„Du bist wunderschön.“
„Und dein Bizeps ist auch nicht übel.“
„Es gibt also überhaupt keinen Grund, nervös zu sein.“
Dann zwinkere ich mir im Schlafzimmerspiegel noch mal aufmunternd zu und ziehe mich an. Noch darf ich ja Kleidung tragen.
Ich bin in Bodø. Das ist eine kleine Küstenstadt im Norden von Norwegen. Die meisten Touristen kommen hierher, um mit dem Schiff auf die Lofoten zu fahren. Ich bin hier, um mich vor Spencer Tunick auszuziehen. Der amerikanische Installationskünstler inszeniert Aufnahmen von nackten Menschenmengen.
2010 fotografierte er 5000 Menschen nackt vor der Oper von Sydney. Ein Jahr später legten sich 1200 Teilnehmer für ihn nackt ins Tote Meer, und 2012 zogen etwa 1700 Menschen für die Opernfestspiele in München blank. Und nun also Bodø. Die Bilder sollen anschließend im Rahmen der Biennale ausgestellt werden.
Warum ich trotzdem mitmache? Für Sex
Treffpunkt ist um 7.30 Uhr in einem Verwaltungsbüro der Gemeinde. Ein kalter Wind weht von der Küste durch die Straße. Mein Magen fühlt sich an, als ob mein Dickdarm ihn im Schwitzkasten hält. Ich bin nicht gern nackt. Selbst in der Sauna ziehe ich mir das Handtuch hoch bis zu den Achseln.
My body war noch nie my temple. Eher my Atommüll-Endlager Gorleben, wo ich alles hineinschütte. Cola zum Frühstück, Chips am Abend, ich sehe aus wie eine Birne – mit dickem Bauch und kraftloser Brust. Kein Anblick, den man sich einrahmen und ins Wohnzimmer hängen möchte.
Warum ich trotzdem mitmache? Für Sex. Ich meine: Wie schwer kann es schon sein, eine Frau ins Bett zu bekommen, die bereits nackig ist? Und offensichtlich sehr aufgeschlossen? Eben. Außerdem bin ich ja nicht das einzige Model. Das ist wie eines dieser „Wo ist Walter?“-Wimmelbilder im Wartezimmer des Kinderarztes. Da wird mich später niemand erkennen.
Doch als ich das Verwaltungsgebäude betrete, sind dort nur ungefähr 150 Teilnehmer. Ich stand schon in Supermarktschlangen mit mehr Menschen. Verdammt. Selbst ein schielender Dreijähriger würde Walters haarige Klöten auf diesem Foto finden. Die meisten schätze ich zwischen 40 und 50 Jahre. Sie sehen nun, da sie noch Klamotten tragen, eigentlich ganz normal aus. Manche sind sogar extra aus den USA angereist, um mitzumachen.
Nervös tigere ich durch den Raum. Philosophische Gedanken flitzen mir durch den Kopf: „Ist es nicht viel merkwürdiger, seinen Körper mit Stoff zu verhängen?“ Und: „Hätte ich vorher masturbieren sollen?“ Schließlich ist das Letzte, was du möchtest, wenn du mit 100 Menschen nackt auf dem Boden liegst, eine Erektion, die wie ein Leuchtturm aus dem Fleischteppich nach oben ragt. Ob ich kurz aufs Klo verschwinden und … aber schon kommt die Ansage: „Es geht los! Alle ausziehen.“
Da stehe ich nun: splitternackt zwischen lauter Fremden
Wie eine perverse Soldatentruppe laufen wir in Zweierreihe nackt aus dem Gebäude. Spencer Tunick steht auf einer Leiter und dirigiert mit einem Mikrofon seine Assistentin, die uns auf einer Kreuzung platziert und wie Schachfiguren verschiebt. Und da stehe ich nun. Splitternackt mitten auf der Straße in einer ruhigen Wohngegend zwischen lauter Fremden. Wenn jetzt ein Attentäter mit einem Auto in die Menschenmenge rast, dann sterbe ich nackt in der norwegischen Einöde mit dem Hoden auf der Frontscheibe eines IS-Terroristen.
Spencer macht ein paar Fotos und befiehlt, das wir uns als Nächstes alle umdrehen sollen. Ich gehorche, und nun steht eine schlanke Frau vor mir. Wow, was für ein Po. Braun gebrannt und rund wie eine Orange. Darüber schmiegt sich rötliches Haar an ihren schmalen Rücken. Als auch dieses Foto im Kasten ist und wir wieder zurück zum Verwaltungsgebäude marschieren, würde ich gern etwas zu ihr sagen. Aber was?
„Na du, auch hier?“ Ne. „Schöne Brüste.“ Hm. Vielleicht eine Spur zu direkt. „Dein Vater muss ein Dieb sein, er hat ...“ Jetzt reiß dich mal zusammen, Mann.
Aber da ist sie schon im Gewühl untergetaucht. Verdammt. Wir ziehen uns an und laufen alle zusammen zum Pier, wo Spencer Tunick ein weiteres Foto mit uns machen möchte, wie wir nackt eine Boje in die Höhe heben. Keine Ahnung, was das soll, aber es ist mir auch egal. Etwas anderes beschäftigt mich: Ich finde meine schöne Eva nicht mehr. Zu schade.
Arsch-Muttermal und Dekolleté-Tattoo
Am Abend hat das Foto-Team zu einer kleinen Feier in eine Bar am Hafen eingeladen. Aber als ich um halb zehn dort aufschlage, entdecke ich niemanden der anderen. Es fällt mir schwer, sie mit Klamotten wiederzuerkennen. Der hagere Mann am Tresen mit dem Whisky könnte das Arsch-Muttermal von heute Morgen sein. Und das Mädchen dort hinten am Stehtisch – ist das nicht die Teilnehmerin mit dem Tattoo auf dem Dekolleté?
„Hi!“ Die hübsche Rothaarige steht plötzlich neben mir. Träum ich?
„Du warst doch heute früh auch dabei, oder?“ Sie klingt unsicher. „Hast du die anderen schon gesehen?“
„Leider nein. Ich weiß aber auch nicht, ob ich sie wiedererkennen würde.“
Das Mädchen lacht. „Geht mir genauso.“
„Aber wir können doch schon mal was zusammen trinken, oder?“
Sie nickt, und ich bestelle zwei Bier.
„Ich muss sagen, ich war echt beeindruckt von deiner Selbstsicherheit heute Morgen.“
„Oh, Danke schön. Aber sieht mein Körper so schlimm aus, dass ich nervös hätte sein müssen?“
„Nnnnein, ggggar nicht.“ Ich stottere wie ein Schuljunge.
Sie lacht. „Nacktheit ist doch etwas total Natürliches.“
Na ja, Stuhlgang auch. Trotzdem willst du nicht auf Polaroid festhalten, wie ich nach einer Portion Chicken Tikka Masala auf der Schüssel hocke. „Da hast du völlig Recht“, sage ich und bestelle noch eine Runde. Und dann bestellt sie noch eine Runde. Und als ich die dritte Runde bestellen möchte, schlägt sie vor: „Gern. Aber vielleicht woanders?“
Wie der Abend weitergeht? Ein Gentleman schweigt bekanntlich. Nur so viel sei verraten: Der Tag endet, wie er angefangen hat. Nackt.
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