„Irgendwie müssen wir alle abtreten. Und bis dahin sollten wir unser Leben genießen“

Tod einer Legende: Mit 78 Jahren starb „Twin Peaks“-Regisseur David Lynch
Credit: Getty Images
Tod einer Legende: Mit 78 Jahren starb „Twin Peaks“-Regisseur David Lynch
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Natürlich war Regisseur David Lynch ganz schön crazy. Sonst hätte er zum Beispiel „Twin Peaks“ nie erfinden können. Mit seinem Tod hinterlässt der am 16. Januar, nur wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag, verstorbene Kult-Regisseur eine große Lücke in Hollywood. Wie er auf seine düsteren Filmideen kommt, warum er findet, man sollte mehr Machtpositionen mit Frauen besetzen und wie über das Sterben denkt, verriet er uns im großen Playboy-Interview 2018.

Von: Rüdiger Sturm
17.01.25
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Mr Lynch, holen Sie sich die Einfälle für Ihre Filme manchmal aus Träumen?

Ich mag die Logik von Träumen, aber ich lasse mich nicht davon inspirieren. Bis auf einen einzigen Fall, als ich mich an einen Traum erinnerte und auf diese Weise auf eine Idee für das Ende von „Blue Velvet“ kam. Ansonsten sind Träume wohl eher dazu da, sich von gedanklichem Müll zu befreien.

Gibt es Ängste, die Sie inspirieren?

Ich glaube nicht, dass du selbst Schmerzen und negative Emotionen haben musst, um diese als Künstler darzustellen. Aber du solltest solche Empfindungen schon verstehen. Ob sie mich inspirieren? Das glaube ich weniger. Auf jeden Fall habe ich Ängste – wie jeder Mensch.

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Wovor fürchten Sie sich?

Körperliche Qualen, Folter, Tod.

Sie sagten einmal, das Leben sei wie ein Auto. Irgendwann fährt es nicht mehr, und man muss aussteigen. Warum sollten Sie dann davor Angst haben?

Weil ich nicht weiß, wie lange das Sterben dauert. Und unter welchen Umständen es geschieht. Wenn du friedlich im Schlaf stirbst, ist es das eine. Aber es gibt viele andere Varianten, die ziemlich schrecklich sein können.

Tun Sie etwas, damit Sie möglichst lange körperlich fit bleiben?

Leider nein. Ich mag meine Zigaretten zu sehr. Ich liebe Rotwein, und ich bade nicht gern. Zumindest versuche ich, Gemüse zu essen, aber es schmeckt mir nicht  besonders. Ich müsste wohl in Italien leben. Die Minestrone, die ich gestern Abend hatte, war vorzüglich.

Warum hassen Sie das Baden?

Ich werde einfach nicht mehr gern nass. Ich weiß selbst nicht, wieso. Manchmal nehme ich wenigstens eine Dusche. Aber es mag vielleicht daran liegen, dass ich nichts mehr liebe, als zu arbeiten. Ich will keine Zeit dafür aufwenden, mich zu waschen und anzukleiden. Auch das Essen könnte schneller gehen.

Vielleicht sollten Sie den ganzen Tag im Pyjama herumlaufen . . .

Das wäre eine Idee.

Raucher sterben oft keinen angenehmen Tod. Das stört Sie nicht?

Irgendwie müssen wir ja alle abtreten. Und bis dahin sollten wir unser Leben genießen. Rauchen gehört für mich dazu. Ich mag den Geruch von Tabak, ob brennend oder nicht. Ich liebe das Gefühl des Rauchens und sitze gern beim Arbeiten in einer Rauchwolke. So kann ich gut nachdenken. Zigaretten und Kaffee sind mein Treibstoff.

In Ihren Filmen kommt häufig körperliche Gewalt vor. Waren Sie selbst mal damit konfrontiert?

Ich wurde zweimal verprügelt. Einmal, da war ich 12 oder 13, und dann mit 21.

Was passierte da?

Beim zweiten Mal haben mich Leute von hinten angegriffen und mich auf die Straße gestoßen. Ich stand wieder auf, bekam einen Tritt ins Gesicht und bin wieder umgefallen.

Es gibt viele Dinge auf der Welt, die mich wütend machen

David Lynch

David Lynch

Was ging da in Ihnen vor?

Das Merkwürdige war, dass es mir nicht wehgetan hat. Ich dachte mir: „Man hat mich ordentlich erwischt, aber ich spüre keinen Schmerz.“ Ich merkte nur, dass meine Haut aufgerissen war. Was ich dagegen fühlte, war eine unglaubliche Wut, so, als würde gleich ein Vulkan ausbrechen. Die Wut war so stark, dass ich den Typen umbringen wollte, um jeden Preis. Ich wollte ihn tot sehen.

Haben Sie zurückgeschlagen?

Gerade als ich das tun wollte, kamen Leute hinzu und gingen dazwischen. Ich blieb also allein mit dem Gefühl, es dauerte einige Zeit, bis es sich wieder aufgelöst hatte.

Spüren Sie heute noch solche Wut? Es gab ja einigen Stress, als man Ihnen ursprünglich nicht Ihr Wunschbudget für die neue „Twin Peaks“-Staffel bewilligte.

Es gibt schon viele Dinge auf der Welt, die mich wütend machen oder verärgern. Ich brauche nur den Fernseher einzuschalten.

Was ist die Lösung?

Dass wir mit Meditation unser Bewusstsein und das der ganzen Menschheit erweitern. Seitdem ich meditiere, perlt Stress viel besser von mir ab.

