Ziemlich echter Sex: Backstage beim Porno-Dreh
Gibt es in Ihrem Büro jemanden, dessen Job es ist, sich nur um Ihr Wohlbefinden zu kümmern? Der Ihnen anbietet, jederzeit über Ihre Motivation, Wünsche und Grenzen zu sprechen? Und der während Ihrer Arbeit darauf achtet, dass es Ihnen gut geht? Wir sind heute zu Besuch in einem solchen Büro. Es gehört der Berliner Porno-Plattform Cheex in Kreuzberg, die an diesem Tag den Film „Office Orgy“ („Büro-Orgie“) dreht.
Der Plot: Fünf Kollegen – zwei nerdige IT-Mitarbeiter und drei sexy Bürokolleginnen – warten nur darauf, dass ihre Chefin in den Feierabend geht, um sich dann die Zeit miteinander zu vertreiben. Vögelnd, leckend, fingernd, lustvoll. Wirklich lustvoll. Ein Porno-Dreh ohne Zwang und strenge Regieanweisungen, die dem Empfinden und den Wünschen einzelner Darsteller zuwiderlaufen könnten. Darüber wacht hier mit Argusaugen eine sogenannte Intimitätskoordinatorin. Eine Frau fürs Wohlbefinden der Mitarbeiter.
Heute hat Lina Bembe den Job übernommen, eine Frau mit schulterlangen braunen Haaren und wachen braunen Augen. Ihre Aufgabe gehört zu einer neuen Art der Porno-Produktion, die sich faire Arbeitsbedingungen, echten Sex und sexuelle Aufklärung auf die Fahne schreibt und damit eine Branche revolutionieren will, deren Image lange Zeit mit Worten wie schmutzig noch nett beschrieben war.
Das Start-up Cheex hat sich mit seinen Pornos der weiblichen Lust verschrieben
Damit sich niemand in die Quere kommt, fällt der Dreh auf einen Sonntag. Von Montag bis Freitag wird an den Schreibtischen bei Cheex nämlich gewöhnliche Büroarbeit erledigt. Seit 2020 mischt das von Denise Kratzenberg und Maximilian Horwitz gegründete Start-up die Sexfilm-Szene auf. Es hat sich – anders als die einschlägigen Porno-Websites – der weiblichen Lust verschrieben und sich zu Fairness und ethischen Standards verpflichtet: Eine angemessene Bezahlung der Darsteller gehört dazu. Die Einhaltung rechtlicher Vorgaben wie die Überprüfung der Volljährigkeit ist selbstverständlich. Die Abbildung sämtlicher Körperformen – dick, dünn, straff, faltig – Ehrensache. Ebenso wie die Beschäftigung einer Intimitätskoordinatorin.
Was ebenfalls zur schönen neuen Porno-Welt gehört: die Offenheit, fremde Augen wie unsere hinter die Kulissen blicken zu lassen. Man hat hier in Kreuzberg nichts zu verstecken. Außer vielleicht das Fenster, das mit buntem Glas und Mustern an eine Kirche erinnert und gerade mit Tüchern abgedeckt ist.
Im Büro knistert die Luft ganz ordentlich. Die Chefin hat den Raum bereits verlassen. Jetzt wird gespielt, und die Kameras fangen ein, wie sich die sexuelle Spannung aufbaut: Die zwei männlichen Darsteller werden von ihren zwei Kolleginnen verführt. Die dritte sitzt auf einem der Sofas in der Lounge gegenüber und schaut zu. Ausgiebig lecken sie sich, berühren sich zaghaft, aber bestimmt, einer der Darsteller gibt seiner Kollegin einen lauten Klaps auf den Po. Und noch einen.
Alles, was die Darsteller des Porno-Drehs miteinander anstellen, beruht auf Zustimmung
Alles, was die fünf während des Drehs miteinander anstellen, beruht auf Zustimmung. Wo diese an ihre Grenzen stoßen würde, haben die Darsteller vorab mit Lina Bembe geklärt.
Die Intimitätskoordinatorin arbeitet bisweilen auch selbst als Darstellerin und weiß aus Erfahrung, wie wichtig ihre Rolle am Set ist. „Wir Intimitätskoordinatoren sind eine wertvolle Ergänzung des Produktionsteams“, sagt sie. „Wir stellen sicher, dass alle Bedürfnisse und Anliegen der Darsteller berücksichtigt werden.“ Dafür arbeitet Lina Bembe mit einer zweistufigen Abfrage der Vorlieben und Grenzen der Performer. Einmal vorab mithilfe einer Art Fragebogen und dann noch einmal unmittelbar vor dem Dreh im Gespräch mit allen Beteiligten. „Wir glauben, dass Zustimmung zu bestimmten Sexpraktiken zeitabhängig ist und sich aus verschiedenen berechtigten Gründen ändern kann“, sagt sie.
