Von Anfang und Ende

Credit: Playboy Deutschland

Ein alljährliches Trauerspiel: Ohne Vollrausch sind die minutiös geplanten Feier-Riten an Silvester kaum zu ertragen. Alles soll spitze werden, alles ist Mist. Gut, dass Neujahr auf dieses Elend folgt – ein Tag für wahrhaft entspannte Genießer.

EINER von uns: Neujahr

Der 1. Januar ist wie der erste Tag eines Urlaubs. Man kann aus dem Vollen schöpfen – wenn man nicht zu heftig dieses blödsinnige Silvester gefeiert hat. Was trinken, auch schon morgens, Schläfchen machen, lecker essen, alle „Mad Men“-Folgen am Stück gucken. Ob ich diesen Tag vertrödele, fällt nicht ins Gewicht. Und niemand nimmt es einem übel.

Neujahr fühlt sich an wie diese Bierwerbung: keine Staus. Keine Hektik. Nur dass man sich nicht überall im Trenchcoat in den Sand fallen lassen kann (auch weil kaum noch jemand Trenchcoat trägt). Genug Sand gäbe es zum Beispiel auf Sylt. Wäre mal eine Idee: Anreise in Westerland am 1. Januar! Fällt dieses Mal übrigens auf einen Montag. Sylt, ich komme! Und zwar über leere Autobahnen, heute kannst du in der ganzen Republik richtig Gas geben. Keine Sonntagsfahrer unterwegs. Keine nervtötenden Jugendlichen auf den Straßen der Städte.

Schlaft ihr nur alle euren Rausch aus! Während ihr noch – unter Ausstoß abgestandenen Zigaretten-Atems („Bis null Uhr darf ich ja noch!“), den Kübel neben dem Bett und darin schlimmstenfalls eine doch nicht so hübsche Unbekannte – eurem kreissägeartigen Kater entgegendämmert, bin ich schon über alle Berge. Alles neu, alle Uhren auf null. Leere Restaurants, in denen gestern noch, dicht gedrängt, auseinandergelebte Paare saßen, gereizt vor ihrem schalen Gläschen Billig-Champagner zum 99-Euro-Silvestermenü: Hier werde ich heute behandelt wie ein König. Das Personal ist erlöst von der lästigen Jahresendkundschaft, die dauernd auf die Uhr guckt, den Service nicht würdigt und angespannt die Getränke- und Menüfolge runterzählt. Heute kann ich sündigen wie ein Weltmeister. Die Liste meiner Verfehlungen ist noch leer, dafür dasDezember gehalt auf dem Konto. DieserTag ist einfach gemacht für Genießer.

KEINER von uns: Silvester

Wer Partys liebt, muss Silvester hassen. Feiern heißt: sich locker machen. Silvester heißt: das Gegenteil. Schuld daran sind Leute, für die der letzte Tag des Jahres schon Anfang September beginnt. Dann stellen sie die Frage aller Fragen: „Was machst du an Silvester?“ „Keine Ahnung“, möchte man antworten, man hat ja noch Zeit. Falsch. Denn sobald die Freibäder schließen, reserviert die Sturmtruppe Spaß alle Tische, Berg- undStrandhütten des Planeten. Wer da nicht mitzieht, bleibt beim Jahreswechsel draußen. Aber wäre das so schlimm? Nein, wäre es nicht. Im Gegenteil.

Es ist ein seltsamer Aberglaube, dass sich das Schicksal des kommenden Jahres am letzten Tag des Vorjahrs entscheidet. Ich weiß ja nicht mal am ersten Mai, ob ich am zweiten tot umfalle. Und so zwingt der Aberglaube zum Planen des Unplanbaren: Silvester muss großartig werden! Als ob man in Bars, Clubs und auf Autorückbänken nicht eines gelernt hätte: dass der Zauber guter Nächte gerade darin liegt, dass alles anders und besser kam, als gedacht.

Silvester aber ist kein Tag für Überraschungen.

Das geilste Fondue, die geilste Puffbrause, die supergeilsten Polenböller: Alles muss das Vergangene toppen. Verständlich, wenn man an all die missratenen Silvesterfeiern der letzten Jahre zurückdenkt. Ein Teufelskreis aus Pärchenabenden mit den Freunden der Freundin, in überfüllten Restaurants zwischen Klo- und Kücheneingang oder in Clubs mit dem ungeschriebenen Abendmotto „Sauerstoffentzug“. Spätestens wenn man um Mitternacht im Raketendonner Menschen umarmt, denen man normalerweise nicht mal die Hand geben würde, sollte man sich daran erinnern: Ein Mensch kann 364 Tage im Jahr Spaß haben. Dieser Tag ist keiner davon.