Männer, steht uns zur Seite!

Sexuelle Übergriffe sind für Frauen in ihrem Alltag leider eine ständige Bedrohung. Warum dieses Problem mehr Aufmerksamkeit braucht – und was Männer tun können
Credit: Michael Pleesz
Sexuelle Übergriffe sind für Frauen in ihrem Alltag leider eine ständige Bedrohung. Warum dieses Problem mehr Aufmerksamkeit braucht – und was Männer tun können
Credit: Michael Pleesz

Im Alltag, auf der Wiesn, in Clubs: Für Frauen sind sexuelle Übergriffe eine schlimme Erfahrung. Und eine ständige Bedrohung. Unsere Autorin wünscht sich mehr Verständnis für dieses Problem – und gute Typen, die eingreifen.

Mein Jahr hat sechs Jahreszeiten. Neben dem Sommer sind die Karnevals- und die Wiesn-Saison meine liebsten. Die Tage sind fröhlich und lustig und unbeschwert. Meistens jedenfalls.  

Der letzte Karnevalssamstag in Köln: Mein Tag ist fröhlich und lustig – bis plötzlich zwei Arme quer über den Tisch greifen, an dem ich stehe, und mir ohne jede Vorwarnung an die Brüste packen. Die Hände gehören zu einem der Typen, die wir beim ersten Kölsch vormittags kennengelernt haben. Ein Junggesellen­abschied, alles Endzwanziger oder Mittdreißiger, die Ken-Kostüme tragen. Der Bräutigam muss als Barbie gehen. Sie sind lustig, herzlich und offen, fast alle tragen einen Ring am Finger. Bis zu diesem Moment haben wir geschunkelt, angestoßen und über bunte Sticker gelacht, die ein Fremder an uns verteilt hat. So was wie „Geiles Stück“ steht auf einem, „Es gibt nur ein Gas, Vollgas“ auf einem anderen.

Der Typ lacht immer noch, ich lache nicht mehr. Er trinkt schon wieder Kölsch, ich stehe unter Schock. 

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Niemand um mich herum reagiert. Ich zweifle an meinen Sinnen. Hat er das gerade wirklich getan? Und weil es ein paar Sekunden dauert, bis ich das begreife, verpasse ich den Moment für die Reaktion, die wohl am angebrachtesten gewesen wäre: eine blitzschnelle, kompromisslose Backpfeife.

Stattdessen stehe ich jetzt hier, fühle mich überrumpelt, verletzt und werde von Sekunde zu Sekunde wütender. Dass ich heule, wenn ich sauer bin, weiß ich – aber dass hier gleich jeder denken wird, ich sei die Art Frau, die unter Alkoholeinfluss losflennt, macht mich rasend. Ich versuche, die Tränen wegzuatmen. Was mache ich denn jetzt? Ausflippen und als hysterisch dastehen? Wortlos gehen und als Zicke in Erinnerung bleiben? Ich will weder Stress, noch möchte ich unseren Stehtisch räumen. Und schon gar nicht will ich ihnen den Gefallen tun, meine Reaktion mit dem Klischee der anstrengenden Frau abtun zu können. Ich fühle mich in die Enge getrieben. Übertreibe ich? Schließlich ist mir, so gesehen, nichts passiert, es gibt Frauen, denen ist weitaus Schlimmeres, Unvorstell­bares, widerfahren. Aber was könnte noch passieren, wenn ich das nicht ernst nehme – und er bei einer anderen Frau die Hand, an der übrigens auch ein Ring steckt, nicht so schnell wieder wegnimmt.

Wir wissen, dass es da draußen anständige Kerle gibt. Wir wissen aber auch, dass es dort schlechte gibt

Wissen Sie, wir Frauen gehen nicht unbedacht auf so ein Event. Eigentlich gehen wir nicht einmal unbedacht durch den Alltag. Wir tun viel, um Situationen wie die in Köln oder noch weit schlimmere auszuschließen. Das Problem ist aber: Wenn wir frei und uneingeschränkt leben wollen, ist es unmöglich, sie zu vermeiden.

Wir versuchen es trotzdem. Wir gehen im Winter nach der Arbeit nicht joggen, weil es da zu dunkel ist. Wir gehen nicht durch den Park, sondern nehmen lieber einen Umweg, falls wir sonst in der Dunkelheit unterwegs wären. Und wir rufen dabei manchmal jemanden an, damit wir nicht ganz allein sind. Und wir halten manchmal einen Schlüsselbund in der Faust. Wir könnten uns so nämlich besser wehren, falls wir es müssen.