„Wie geht es allen?“, fragt Lina Bembe in die Runde. Bevor die Kameras an diesem Drehtag laufen, hat sie sich mit den Performern und der Regisseurin Charis Uster zum Gespräch zurückgezogen. Gut geht’s, aufgeregt, entgegnen die fünf. Sie sind bereits für ihre Rollen geschminkt und sitzen in ihren Kostümen locker zurückgelehnt auf Stühlen, plaudern miteinander und lachen. Lina Bembe fragt die bürokratischen Angelegenheiten ab. Alle Verträge unterschrieben? Alle Ausweise abgeglichen? Alle notwendigen Gesundheitstests gemacht?
Backstage beim Porno-Dreh: Das Gespräch über Vorlieben und Grenzen ist hier Pflicht, keine Kür
Nacheinander erkundigt sie sich dann beim Team nach dem aktuellen Gefühlszustand. Wo zieht jeder heute seine Grenzen? Und: Hat jemand vielleicht Lust auf etwas Spezielles, das bisher nicht im Fragebogen angegeben wurde? Aufmerksam hört die Gruppe zu, wenn einer erzählt. Darsteller Noir So fühlt sich heute sinnlich und hat keine Lust auf Rimming. Darstellerin Calita Fire hat heute Nacht kein Auge zugetan, weil ihre Nachbarn einen Rave veranstaltet haben, freut sich aber auf den Dreh. Ihr persönliches Ziel sei es heute, einen von ihnen zum Orgasmus zu bringen, sagt sie lachend, und alle lachen mit. Kollegin Bunny BBW möchte nicht, dass jemand in ihr kommt, und wünscht sich, erregt zu werden. Performerin Catherine Knight möchte heute keinen Finger in ihrem Po. „Heute ist kein Finger-im-Po-Tag“, sagt sie und grinst.
Darsteller Jonte will grundsätzlich immer wissen, was sein Gegenüber gut findet oder nicht. Er selbst stöhne gerne laut und viel, sagt er und bietet der Regisseurin an, sich zusammenzureißen, weil er ja wisse, dass das beim männlichen Publikum nicht so gut ankomme. „Jeder, der es nicht ausstehen kann, wenn ein Mann stöhnt, braucht meine Filme gar nicht zu gucken“, erwidert Regisseurin Charis Uster, ohne zu zögern.
Zwar richtet sich die Porno-Plattform Cheex überwiegend an Frauen, doch jeder dritte User ist ein Mann, wie uns Gründerin Denise Kratzenberg erzählt. Neben Filmen finden die Nutzer auf der Online-Plattform auch Audio-Formate, also Porno zum Zuhören, oder eine Pleasure Academy, in der man mithilfe von Videos zum Beispiel lernen kann, wie man eine Frau oral befriedigt: „How To Eat Pussy“.
„Cheex bietet einen sicheren Raum, in dem Sexualität ganzheitlich und ohne Stigmatisierung behandelt wird“, sagt Denise Kratzenberg. Das beherzigen die Firmengründer nicht nur bei Eigenproduktionen, sondern auch bei zugekauften Filmen: Ethische Kriterien wie Volljährigkeit, faire Bezahlung oder Durchführung umfassender Geschlechtskrankheitentests müssen gewährleistet sein. „Alle lizenzierten Inhalte auf Cheex werden sorgfältig auf unseren Kriterienkatalog hin geprüft, was wir uns auch vertraglich bestätigen lassen“, sagt Kratzenberg.
Porno-Drehs wie diese zeigen: Porno kann und sollte auch Aufklärung sein
Das überzeugt viele Darsteller. „Ich habe das Gefühl, dass Cheex versucht, etwas für die Community zu tun, indem sie von Angesicht zu Angesicht mit den Künstlern und Kreativen zusammenarbeiten und gemeinsam mit uns Inhalte erstellen“, sagt Darsteller Noir So. Ihm sei es wichtig zu wissen, worauf er sich einlasse. „Wenn es in letzter Minute Änderungen bezüglich der sexuellen Handlungen geben würde, die ich ausführen soll, würde ich ein Shooting auch absagen. Ich möchte ohne Druck entscheiden können, ob ich mich dabei wohlfühle.“
Unter Druck steht die Porno-Industrie schon lange. Immer wieder wird sie für ihre undurchsichtigen Arbeitsbedingungen kritisiert, für ihre Darstellung von Lust, in deren Zentrum ausschließlich Männer stehen, und für ihre Abbildung von Körpern, die einen unerreichbaren Schönheits- und Performance-Standard suggerieren. Auch das Vorurteil, der Konsum von Pornofilmen mache süchtig und verzerre die Ansprüche an echten Sex, hält sich hartnäckig.
