Amazon startet eigenen TV-Sender: Was sagt das über unser Streaming-Verhalten aus?


Vielen dürfte die Situation vertraut sein: Es ist Abend, man ist müde von der Arbeit und möchte einfach nur etwas anschauen. Doch was? Einen Film-Klassiker? Schon zigmal gesehen. Die Doku über den Klimawandel? Zu deprimierend. Den Film, der bei den Oscars abgeräumt hat? Viel zu lang. In Zeiten des Streamings wird die Auswahl eines abendfüllenden Films selbst zur abendfüllenden Tätigkeit.
Amazon startet TV-Sender: Festes Programm statt endloser Suche
Kein Wunder. Rund 5.000 Filme und über 700 Serien hat Prime Video im Angebot – und täglich werden es mehr. Eine Flut an Optionen, die kaum zu überblicken ist. Laut einer Studie von Hubert Burda Media suchen suchen Zuschauer rund elf Minuten, bis sie finden, was sie anspricht. Hochgerechnet auf eine Woche vergeuden wir also über eine Stunde allein mit der Entscheidung, was wir sehen wollen. In dieser Zeit hätte man die erste Folge von „The Sopranos“ sehen können und wäre davon so gefesselt, dass man zumindest die nächsten Wochen über ein festes Programm hätte. Aber so einfach ist es nicht.
Neuer TV-Sender auf Amazon: Lineares Programm gegen die Qual der Wahl
Das Problem ist nicht neu. Noch bevor es Streaming-Dienste gab, haben sich Gelehrte über die Qual der Wahl Gedanken gemacht. Bereits Sartre sagte: „Frei sein heißt, zum Freisein verurteilt zu sein“ und der Schweizer Soziologe Peter Gross sprach bereits in den frühen 90er Jahren von der Multi-Optionsgesellschaft: Demnach verdammt unsere Freiheit uns dazu lebenslang Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die zur Folge haben, dass wir uns für andere Dinge nicht entscheiden.
Im Streaming-Kontext heißt das: Schaue ich mir den gehypten Thriller an, entgeht mir die vermeintlich interessante Sportdokumentation. Zieh ich mir die alberne Komödie rein, erfahre ich nichts über die Machenschaften des Dritten Reichs. Und wird es die schnulzige Romanze, dann auf Kosten des hochgelobten Kriegsdramas. Gut gemeinte Streaming-Tipps von Freunden, Familie und Arbeitskollegen machen die Sache auch nicht besser. Anscheinend wimmelt es von Filmen und Serien, die man „unbedingt gesehen haben muss“. Würde man sich alle „Must Sees“ fleißig mitnotieren, wäre das Ergebnis eine Watchlist deren Linien im Unendlichen verlaufen.
Neuer TV-Sender auf Prime Video: Die Rückkehr des Fernsehens
Wie also soll man dieses Dilemma lösen? Gibt es einen Weg, dem Entertainment-Stress zu entkommen? Möglicherweise hat sich Amazon genau diese Fragen gestellt – und die Antwort in einem altbewährten Konzept gefunden: dem Fernsehen. Denn entgegen vieler Erwartungen zeigt sich das lineare TV im Wettbewerb mit Streamingdiensten erstaunlich robust – die Nutzung ist in den letzten drei Jahren nur geringfügig gesunken. In einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte gaben 81 Prozent der Deutschen an, den Großteil ihrer Videoinhalte weiterhin über das klassische Fernsehprogramm zu konsumieren. Fernsehen sei ein komfortables „Nebenbei-Medium“, heißt es weiter.
Neuer TV-Sender auf Amazon: Los gehts am 17. April um 20:15 Uhr
Verbringen Prime-Video-Nutzer künftig tatsächlich mehr Zeit mit dem linearen Programm als mit der mühsamen Auswahl? Möglich wäre es. Zu sehen gibt es jedenfalls Serien wie „Reacher“, „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“, „Fallout“ und „Culpa Mia – Meine Schuld“. Auch deutsche Produktionen wie „Maxton Hall – Die Welt zwischen uns“ sind im Programm.
Los geht es auf dem Sender – der den Namen „Prime“ tragen wird – übrigens am 17. April mit den ersten beiden Folgen der neuen Staffel von „LOL: Last One Laughing“ um 20:15 Uhr. Auch bei den Sendeterminen scheint sich Amazon an der alten Institution Fernsehen zu orientieren.