Das Leben ist kein Ego-Spiel, sondern eine Bio-Lotterie: Wem es gesunde Erbanlagen und gute Erfahrungen zuwürfelt, darf froh sein. Humorlos bleibt nur, wer sich für den Schöpfer des eigenen Erfolgs hält, sagt unser Autor

Wir übertreiben schon, wenn wir „ich“ sagen. Denn dieses „grandiose Ich“, an das wir uns so verzweifelt klammern und das uns so ungemein bedeutsam erscheint, ist nur ein virtuelles Theaterstück, das von einem blumenkohlförmigen Organ in unseren Köpfen inszeniert wird.

Für Sigmund Freud war die Erkenntnis, dass das Ich nicht einmal „Herr im eigenen Haus“ ist, die „dritte fundamentale Kränkung“ (nach Kopernikus und Darwin), welche die Wissenschaft der „menschlichen Selbstverliebtheit“ zugefügt hat. Und der Abschied vom „stolzen Ich“ tut bis heute vielen weh, denn er verletzt unser Selbstwertgefühl. Nur wenige Menschen erkennen darin die Chance, das eigene Eingebildetsein zu überwinden und ein entspannteres, humorvolleres Selbstbild zu entwickeln.

Einer dieser wenigen war Albert Einstein. Was andere als Kränkung empfanden, war für ihn eine „unerschöpfliche Quelle der Toleranz“. Denn das Bewusstsein, dass wir gar nicht anders sein können, als wir aufgrund unserer Anlagen und Erfahrungen sein müssen, mildert laut Einstein „in wohltuender Weise das leicht lähmend wirkende Verantwortungsgefühl“ und macht, „dass wir uns selbst und die andern nicht gar zu ernst nehmen“. Dies führe „zu einer Lebensauffassung, die auch besonders dem Humor sein Recht lässt“.

Ein Trump-Ich ist anstrengend

Man versteht diese Einstein’sche Sichtweise vielleicht besser, wenn man sie mit der entgegengesetzten Perspektive konfrontiert, in der das Ich eine besonders herausgehobene Position einnimmt. Nennen wir diese Anti-Einstein-Sichtweise der Einfachheit halber die Trump’sche Perspektive (wohl niemand könnte diese Rolle derzeit perfekter ausfüllen als der Mann mit der charakteristischen Frisur): In der Trump’schen Wahrnehmung steht das eigene Ego im Zentrum der Welt.

Mit einem Trump-Ich musst du dir selbst und den anderen immer wieder beweisen, was für ein „toller Hecht“ du bist, sodass dir auch wirklich jenes hohe Maß an Bewunderung entgegengebracht wird, das einer „bedeutenden Person“ wie dir gebührt.

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Dies ist in vielerlei Hinsicht anstrengend – nicht zuletzt deshalb, weil jeder Mitmensch zur möglichen Gefahr wird. Könnte er doch offenlegen, dass du längst nicht so großartig bist, wie du dich gibst. Um dein grandioses Selbstbild aufrechtzuerhalten, wirst du daher gar nicht anders können, als deinen Kritikern „Fake News“ vorzuwerfen. Sind ihre Argumente zu stark, präsentierst du „alternative Fakten“. Hilft auch das nicht, suchst du dir Sündenböcke. Das Bedürfnis nach Geltung gebiert ein nicht minder starkes Bedürfnis nach Vergeltung.

Entspannen mit Einstein

Völlig anders sieht die Welt in der Einstein’schen Perspektive aus: Hier bleibst du entspannt, da du dich selbst nicht mehr wahnsinnig ernst nimmst. Du weißt ja, dass deine Erfolge und Misserfolge auf Milliarden und Abermilliarden von Faktoren zurückzuführen sind, die außerhalb deiner Kontrolle liegen. Und wenn dir erst einmal aufgegangen ist, dass es gar nicht in deiner Macht lag, die Fehler, die du begangen hast, in der gegebenen Situation zu vermeiden, wirst du sie zwar bereuen – je nach Schwere vielleicht auch heftig. Aber du wirst dich nicht obendrein mit Schuldgefühlen quälen.

