Zugegeben: Wenn ich montagmorgens mal ein Bier aufmache und gar nichts tue, ist da noch immer ein Rest schlechten Gewissens. Erst arbeitet man, heißt es, dann vergnügt man sich. Diese Irrlehre sitzt tief. Noch heute fällt es mir leichter, am Abend nichts zu tun als am Morgen. Ich muss nicht erwähnen, dass morgendliches Nichtstun die eigentliche Königsdisziplin darstellt.
Aber ist das nicht total egoistisch? Und vor allem: furchtbar schlecht bezahlt? Nein. Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Gelingendes Nichtstun ist nicht nur sozial und umweltfreundlich, es lässt sich sogar Geld damit verdienen.
Allerdings ist es harte Arbeit, sich vom gegenwärtigen Tätigkeitswahn zu befreien. Ich habe kundige Lehrmeister benötigt, um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Sie hießen Pierre und Marie, züchteten Ziegen in Frankreich, ich wurde ihr Praktikant.
Da ich gelernt hatte, dass der Bauer früh in den Stall geht, stellte ich den Wecker auf sieben Uhr und saß danach drei Stunden allein in der Küche. Erst gegen zehn ließ Pierre sich sehen. „Schon wach?“, wunderte er sich, als er mich sah. Und er rauchte erst einmal zwei Gitanes ohne Filter.
Bis zum Abend mussten wir ein wenig Ziegenmilch melken und einmal die Woche etwas Käse auf dem Markt verkaufen. Das war’s. Viel Geld brachte es nicht ein, aber mehr als es einbrachte, brauchten Pierre und Marie nicht.
Nichtstun heißt nicht, auf Kosten anderer zu leben
Meine erste Einsicht: Nichtstun heißt nicht, auf Kosten anderer zu leben. Es meint nicht, gar nichts zu tun, es meint vielmehr, mit weniger von allem auszukommen. Mit weniger Auto, Haus, Urlaub. Mit weniger Stress, Arbeit, Geld. Normalerweise ist es ja so: Erst haben wir keine Zeit für uns wegen der Schule, dann keine Zeit für die Partnerschaft wegen der Ausbildung, dann keine Zeit für Kinder wegen des Berufs, dann keine Zeit für den Beruf wegen der Kinder. Wir lassen uns ausbilden, auspressen, und erst wenn wir uns aussortieren lassen, kommen wir wieder zu uns.
Nichtstun versucht, das abzukürzen. Damit macht es sich angreifbar. Für die gesellschaftliche Anerkennung ist es wichtig, am Schreibtisch zu sitzen. Was dort geschieht, ist dagegen zweitrangig. Die meisten Online-Einkäufe sollen ja zwischen 9 und 17 Uhr getätigt werden, beste Bürozeit.
Zur Arbeit fahren. Im Stau stehen. Sich vor dem Bildschirm den Nacken reiben. Schon wieder eine Mail mit „Lieber Herr Hartmann“ beginnen, obwohl der liebe Herr Hartmann der letzte Idiot ist, wie jeder im Betrieb weiß. Eigentlich will man das alles nicht. Eigentlich will man frische Luft, weite Sicht, ein bisschen platonische und sehr viel körperliche Liebe. Auch da habe ich von Pierre und Marie viel gelernt.
Obwohl sie seit Ewigkeiten zusammen waren, verschwanden Pierre und Marie ständig mit einem vielsagenden Grinsen in den ersten Stock. Als größter Feind eines glücklichen Liebeslebens gilt ja die Routine, der Alltag.
Der größte Feind des Liebeslebens ist nicht die Routine, sondern der Fleiß
Ich habe eine andere These. Der größte Feind des Liebeslebens ist nicht die Routine, sondern der Fleiß. Das Arbeitsethos. Die 40-Stunden-Woche, die unserem Liebesleben nur eine abendlich erschöpfte Randstunde zur Verfügung stellt. Das ist zu wenig. Da fühlt sich die Liebe beengt. Liebe hält sich nicht an die Zeiterfassung der modernen Verwertbarkeit.
