Zwei Männer werden Winzer

Credit: Florian Wagner

Die Cousins Andreas und Manfred Kunert haben ihren TRAUM VOM EIGENEN WEINGUT IN DER TOSKANA verwirklicht. Und ernten für ihren Sangiovese schon nach wenigen Jahren viel Lob. Wie haben sie das gemacht – und was macht der Weinberg mit ihnen?

Die meisten Geschichten darüber, wie jemand den Wein nicht nur zu mögen, sondern zu lieben lernte, beginnen mit der einen Flasche, die alles veränderte. Bei Andreas Kunert war es anders. Bei ihm war es die eine Reise. Toskana, 1994, Flitterwochen mit seiner Frau Corina. Bis heute der vielleicht schönste Urlaub seines Lebens, vermutlich auch der feuchtfröhlichste. Fast einen Monat lang fuhren sie mit dem Cabrio zwischen Weinreben, Zypressenalleen und alten Dörfern umher und tranken Chianti. In jedem Ort probierten sie einen anderen, und in fast jedem fanden sie einen, der besonders gut schmeckte. Den nahmen sie dann mit. Schnell war das Cabrio voll. Also begannen sie, die ersten Flaschen ins Klappfach des Verdecks zu packen. Bald lagen dort so viele, dass sie es nicht mal mehr einklappen konnten. Chianti statt Cabrio. Dazu war Andreas gern bereit. Er hatte seine Liebe zu den ehrlichen, unaufdringlichen Weinen aus den Sangiovese-Trauben der Toskana entdeckt – und musste natürlich eine Wagenladung davon mitnehmen.

LEIDENSCHAFT

In den folgenden Jahren geschahen drei Dinge. Erstens: Andreas machte nie wieder so lange Urlaub, weil er als einer der Geschäftsführer eines großen, familiengeführten Verpackungsunternehmens aus Bad Neustadt sowie als Berufspilot im Nebenerwerb (seine andere große Leidenschaft) ganz gut beschäftigt war. Zweitens: Der Chianti aus dem Cabrio ging ihm aus, und der vom Weinhändler schmeckte ihm nicht so gut (viele Chianti-Produzenten, so schien es ihm, hatten angefangen, in Richtung USA zu schielen und ihren Wein zu verändern, mehr Wucht, mehr Holz, weniger Authentizität). Drittens: Er begann mit seinem Cousin und Geschäftsführer-Kollegen Manfred mit einer Idee herumzuspielen – der Idee vom eigenen Weinberg.

Rund 26 Jahre nach der Toskana-Reise von damals sitzen Andreas, heute 58, und Manfred, 65, gemeinsam mit Andreas’ Frau Corina, ihrem Kellermeister Gianni, ein paar Freunden und mir in einem Keller am Rande des Toskana-Dörfchens Montenero D’Orcia und heben die Gläser. Darin: ein Sangiovese Montecucco 2015 von dem Weingut, das den Keller umgibt. Seit fünf Jahren gehört es den Cousins. Acht Hektar ist es groß, also haben sie es „8 ettari“ genannt. Andreas, zupackend und offen in seiner Art, ist kein großer Freund der „Reifer-Pfirsich-kandierte-Veilchen“-Poesie. „Ein guter Wein“, sagt er, „muss für mich vor allem zwei Kriterien erfüllen: Er muss dir schmecken und gut verträglich sein.“ Wir stoßen an, trinken einen Schluck. Andreas sieht in die Runde, sein Blick sagt: Und?

Acht Hektar groß ist das Land, auf dem Manfred, 65, und Andreas Kunert, 58, in Montenero d’Orcia südlich von Siena ihre Reben kultivieren. Mit der Idee vom eigenen Weinberg spielten sie lange. Dass es gerade dieser wurde: eine glückliche Fügung
Credit: Florian Wagner

ZUFALL

Als für Andreas die Wein-Leidenschaft 1994 so richtig anfing, war sein Cousin Manfred längst bei der eigenen Bordeaux-Sammlung angekommen. Er hatte ja auch früh mit dem Wein begonnen: mit sechs Jahren. Da half er seinem Opa, einem Weinhändler aus der Nähe von Würzburg, schon beim Abfüllen der Flaschen und lernte, einen Silvaner von einem Müller-Thurgau zu unterscheiden, am Geschmack, versteht sich. Als junger Mann wandte er sich den Franzosen zu, stellte bald die ersten Grand Crus in den Keller. Aber die Italiener? Blieben ihm lange fremd.

