Darf’s ein bisschen mehr sein? Testfahrt im McLaren 750S

Ein Supersportwagen für Extreme? Wir haben dem McLaren 750S auf den Zahn gefühlt
Credit: McLaren/Beadyeye
Ein Supersportwagen für Extreme? Wir haben dem McLaren 750S auf den Zahn gefühlt
Credit: McLaren/Beadyeye

Mit dem McLaren 750S zeigen die britischen Ingenieure, dass auch ein reinrassiger Verbrenner ohne Elektrifizierung Extremes leisten kann. Wir haben dem Supersportwagen bei einer Testfahrt in Portugal auf den Zahn gefühlt

Von: Michael Brunnbauer
12.02.25
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Erst die schlechte Nachricht: Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 332 km/h ist der neue McLaren 750S um 9 km/h langsamer als sein Vorgänger, der 720S. Und nun die gute: Das macht überhaupt nichts, denn in allen anderen Punkten ist das Nachfolgemodell schneller, sportlicher und aggressiver geworden. Wahrscheinlich wollten die britischen Ingenieure bei dem vermeintlich letzten reinrassigen Verbrenner, der in Woking vom Band läuft, noch einmal zeigen, wo die Grenzen des technisch Machbaren liegen – und zwar ohne Elektrifizierung des Antriebs. Und das ist ihnen durchaus gelungen.

Auf den Landstraßen um Cascais, etwa 30 Kilometer westlich von Lissabon, und auf der Rennstrecke von Estoril hatten wir die Gelegenheit, den PS-Boliden ausführlich zu testen.

Testfahrt im McLaren 750S: Wie gewohnt ein absoluter Hingucker

Wie man es von McLaren gewohnt ist, ist auch der 750S ein absoluter Hingucker. Das liegt nicht nur an dem bereits vom Vorgänger bekannten Aero- und Leichtbaudesign sowie den imposanten Schmetterlingstüren, sondern auch an den vielen Bug- und Heckteilen inklusive neuer Lufteinlässe an Schwellern und hinteren Radkästen. Insgesamt wurden rund 30 Prozent aller Teile komplett neu entwickelt. Besonders auffällig: das fast vollständig von grobmaschigen Gittern verkleidete Heck genauso wie der 20 Prozent größere, aktive Heckflügel, der, abhängig von der jeweiligen Fahrsituation, sich mal mehr, mal weniger in den Wind stellt.

Kleiner Haken: Steigt man voll in die Eisen, stellt sich das Teil als Air-Brake beinahe senkrecht in den Fahrtwind – dies verkürzt zwar den Bremsweg und stabilisiert die Spur des Wagens, hat aber gleichzeitig zur Folge, dass für den Fahrer auch die Sicht durch den Rückspiegel blockiert wird.

Luftgekühlt: Die vielen neuen Lufteinlässe vorne und die Gitterverkleidung hinten sehen nicht nur gut aus, sondern sorgen gleichzeitig auch für eine aktive Kühlung des PS-Boliden
Credit: McLaren/Beadyeye

Testfahrt im McLaren 750S: Mehr PS, weniger Gewicht

Die wichtigste Neuigkeit befindet sich jedoch unter der Haube und wird eigentlich bereits durch den Namen erklärt – statt 720 PS erhielt der 4-Liter-Turbo-V8 ein Upgrade um 30 PS und leistet jetzt 750 PS bei satten 800 Newtonmeter Drehmoment. Gleichzeitig ist er 30 Kilo leichter, womit sich auch sämtliche Beschleunigungswerte im Vergleich zum Vorgänger verbessern: Der Spurt auf 100 geht nun in 2,8 Sekunden (vormals 2,9 Sekunden), auf 200 km/h in 7,2 Sekunden (vormals 7,8 Sekunden) und auf 300 km/h in 19,8 Sekunden (vormals 21,4 Sekunden). Fährt man übrigens mit dem Spider, also der Cabrio-Variante des Fahrzeugs, dauert es deutlich länger, das Dach zu öffnen (elf Sekunden), als Tempo 200 zu erreichen.

Testfahrt im McLaren 750S: Das Aufheulen der acht Zylinder des Twin-Turbo-Motors wirkt furchteinflößend

Beim Einsteigen fallen zunächst wenige Veränderungen auf. Das Interieur wird, wie bei McLaren üblich, dominiert von Sicht-Carbon, Leder- und Alcantara-Oberflächen. Wie gehabt, kann man mit einem Kippschalter links vom Steuer das Handling verstellen und mit einem weiteren Kippschalter rechts vom Steuer das Ansprechverhalten des Antriebs. Mögliche Settings gehen von „Comfort“ über „Sport“ bis „Track“.

Für unsere bevorstehende Fahrt über die Landstraßen rund um Cascais habe ich die Spider-Variante des 750S gewählt.

Ich schalte beide Einstellungen zunächst auf „Comfort“ und starte den Wagen mit dem dicken roten Knopf in der Mittelkonsole. Das Aufheulen der acht Zylinder des Twin-Turbo-Motors wirkt furchteinflößend, hinter mir startet eine wahre Symphonie des Kreischens, Sprotzelns und Bollerns aus den beiden mittigen Endrohren. Um diesen Effekt noch zu verstärken, öffne ich das Verdeck und fahre die kleine Glasscheibe zwischen mir und dem Motorraum per Knopfdruck nach unten.