Wir tracken bei Taxifahrten in fremden Städten den Weg oft live mit, damit wir sehen, wo uns der Fahrer hinbringt. Wir bestellen in Bars und Clubs Bier in Flaschen, weil man da die Öffnung mit dem Finger verschließen kann. Wir haben auch schon als Jugend­liche gelernt, dass wir keine Drinks annehmen sollen, bei denen wir nicht gesehen haben, wie sie gemixt wurden. Wir geben mindestens einer unserer Freundinnen euren kompletten Namen und die Adresse, bevor wir auf ein Date zu euch nach Hause gehen.

Das meinen wir alles nicht persönlich. Wir wissen, dass die meisten Männer da draußen anständige Typen sind. Keine Frage. Wir wissen aber auch, dass es ein paar schlechte gibt. Sonst könnte man keine K.-o.- Tropfen-Schutzarmbänder in Drogeriemärkten und Apotheken kaufen. Oder das „Heimwegtelefon“ anrufen, das Frauen telefonisch auf dem Nachhauseweg begleitet. Oder in Taxi-Apps wie Uber und Bolt die Sharing-Funktion nutzen, die Freunden den Live-Standort zeigt. Oder die Notfalltaste wählen.

Gut auf uns aufpassen können wir in vielen Fällen nur so lange, bis andere entscheiden, eine Grenze zu überschreiten

Natürlich ist uns klar, dass in gut gelaunten Massen, die auf der Wiesn oder im Karneval feiern, das miese Verhalten von Einzelpersonen meistens im Trubel untergeht. Dass die Hemmungen sinken, sobald der Alkoholpegel steigt. Dass man Fremde vielleicht ein bisschen zu schnell zu Freunden macht.  Haben Sie Ihrer Partnerin oder Tochter als Abschiedsgruß auch schon mal mit auf den Weg gegeben, dass sie gut auf sich aufpassen soll? Gut auf uns aufpassen können wir in vielen Fällen nur so lange, bis andere entscheiden, eine Grenze zu überschreiten. Wie hätte ich das Grapschen aus eigener Kraft verhindern sollen? Sollten wir Frauen angetrunkene Männer im Feiermodus generell meiden? Das wäre nicht nur eine ziemlich krasse Einschränkung, sondern auch schade, weil wir dann viele der guten Kerle niemals treffen würden. Eine Strafe für alle –  während die miesen Typen davonkommen. Einfach so.

Es ist diese Schuldumkehr, die jedes Gerechtigkeitsempfinden zutiefst verletzt

Genau das macht mich im Nachhinein und auch ganz grundsätzlich richtig wütend: dass  Frauen und besorgten Müttern und Vätern und Partnern die Aufgabe zugeschoben wird, über angemessenes Verhalten nachzudenken. Dass sie es sind, die Wege zum Umgang mit übergriffigen Triebtätern finden müssen. Als ob wir Übergriffe sonst provozierten. Es ist diese Schuldumkehr, die jedes Gerechtigkeitsempfinden zutiefst verletzt: Wir Frauen sind nicht mitschuldig an solchen Situationen. Nie. Selbst wenn wir in den heißesten Klamotten und kürzesten Röcken des Planeten feiern gehen, mit Alkohol oder ohne, gilt eins: Finger weg! Sonst gibt’s was auf die Ohren!

Die verbale Backpfeife gab es am Ende auch für den übergriffigen Karnevals-Ken. Erst sprang der Barbie-Bräutigam mir zur Seite: Er habe gesehen, was sein Kumpel getan habe, und wolle fragen, ob es mir gut gehe oder ich etwas brauche. Er habe in der Zwischenzeit auch mit dem übergriffigen Ken geredet und ihm gesagt, dass sein Verhalten total daneben sei.

Und auch ich knöpfe mir den Kerl noch einmal vor. Er fragt mich, was er tun könne, um es wiedergutzumachen. Ich sage, dass eine ernst gemeinte Entschuldigung und das Versprechen, so etwas nie wieder zu tun, ein Anfang seien. Er gibt mir beides. Und ich hoffe bis heute, dass das reicht.

Wer mir von diesem Abend wirklich im Gedächtnis bleibt, ist aber der Barbie-Bräutigam. Er hat mich gesehen, als ich am liebsten im Boden versunken wäre, und seine Stimme für mich erhoben, als ich meine gerade nicht gefunden habe. Er hat sich für mich stark gemacht, bis ich es selbst wieder war. Tage wie solche wären so viel fröhlicher und unbeschwerter, wenn wir uns sicher sein könnten, dass es mehr von diesen guten Typen um uns herum gibt. 

Wenn Sie zeigen können, dass Sie einer von ihnen sind – tun Sie es! Und wenn Sie sehen, dass eine Frau in Ihrer Umgebung angegangen, begrapscht oder sonst wie belästigt wird – gehen Sie dazwischen. Wir werden es Ihnen nie vergessen!

Von: Nina Habres
24.09.2024
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