Bis er zufällig einen deutschen Gastronomen kennenlernte, der ihn auf eine Weinreise für Großhändler in die Toskana einlud. Darauf hatte auch Andreas Lust. Die Reise führte sie von Weingut zu Weingut. Andreas stellte fest, dass einige davon noch immer Sangiovese produzierten, der schmeckte wie 1994. Manfred merkte, dass der auch ihm gefiel. Und bald darauf erfuhren sie, dass ein Winzer in der Gegend einen Weinberg verkaufte. Gepflegt, Reben im besten Alter, acht Hektar groß. Sie dachten nicht sehr lange nach.

„Und?“, fragt also Andreas’ Blick im Keller.
„Mmmh ... schmeckt mir“, sage ich. Aber ich habe wenig Ahnung.
„Wirklich gut“, finden die Freunde. Aber sie sind ja auch Freunde.

Was also denken die unabhängigen Experten? „Falstaff“ hat den Sangiovese Montecucco 2015 des Gutes mit 91 Punkten bewertet, das „Winemag“ den Riserva 2015 als „Wein, den man lieben muss“ gelobt. Und das italienische Fachblatt „il Golosario“ wählte beide 2019 unter die 100 besten Weine Italiens. Nicht schlecht für den ersten Jahrgang, der unter Andreas und Manfreds Verantwortung entstand. Wie haben die Cousins das gemacht?

Der Weg des Weins von der Rebe bis ins Lager der Kellerei von „8 ettari“ ist lang. Die Kunerts haben sich Kellermeister Gianni Bartolommei und Önologe Jacopo Vagaggini mit ins Boot geholt. Im Weinberg packen Helfer wie Gianni Bennardi mit an
Credit: Florian Wagner

VERTRAUEN

Am nächsten Vormittag ist Zeit für einen Rundgang über das Weingut. Manfred, ein runder Mann mit so freundlichem wie genussfreudigem Gemüt, hat sich einen Strohhut aufgesetzt und spaziert vorbei an Reben voller dunkler, praller Früchte. Sangiovese ist die meistangebaute Traube der Toskana und die Grundlage für bekannte Weine wie den Chianti oder den Brunello di Montalcino, die nach ihren Anbaugebieten benannt sind. Die Erde, auf der die Traube bei den Kunerts wächst, sei fruchtbar und mineralstoffreich, erklärt Manfred, das Mikroklima geprägt durch viel Wärme am Tag und kühle Winde bei Nacht. Ein tolles Terroir. Aber um es optimal zu nutzen, brauche man lokales Wissen, sagt Manfred. Und um das anzuzapfen wiederum eines: Vertrauen.

Etwa vier- bis fünfmal im Jahr sind Manfred und Andreas hier. Sie kämen gern häufiger, aber ihre Jobs lassen es nicht zu. Entsprechend glücklich sind sie, dass sie Gianni Bartolommei gefunden haben, ihren hochgeschätzten Kellermeister. Schon als Kind half der bei der Weinernte in Montenero, heute kümmert er sich um die Reben der Kunerts und bespielt in der Kellerei das, was Manfred die „Klaviatur des Kellermeisters“ nennt: die Ansammlung riesiger Tanks, mächtiger Holzfässer und Dutzender Barriquefässer, in denen der Wein reift, ausgebaut wird und je nach Lagerzeit und Art des Fasses seine Struktur und Aromen entwickelt.

Gianni war den Cousins schon empfohlen worden, bevor sie das Weingut kauften. „Das Wichtigste für uns war, dass wir seit der gemeinsamen Toskana-Reise hier Leute kannten, zu denen wir ein Vertrauensverhältnis hatten“, sagt Manfred. „Sich hier einfach einkaufen und denken, das findet sich alles: Das funktioniert nicht. Du würdest auf zu viele Widerstände stoßen. Das ist eine kleine Welt hier, du trittst schnell in Fettnäpfchen, und es gibt gewisse Vorbehalte gegen die ‚Tedeschi‘, die Deutschen.“

Die bekamen sie vor allem zu spüren, als sie sich darum bemühten, einen guten Önologen zu finden: einen Mann, der ihnen helfen konnte, ihren Wein auf einen noch höheren Level zu heben.