Abgesehen von den beiden Angriffen – hatten Sie sonst noch Erlebnisse mit Gewalt?

Doch, durchaus. Die wichtigste Erfahrung meines Lebens war, als ich Ende der 60er in Philadelphia studierte. Es war ein korrupter, dreckiger, angsterfüllter Ort voller Wahnsinn und Hass. Einmal schoss man in unserer Nachbarschaft einem 13-jährigen Jungen in den Kopf. Dreimal wurde in unsere Wohnung eingebrochen. Ich hatte damals jede Menge Angst und Beklemmungen.

Aber Sie blieben ein paar Jahre dort . . .

So schrecklich das war, ich fand es auch ungeheuer inspirierend. Genauer gesagt, es war die wichtigste Inspiration meines Lebens. Ich entdeckte dort meine Liebe zu industrieller Architektur und zu einer Atmosphäre von Feuer und Dreck. Dieses Gefühl begleitet mich seither mein Leben lang, und daraus entstand ja auch mein erster Spielfilm „Eraserhead“.

Wie war Ihre Jugend davor?

Sehr glücklich. Ein Idyll. Ich war ein Pfadfinder, weil das für meinen Vater wichtig war. Ich wuchs in der Nähe des Waldes auf, was dann wiederum zu „Twin Peaks“ inspirierte.

Was sagten Ihre Eltern dazu, dass Sie zunehmend Abgründe in sich entdeckten?

In Philadelphia zeigte ich mal meinem Vater ein paar meiner Experimente. Im Keller bewahrte ich ein paar tote Tiere auf, Vögel und eine Maus, um die Stadien ihres Verfalls zu dokumentieren. Er meinte, ich sollte besser keine Kinder haben. Wenn du von der Norm abweichst, dann machen sich die Menschen, denen du etwas bedeutest, um dich Sorgen.

Fanden Sie selbst, dass Sie von der Norm abwichen?

Nicht wirklich. Jedenfalls nicht von meiner Norm. Aber jeder Mensch mag eben etwas anderes. Und ich war so anders, dass mein Vater besorgt war.

Kinder haben Sie heute trotzdem.

Nun denn. Mein Vater hat ja auch seine Meinung wieder geändert.

Welche Bedeutung haben Ihre vier Kinder für Sie – nachdem Sie ja am liebsten nur arbeiten?

Das sind fantastische kleine Menschen – okay, ein paar davon sind auch schon größer. Es ist letztlich gleichgültig, ob ich ihr Vater bin. Jedes entwickelt sich auf seine Weise, unabhängig von mir. Es macht viel Spaß, sie kennenzulernen, wenn sie größer werden.

Gehen wir ein paar Jahrzehnte zurück: Wie viel Spaß machte es, als Sie anfingen, das andere Geschlecht kennenzulernen?

Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.

Aber natürlich wissen Sie das.

Ich kann nur sagen, wie es war, als ich dank der Meditation anfing, die tieferen Ebenen in mir selbst kennenzulernen. Wie es im Evangelium heißt: Du musst das Königreich des Himmels in dir suchen. Dadurch wird die Freude am Leben umso größer …

Frauen sind ehrlicher als Männer

David Lynch

David Lynch

Okay, anders gefragt: Was fasziniert Sie an Frauen am meisten? Sie sind jetzt zum vierten Mal verheiratet …

Ich liebe sie. Sie sind fantastisch. Ich finde auch, dass sie unsere Welt stärker dominieren sollten. Wenn sie die Zügel in der Hand hielten, dann hätten wir eine viel größere Chance auf Frieden.

Warum?

Frauen sind ehrlicher und fürsorglicher als Männer. Abgesehen davon sehen sie wundervoll aus. Sie sind absolut aufregend!

Haben Sie was von ihnen gelernt?

(Lynch legt eine lange Denkpause ein). Ich glaube nicht.

Können Sie sie zumindest ein bisschen verstehen?

Das ist völlig unmöglich. Dazu sind sie von uns Männern viel zu verschieden.

Wenn Sie so begeistert von Frauen sind, warum hat es dann mit Ihren Beziehungen nicht geklappt?

Da muss ich wieder mal den Vergleich mit einem Auto anstellen. Wenn du dir ein neues zulegst, dann fährst du in Hochstimmung vom Parkplatz. Es läuft perfekt, alles ist blitzblank. Ein Jahr später hat es die ersten Kratzer, es ist schmutzig geworden, und du schaust dir neue Auto-Anzeigen an. So ist der Lauf der Welt.

Würden Sie sich nicht ein Auto wünschen, mit dem Sie Ihr Leben lang fahren?

Wünschen kann ich mir vieles. Aber alles hat seine Lebensspanne. Manche währt superlang, die andere superkurz.

Wer auf Erden begeistert Sie sonst noch?

Ameisen. Erst mal sind das wunderschöne Wesen. Und gleichzeitig sind sie die härtesten Arbeiter überhaupt. Sie sind pausenlos im Einsatz. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt schlafen. Sie können gigantische Lasten schleppen und lassen sich von nichts aufhalten. Sie akzeptieren auch kein Nein als Antwort. Wir können sehr viel von ihnen lernen.

Akzeptieren Sie selbst ein Nein als Antwort?

Ich versuche, es zu vermeiden, ein Nein zur Antwort zu bekommen.

Wann war das letzte Mal, dass Sie eines akzeptieren mussten?

Heute Morgen (lacht)! Da fragte ich meinen Assistenten, ob ich nicht doch auf dieses Interview-Treffen verzichten könnte.