Seit rund 20 Jahren tritt dem eine Bewegung von Porno-Revoluzzern entgegen: Produzentinnen wie die Schwedin Erika Lust, die mit ihrer 2004 gegründeten Produktionsfirma Lust Films als Pionierin des feministischen Pornos gilt, oder Paulita Pappel, die auf ihrer Website lustery.com den „homemade porn“ von echten Paaren in den Vordergrund stellt, wollen den positiven Wert von Pornografie vermitteln: dass sie ein Weg sein kann, die eigene Sexualität umfassender kennenzulernen.
Dieser Mission schloss sich vor vier Jahren auch Cheex an. Deshalb die Lehrvideos der Pleasure Academy. Porno kann und sollte immer auch Aufklärung sein, keine Bevormundung, finden die Beteiligten. Nicht für den Konsumenten und eben auch nicht für die ausführenden Darsteller. Und was die neue Porno-Generation ebenfalls verbindet: Es gibt sie nicht umsonst, sie kostet Geld. Wer Lust genießen will, soll auch ihren Wert schätzen.
Backstage beim Porno-Dreh: Hier wird echter Sex gefilmt
Noir So hat sich mit seinen Kolleginnen inzwischen in die Sofa-Ecke des Büros begeben. Die Küsse werden heißer, das Stöhnen lauter, die Klamotten weniger. Wer hier wen anfasst, küsst, leckt, penetriert, das steht nicht im Drehbuch. Regisseurin Charis Uster greift nur selten ins Geschehen ein – und wenn, dann geht es vor allem um Licht, Ton oder darum, eine Person mehr oder weniger ins Spiel einzubeziehen.
„Diese Herangehensweise entstand aus meinem Wunsch, einen dialogfreien Film zu drehen“, erklärt Uster. „Ich wollte stattdessen die Atmosphäre durch Bewegungen, Blicke und subtile Interaktionen einfangen.“ Dabei habe sie trotz sorgfältiger Vorbereitung und einer klaren Shotlist „bewusst Raum für Flexibilität gelassen. Vor Ort wollte ich die Freiheit haben, spontan zu entscheiden, was funktioniert und welche Momente sich organisch entwickeln – oft entstehen genau daraus die besten Aufnahmen.“
Organisch entwickelt sich die Szenerie unverkennbar. Immer wieder hört man leise Fragen, ein Kichern, lautes Stöhnen: Gefilmt wird echter Sex. „Mir ist es wichtig, dass meine Kolleginnen und Kollegen bei unseren Szenen Lust empfinden“, sagt Darsteller Noir So. „Sonst würde es sich anfühlen, als würde ich einen wirklich seltsamen TED-Talk halten. Wenn alle Spaß haben und die Chemie stimmt, fließt die Szene besser, und die Zuschauer können viel besser damit connecten. Und ehrlich gesagt ist es doch so: Sex macht mehr Spaß, wenn sich alle dabei amüsieren – vor und hinter der Kamera.“
“Ich glaube, dass niemand ohne Zustimmung Lust im eigenen Körper erleben kann
Für Intimitätskoordinatorin Lina Bembe ist die Zustimmung, die sie im Gespräch mit den Darstellern sucht, dafür essenziell: „Ich glaube, dass niemand ohne Zustimmung Lust im eigenen Körper erleben kann. Der Glaube, dass die Zustimmung ein langweiliges Gespräch ist, das die Stimmung tötet, oder der Mythos, dass ein Sexualpartner besser als man selbst weiß, was einem Spaß macht, ist schädlich. Ohne Zustimmung kann es kein echtes Vergnügen geben.“
Ob das der Grund ist, warum man den Spaß, den man später im fertigen Film zu erkennen meint, auch am Set spüren kann? Rund eine halbe Stunde wird die „Office Orgy“ dauern, wenn sie fertig geschnitten und auf der Plattform abrufbar ist. Enden werden die Sexszenen mit diesem Bild: Die fünf Darstellerinnen und Darsteller liegen nackt auf einem flauschigen Teppich. Sie haben die Augen geschlossen, ein Lächeln auf den Lippen, und sie streicheln sich gegenseitig. Es sieht aus, als würden sich alle wohlfühlen. Was für ein Büro-Feierabend!