münchner mag ich besonders die Uhren, die Sie zum Gedenken an die Olympischen Spiele 1972 herausgebracht haben.
Stimmt, das sind die 1972-Modelle. Junghans war damals offizieller Zeitnehmer der Spiele in München. Ganz besonders spannend ist das Modell „Competition“. Die Drücker sind oben um die Krone angeordnet in Anlehnung an den Look einer klassischen Handstoppuhr beim Sport. Wir haben 2022 zum 50-jährigen Jubiläum der Sportzeitmessung in München das Modell wieder in den Originalfarben Schwarz-Orange aufgelegt. Darauf folgten weitere limitierte Sondermodelle wie 2023 ein Modell in Lemongelb und 2024 in auffälligem Pink. Die Farbe war ein echtes Highlight und hat die Blicke auf sich gezogen, aber natürlich auch stark polarisiert.
Kann man als Mann eine pinke Uhr tragen?
Es kommt darauf an, wie viel Mut zur Farbe Sie haben. Aber wenn Sie überlegen, wie viele Männer heute ein rosa Hemd tragen, warum also nicht auch eine pinke Uhr? Das ist auf jeden Fall ein Statement. Genauso wie viele Männer sich heute bunte Socken erlauben. (Die Stadt Schramberg liegt direkt unter uns, stolz zeigt mir Hannes Steim den Firmensitz von Junghans inklusive dem berühmten Terrassenbau. Aber auch das Gut Berneck, gebaut, als Junghans der größte Uhrenhersteller der Welt war, ist von hier oben zu sehen.)
Das Gut Berneck dort unten haben Sie gerade komplett restauriert, war das einfach nur Philanthropie oder Markenstrategie?
Das Gut Berneck ist so etwas wie ein Aushängeschild der Marke Junghans. Das Anwesen wurde im Jahr 1910/11 gebaut und gilt als eines der außergewöhnlichsten Bauwerke seiner Zeit. Heute würden wir so etwas nicht mehr bauen. Aber die Jugendstilvilla prägt seitdem das Stadtbild von Schramberg, insofern fanden wir es schade, dass sie schon seit vielen Jahren leer stand. Wir haben sie jetzt restauriert und nutzen sie für verschiedene Konzerte und Firmenevents. Wir haben dort zum Beispiel auch schon unsere Weihnachtsfeier mit allen Mitarbeitern gefeiert.
“Als Eigentümer denke ich viel langfristiger und strategischer als ein Manager
Wie viele Mitarbeiter hat Junghans?
Wir haben heute 110 Mitarbeiter und produzieren knapp unter 40.000 Uhren im Jahr. Diese Zahl war allerdings vor Corona deutlich höher, und da wollen wir natürlich auch wieder hin. Viele dieser Uhren gehen in den deutschsprachigen Markt, wobei wir mittlerweile auch stark in den USA vertreten sind. Da zieht das Label „made in Germany“.
Ist es bei Uhren nicht besser, ein „made in Switzerland“ auf dem Gehäuse stehen zu haben?
Die Schweizer Uhrenindustrie hat sicherlich einen sehr großen Marketingvorteil, das stimmt. Wenn man heute von Uhrmacherei spricht, denken die meisten sofort an die Schweiz. Wenn man dagegen von Deutschland spricht, kommt schnell der Standort Glashütte. Wobei sich die Unternehmen dort erst nach der deutschen Wende wieder eigenständig ansiedeln konnten. Wir dagegen haben eine ununterbrochene Geschichte seit 1861 und sind auch stolz darauf, dass wir im Schwarzwald ansässig sind.
Aber ist Glashütte im Vergleich zu Schramberg nicht der bekanntere Name?
Wir haben einen großen Vorteil vor Glashütte, und das ist der Bekanntheitsgrad der Marke Junghans. Der liegt in Deutschland noch bei weit über 80 Prozent. Damit stehen wir von den deutschen Uhrenmarken auf Platz eins, das müssen auch unsere Wettbewerber neidlos anerkennen. Auf so etwas darf man sich natürlich nicht ausruhen, das kann sich auch ganz schnell wieder ändern. Aber ja, das ist trotzdem eine Stärke von uns. Auch wenn viele vielleicht nicht wissen, wo Schramberg liegt, kennen sie trotzdem die Marke Junghans. (Nach gut einer Stunde in der Luft über dem Schwarzwald bewegen wir uns langsam wieder in Richtung Landebahn. Das Flugzeug geht tiefer, und wir setzen zum Landeanflug an.)
Eine letzte Frage, bevor wir landen: Können Sie sich noch an Ihre erste Uhr erinnern?
Meine erste Uhr überhaupt war eine Swatch, also eine Kunststoffuhr, die habe ich als kleiner Junge bekommen. Ich war unheimlich stolz, dass ich schon die Uhrzeit ablesen konnte. Später habe ich eine Junghans „Chronoscope“ bekommen und zu meiner Konfirmation den alten Junghans „Chronometer“ von meinem Opa. Die Uhr ist aus den 1950er-Jahren und bis heute etwas sehr Besonderes für mich.