Selbst ein Mörder muss nicht jenes Monster in sich sehen, das traditionelle Moralvorstellungen aus ihm machen, sondern hoffentlich einen resozialisierbaren Menschen. Kritik und Korrektur empfindet, wer so denkt, nicht mehr als Bedrohung der eigenen Person, sondern als ein Geschenk, mit dessen Hilfe er sich weiterentwickeln kann. Man könnte es vielleicht als das E = mc2 einer neuen Bewusstseinskultur beschreiben: Wenn du dich nicht mehr schuldig fühlst, der zu sein, der du bist, fällt es dir leichter, der zu werden, der du sein könntest.

Und dies gilt selbstverständlich auch für deine Mitmenschen, die unter Wahrung der Naturgesetze ebenfalls nicht klüger, gerechter oder liebevoller sein konnten, als sie es de facto waren. Schließlich hat jeder von uns in jedem Moment seines Lebens nur einen spezifischen Hirnzustand, auf dessen Basis er Entscheidungen trifft – keinen zweiten alternativen Hirnzustand, der eine alternative Entscheidung ermöglicht. Wenn man dies begriffen hat, ist es sehr viel einfacher, nicht nur sich selbst, sondern auch anderen zu vergeben.

Wir wollen – vergeblich – Mini-Götter sein

Die Einstein’sche Perspektive zeigt, dass unsere moralischen Begriffe von Gut und Böse, Schuld und Sühne, Stolz und Scham auf falschen Überzeugungen beruhen im Hinblick auf die Ursachen unseres Denkens, Handelns und Empfindens. Denn sie gründen auf der Fiktion, dass wir Menschen über Fähigkeiten verfügen, die in der gesamten Natur nicht vorkommen: Wir wollen Miniaturausgaben jenes „ursachenfrei agierenden Gottes“ sein, als dessen Ebenbilder wir uns jahrtausendelang wähnten.

Erst wenn wir von dieser Illusion des „grandiosen Selbst“ ablassen und uns als Teil der Naturkausalität verstehen, werden wir die Welt so gelassen betrachten können, wie Einstein es vorgeschlagen hat.

Credit: Michael Pleesz für Playboy

Von Donald Trump hätte der Physiker wohl nicht allzu viel gehalten. Schließlich war Einstein überzeugt, dass der „Wert eines Menschen dadurch bestimmt“ sei, „in welchem Grad und in welchem Sinne er zur Befreiung vom Ich gelangt ist“. Auf diesem Gebiet hat der amtierende US-Präsident gewiss nicht seine größten Stärken. Aber: Steckt nicht ein wenig Trump in jedem von uns? Verschwenden wir nicht alle viel zu viel Energie darauf, uns und der Welt etwas vorzumachen?

Es hätte leicht anders kommen können

Klar ist: Wer auf „eigene Verdienste“ stolz ist, verkennt, wie leicht es hätte anders kommen können. Schon ein kurzer Sauerstoffmangel bei der Geburt hätte dafür gesorgt, dass ich keine Aufsätze für den Playboy schreiben, sondern Kugelschreiber in einer Behindertenwerkstatt zusammenschrauben würde. Und ein anderer Freundeskreis in der Jugend hätte genügt, dann würde ich heute nicht auf Vortragsreisen gehen, sondern eine langjährige Haftstrafe verbüßen.

Niemand hat es sich ausgesucht, der zu sein, der er ist. Und so hat jeder, der eine positive Lebensbilanz ziehen kann, allen Grund, sich zu freuen. Nur sollte er sich beim besten Willen nichts darauf einbilden, sondern dankbar sein für die unüberschaubare Kette von Faktoren, die ihn in seine komfortable Lage gebracht habt – statt ins Gefängnis, in die Psychiatrie oder in eines der vielen Elendsviertel dieser Welt. Vergessen wir nicht: Das Leben ist eine Lotterie, bei der einige ein Traumlos ziehen, während es andere übel trifft. Wer sich darauf etwas einbildet, hat nur wenig vom Leben begriffen.