Credit: Florian Wagner

INVESTITIONEN

„Die erste Honorarvorstellung, die Jacopo Vagaggini uns nannte, war als klare Absage zu verstehen“, sagt Manfred. Warum der junge Önologe nicht für sie arbeiten wollte? Viele Deutsche kauften in der Toskana Weinberge vor allem, um ein schönes Anwesen zu haben, Ferienwohnungen zu vermieten und höchstens nebenbei Wein zu machen, erklärt Manfred. „Das hat deutsche Investoren ein bisschen in Verruf gebracht.“ Also mussten sie eine Weile an Jacopo, dessen Vater ein Weinlabor betreibt und in der Branche „Mr Sangiovese“ genannt wird, hinarbeiten. Schließlich besuchte er sie auf dem Weingut, sah, dass es dort weder ein Anesen (Andreas und Manfred schlafen immer im Hotel) noch Ferienwohnungen gab, dafür aber ein exzellentes Terroir, und stellte fest: Diese Tedeschi meinen es offenbar ernst. Bald darauf war man sich auch beim Honorar einig.

Etwa 50.000 bis 100.000 Euro pro Hektar zahlt, wer sich ein Weingut wie das der Kunerts in der Toskana zulegen möchte. Sie selbst überwiesen eine Summe im oberen Teil dieses Bereichs und investierten zusätzlich in Tanks, Fässer, Geräte – in alles, was Qualität versprach.

Anfang 2017 schließlich standen sie zum ersten Mal im Weinlabor der Vagagginis in Siena. Sie trugen weiße Kittel, hatten, wie aufgetragen, auf scharfe Zahnpasta und Rasierwasser verzichtet. Nun probierten und mischten sie ihren ersten Jahrgang. Aus den Weinen, die auf verschiedenen Unterarealen (sogenannten Lots) auf ihrem Land gewachsen und später in verschiedenen Fässern gelagert worden waren, erstellten sie nun mit Jacopo ihre ersten Blends: ihren Sangiovese Montecucco und den Riserva 2015. Sie brauchten den ganzen Vormittag dafür. Aber als sie aus dem Labor traten, da lächelten sie breit. Und das nicht nur, weil sie den Wein häufiger mal geschluckt hatten, statt ihn auszuspucken.

Mittlerweile ist der 2015er-Riserva ausverkauft, der Jahrgang 2016 auf dem Markt, der 2017er noch in den Fässern. Wie sich „8 ettari“ entwickeln soll? Sie möchten in eine neue Kellerei und eine Probierstube investieren, vor allem aber die Qualität weiter steigern. „Schön wäre“, sagt Andreas, „irgendwann zu den besten zehn Prozent der italienischen Weinmacher zu gehören.“

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GLÜCK

Es ist Abend geworden. Andreas und Manfred sitzen mit der Gruppe von gestern an einer langen Tafel auf einer Piazza im Nachbardorf Cinigiano. Tortelli con Ricotta e Spinaci kommen auf den Tisch und eine Frage, über die sie kurz nachdenken: Was hat es mit ihnen gemacht, dieses Weingut?

„Du lernst viele tolle Menschen kennen“, sagt Andreas schließlich, „du lernst viel über Wein – und über Italien. Darunter leider auch“, er schmunzelt, „dass die Bürokratie mit der deutschen locker mithalten kann.“

Manfred sagt: „Unser Ziel war es vor allem, einen Wein zu machen, der uns selbst schmeckt. Wenn du das schaffst, stellt sich schon eine gewisse Zufriedenheit ein. Und was mir noch gefällt: Das Weingut lässt mich in eine andere Rolle schlüpfen. Früher habe ich am liebsten tonnenweise Papier verkauft, heute stehe ich mit Andreas auf Weinmessen und freue mich, meinen Rotwein für 10,50 Euro anzubieten.“ Noch mal lachen, anstoßen, den lauen Herbstabend genießen.

Morgen werden sie wieder heimfliegen, sich um Wellpappe kümmern, Manager sein. Heute Abend sind sie nur eines: zwei glückliche Winzer in der Toskana.