Ab Ende 2017 soll er im Handel sein. Und sicher wird er nicht ganz so kühn aussehen wie die beiden Konzeptfahrzeuge, die Mercedes jetzt in Stockholm enthülte. Doch der Pickup namens X setzt Zeichen: groß und bullig im Auftritt, bärenstark motorisiert und innen jede Menge Luxus. Das hat man im Segment der Pritschenwagen noch nicht gesehen. Und es könnte die Nische in der Nische besetzen. Mercedes selbst spricht vom „ersten Premium-Pickup“.
Die erste der beiden Designvarianten heißt „Concept X-CLASS powerful adventurer“. Der gelbgrüne Riese soll robust, funktional, belastbar und geländegängig sein. Beim weißen „Concept X-CLASS stylish explorer" hingegen stehen Design, Komfort, Fahrdynamik und Sicherheit oben auf der Liste. Beide Fahrzeuge gehören zum Segment der so genannten „Midsize-Pickups“, können mehr als eine Tonne Beladung huckepack nehmen und fünf Personen transportieren. Der deutsche Käufer steht bei der angepeilten Zielgruppe ausnahmsweise nicht an erster Stelle. Kernmärkte seien Argentinien, Brasilien, Südafrika, Australien mit Neuseeland und dann erst Europa, so Mercedes.
„Leiterrahmen, Sechszylindermotor mit hohem Drehmoment sowie permanenter Allradantrieb sind für uns Pflicht“, sagt Volker Mornhinweg, Leiter der "Mercedes-Benz Vans"-Sparte. Und die Kür? „Sicherheit, Komfort, Agilität und expressives Design.“
Der Pickup: Neuer Trend nach dem SUV
In den USA stehen riesige Pickups schon seit Ewigkeiten ganz oben in der Verkaufshitparade. Pritschenwagen wie der Ford F-150, das meistverkaufte Fahrzeug der USA überhaupt, erinnern die Amerikaner offenbar an ihre alten Planwagen aus Wildwest-Zeiten. Mittlerweile erobert der Fahrzeugtyp des offenen Transporters – wenn auch eine Nummer kleiner – die ganze Welt*. Vom reinen Lastesel hat er sich dabei auch zum Lifestyle-Laster gemendelt, der zugleich beruflich und privat genutzt werden kann. Die so genannte "Doppelkabine" ist die beliebteste Karosserieform – sie bietet je nach Modell Platz für vier bis fünf Passagiere.
Der Pickup könnte in die Fußstapfen des SUVs treten, das vor etwa 20 Jahren seine erstaunliche Entwicklung begann. Aus dem reinen Geländewagen wurde ein „Sports Utility Vehicle“, also ein Fahrzeug fürs Sportgerät, das im Gelände weniger kann, aber auf der Promenade dafür umso mehr. Auch hier war Mercedes-Benz mit der M-Klasse früh an der Startlinie.
Kein X für die USA
Was jetzt erstaunt: In den USA, dem wichtigsten Pickup-Markt überhaupt, will Daimler die X-Klasse offenbar gar nicht anbieten. Vermutlich wollen sie zunächst im Midsize-Segment den Markt ausloten und sich einen Namen machen, um später mit einem größeren Fullsize-Pickup die USA aufzurollen. Es dürfte also nur eine Frage der Zeit (und des Erfolgs) sein, bis auch ein Pickup im S-Klasse-Format präsentiert wird. Und dann, irgendwann, vielleicht ein Cabrio wie seinerzeit der kultige Chevrolet SSR? In Zeiten, da Autohersteller laufend neue Nischen besetzen oder erfinden, ist kaum mehr etwas unvorstellbar.
Die grüne Version „Powerful Adventurer“ ist satte 1,90 Meter hoch und steht auf Riesenrädern der Dimension 35x11.50. Also eher ballonartige, klassische Offroad-Schlappen mit groben Stollen. Unterfahrschutzbleche vorn und hinten, "Claddings" (Schutzleisten) an den Kotflügeln, Radhäuser aus mattem Karbon, eine elektrische Seilwinde vorn und ein Metallhaken am Heck machen den Adventurer zum lässigen Arbeiter im Edel-Overall.