Beim Losrollen durch die Innenstadt ist ein anderer Knopf jedoch zunächst wichtiger für mich. Nein, die Rede ist nicht vom Launch-Control-Button, dazu kommen wir später. Auf den spanischen Straßen mit ihren gefühlt tausend Bremshügeln erweist sich nämlich der Knopf für das Liftsystem als äußerst hilfreich. Damit kann ich in nur vier Sekunden die Frontpartie des Wagens um ein paar Zentimeter anheben. Das hat beim alten Modell noch nervtötende zehn Sekunden gedauert und wahrscheinlich bei diversen ungeduldigen Fahrern für angeschrabbelte Frontspoiler gesorgt.

Sobald ich etwas raus bin aus der Stadt, schalte ich sowohl Antrieb als auch Handling in den „Sport“-Modus. Das 7-Gang-Getriebe reagiert sofort einen Tick zackiger, das Ansprechverhalten wurde im Vergleich zum Vorgänger noch einmal um zehn Prozent erhöht. Auf den kurvigen Straßen muss ich Überholmanöver präzise und schnell durchführen. Nur ein Motorradfahrer auf einer Kawasaki Ninja H2 schafft es, bei dem leicht erhöhten Verkehrsaufkommen mit mir Schritt zu halten. Fast über eine halbe Stunde werde ich von dem Biker mehr oder weniger absichtlich eskortiert. Danach überholt er mich und verliert beinahe, als er mir mit einer „Daumen nach oben“-Geste seinen Respekt zollen will, die Kontrolle über seine Maschine. Zum Glück aber nur beinahe.

Schräglage: Dank Heckantrieb und einer in 14 Stufen steuerbaren Traktionskontrolle kann man mit dem McLaren 750S sehr kontrolliert die Kontrolle verlieren
Credit: McLaren/Beadyeye

Testfahrt im McLaren 750S: Adrenalinrausch auf Launch-Control-Knopfdruck

Als ich eine ruhige Seitenstraße ohne viel Verkehr ausmache, verabschiede ich mich winkend von meiner zweirädrigen Entourage und biege ab. Es wird Zeit, die Launch-Control auszuprobieren. Ich schalte mit den Paddles am Lenkrad in den ersten Gang und gehe mit dem linken Fuß auf die Bremse. Als Nächstes drücke ich den Launch-Control-Knopf rechts neben dem Lenkrad, eine Anzeige mit „Launch Control activated“ erscheint. Dann steige ich mit dem rechten Fuß voll aufs Gas und lasse eine halbe Sekunde später mit meinem linken Fuß die Bremse schnalzen.

Die Beschleunigung fühlt sich extrem an, und ich frage mich, ob die 2,8 Sekunden gereicht hätten, meinen neuen Freund auf der Kawasaki Ninja H2 zu beschämen. Ja, hätten sie, wie mir ein späterer Faktencheck auf Google bestätigen sollte. Allerdings nur bis zur 200-km/h-Marke, danach hätte das Motorrad wieder die Oberhand gewonnen.

Sportlich schick: Das Interieur des McLaren 750S wird von Sicht-Carbon, Leder- und Alcantara-Oberflächen dominiert
Credit: McLaren/Beadyeye

Testfahrt im McLaren 750S: In den Kurven der Rennstrecke zahlt sich die neue elektrohydraulische Servolenkung aus

Wie auch immer: Angeregt vom Adrenalinrausch, lenke ich den Supersportwagen nun weiter in Richtung Estoril. Dort auf der Rennstrecke will ich endlich die Einstellung „Track“ austesten. Ich wechsle in ein fast baugleiches Coupé, das im Unterschied zum Cabrio nicht mit den normalen Pirelli-P-Zero-Reifen, sondern mit den deutlich renntauglicheren Trofeo R bestückt ist. In den engen Kurven zahlt sich nun endlich auch die neue elektrohydraulische Servolenkung aus. Und natürlich der reinrassige Heckantrieb des Wagens.

Besonderes Schmankerl: Die variable Driftkontrolle aus dem Vorgängermodell ist erhalten geblieben, heißt jetzt offiziell Traktionskontrolle und lässt den Wagen in 14 Stufen mehr oder weniger stark querfahren. Hartgesottene können natürlich auch nach wie vor sämtliche Helferlein inklusive ESC komplett ausschalten – das erfordert bei den extremen Kräften aber auch ein entsprechend großes Fahrkönnen. Ich für meinen Teil lasse das System – zumindest teilweise – lieber eingeschaltet.

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Am Ende bleibt festzuhalten: Allen Kritikern, die den 750S als „eine Art Facelift“ des 720S bezeichnet haben, muss ich vehement widersprechen. Der neue Supersportwagen der Briten zieht jedes Register, das ein Verbrenner nur ziehen kann. Und davor sollte man sich mit Respekt verneigen. Und sofort zuschlagen, falls man die nötigen 300.000 Euro fürs Coupé oder 330.000 Euro für den Spider auf der hohen Kante hat. Denn als letzter reinrassiger Benziner von McLaren könnte der Engländer schnell zum Sammlerstück werden.

Prüfte den McLaren 750S auf Herz und Flügeltüren: Playboy-Motorchef Michael Brunnbauer
Credit: McLaren/Beadyeye

McLaren 750s: Die Fakten

Geschwindigkeit: 332 km/h
Leistung: 750 PS
Drehmoment: 800 NM
0–100 km/h: 2,8 sekunden
Hubraum: 3994 ccM
Gewicht (DIN): 1389 kg 
Grundpreis: 299.823 Euro

Der Autor testete den Wagen auf Einladung des Herstellers.

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