Aber wie kommen wir da raus? Hätten wir all die intelligenten Arbeitssklaven, die Rasenmäher und Automobile, die Roboter und Spülmaschinen, dazu genutzt, uns die Arbeit vom Leib zu halten, wären wir mit vielen Stunden süßen Nichtstuns beschenkt worden. Aber wir können ja leider nicht stillhalten. Obwohl wir immer mehr Maschinen nutzen, die uns immer mehr Arbeit abnehmen, haben wir immer weniger Zeit. Warum? Weil uns das Wachstum zum Selbstzweck geworden ist. Ohne geht es nicht, heißt es. Aber stimmt das überhaupt?
Wenn ich weniger für Geld arbeite, habe ich mehr Zeit, nicht für Geld zu arbeiten, sondern für mich
Wenn ich weniger arbeite, konsumiere ich weniger. Wenn ich weniger konsumiere, muss ich weniger arbeiten. Wenn ich weniger für Geld arbeite, habe ich mehr Zeit, nicht für Geld zu arbeiten, sondern für mich. Also den Computer selbst zu reparieren, die Wohnung selbst zu streichen, erstes Gemüse selbst anzubauen. Und was ich nicht selbst kann, kann vielleicht mein Nachbar. Gelingendes Nichtstun meint ein Leben im Tausch.
Die klassische Konsumkritik ist ja ein wenig spaßfrei. Ich soll nicht fliegen, damit es in sieben Generationen keine Herbststürme gibt? Nun ja. Ich fliege viel lieber deshalb nicht, weil mir zu Hause nichts fehlt. Eiswanne für die Füße, kaltes Bierchen, Blick aufs Feld, schon bin ich im Sommerurlaub. Flug, Transfer, Kurtaxe – alles gespart! Wenn das nebenbei auch noch das Klima rettet, umso besser.
Einen Tag weniger arbeiten pro Woche - per Gesetz
Urlaub eingespart, denken Sie, schön und gut. Aber was ist mit dem ganzen Rest? Mit Gas, Wasser, Strom? Mit Miete, Sozialversicherung und Mittagessen? Ich gebe zu: Die wollen verdient sein. Und, keine Sorge, dafür arbeite ich natürlich. Manchmal gern, manchmal weniger gern. Wie jeder andere auch.
Es ist ja auch nicht alle Arbeit schlecht. Anständige Arbeit lässt sich im Allgemeinen daran erkennen, dass sie mies bezahlt ist. Und gerade wer wenig verdient, muss oft besonders viel arbeiten. Das ist nicht fair. Gelingendes Nichtstun stört sich an solchen Ungerechtigkeiten. Es hat immer das Wohl der ganzen Gesellschaft im Blick.
Wie wäre es daher, wenn wir alle einen Tag in der Woche weniger arbeiten dürften? Qua Gesetz. Nicht für ein verlängertes Wochenende, sondern für einen Tag, an dem getauscht und repariert wird, instand gesetzt und selbst gemacht. Sicher, mehr Geld würde das nicht einbringen. Dafür aber mehr Zeit. Und sehr viel Geld und Müll einsparen. Uns allen.
Erledigen Sie niemals zwei Dinge gleichzeitig!
Ich weiß schon: Das ist Utopie. Im Alleingang lässt sich unsere Arbeitszeit nicht um einen Tag reduzieren. Und die Forderungen zum Monatsersten wollen alle bezahlt sein. Auch ich komme da nicht raus. Das ist aber nicht weiter schlimm. Denn Nichtstun ist kein geschlossenes System und keine Ideologie, eher Irrtum und Versuch. Ein Vorhaben fürs ganze Leben.
Wenn Sie einige der wichtigsten Leitlinien beachten, ist schon viel gewonnen: Erledigen Sie niemals zwei Dinge gleichzeitig. Kaufen Sie nicht bei Tchibo. Rufen Sie keine Hotline an. Und machen Sie vor allem niemals Karriere!
Nichtstun macht glücklich, ist unschädlich und spart CO2. Nur die Wirtschaft kurbelt Nichtstun nicht an. Wir können nun entweder glücklich sein und aufs Kurbeln verzichten, oder wir kurbeln und verzichten aufs Glücklichsein. Noch entscheiden wir uns für die zweite Möglichkeit.
In Bhutan haben sie sich dagegen fürs Bruttoinlandsglück entschieden. Das wächst vor allem dann, wenn man gar nichts tut.
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