Die weißmetallic lackierte Version „Stylish Explorer“ hingegen setzt mehr auf Stil und clevere Details. Die markante Front verbindet das markentypische SUV-Gesicht mit dem Gesicht der eleganten Mercedes-Benz Coupés. Massive Powerdomes auf der Motorhaube und weit in die Kotflügel gezogene Scheinwerfer umrahmen den Ein-Lamellen-Kühlergrill mit Zentralstern. Die weit ausgestellten Radläufe lassen das Fahrzeug satter auf der Straße stehen als seinen senffarbenen Bruder. Dennoch sollen die breite Spur und 22 Zoll große Räder auch den weißen Riesen zu einem wahren Offroad-König machen. Wegen des längeren hintern Überhangs erklimmt er allerdings nur etwas flachere Hänge als der Adventurer. Die Trittbretter sind in die Karosserie integriert. Das Heck ziert eine umlaufende LED-Lichtleiste in einem schmalen Chromrahmen.
Auch im Innenraum unterscheiden sich die beiden Konzeptfahrzeuge. Der außen weiße „Stylish Explorer“ lässt innen warme gegen kalte Farben antreten. Braunes Nubukleder auf den Sitzen und dem Armaturenbrett trifft auf weißes Nappaleder, offenporige, geräucherte Eiche und Aluminium-Zierteile, die teils gebürstet und teils poliert sind. Wenn da der Förstergeselle mit seinen Matschstiefeln einsteigt, gibt's vom Waldmeister sicher Haue.
Der „Powerful Adventurer“ hingegen trägt innen wie außen matte Karbonelemente. HInzu kommen metallische, gebürstete Oberflächen und schwarzes Leder, mal Nappa, mal in Kohlefaseroptik geprägt. Um den Seitenhalt im Gelände zu verbessern, sind die Sitzwangen in schwarzem Leder mit "extrem gutem Grip" gehalten, schwärmt Mercedes. Vorn auf dem Armaturenbrett prangt unübersehbar ein Feuerlöscher. Auch ein extrem guter Halter für eine Thermoskanne...
„Die Pickups sind hot und cool“, sagt Gorden Wagener, Leiter Design der Daimler AG. Der Adventurer drücke mit seinen progressiven Formen „coole Modernität und Abenteuerlust“ aus, während der Explorer "durch pure Emotion eine moderne Schönheit erlebbar“ mache. Wie auch immer man es beschreibt, die X-Klasse hat in jedem Fall das Zeug zum neuen Lifestyle-Laster. Deshalb wird Mercedes-Benz gleich zur Markteinführung ein ansehnliches Zubehörprogramm anbieten – von der Ladeflächenabdeckung bis zu diversen Styling-Elementen. Den lukrativen Markt des Customizing mit Bullenfängern, "Light-Bars" und allerlei Chrom-Gedöns, wie es Show-Off-Offroader so lieben, werden sie sicher nicht anderen überlassen.
V6 Diesel, Allrad, Geländeuntersetzung und Differentialsperren
Gebaut wird der Pickup in einer Produktionsgemeinschaft mit der Renault-Nissan Allianz. Die strategische Kooperation der beiden Konzerne geht mittlerweile ins siebte Jahr.
Das Top-Modell bekommt einen V6-Diesel und permanenten Allradantrieb mit elektronischem Traktionssystem sowie ein Verteilergetriebe mit Geländeuntersetzung und zwei Differenzialsperren. Unter extremen Offroad-Bedingungen kann der Fahrer das Hinterrad- und das Längsdifferenzial sperren.
Laut Mercedes-Benz soll der Wagen 1,1 Tonnen Nutzlast tragen und bis zu 3,5 Tonnen ziehen dürfen. Er könne also rund vier Kubikmeter Kaminholz auf der Ladefläche transportieren und ein stattliches Segelboot am Haken haben – und zwar gleichzeitig!
*Den aktuell größten Anteil am Gesamtfahrzeugmarkt haben Midsize-Pickups mit 14,1 Prozent in Australien, dicht gefolgt von Argentinien mit 11,6 Prozent. Damit ist in beiden Ländern rund jedes achte zugelassene Fahrzeug ein Pickup der Ein-Tonnen-Klasse. In Brasilien beträgt der Anteil der mittelgroßen Pickups am Gesamtfahrzeugmarkt fast fünf Prozent. In Deutschland sind es 0,5 Prozent, in Großbritannien 1,3 Prozent, in der Türkei 1,4 Prozent und in Russland 0,8 Prozent. (Quelle: Daimler AG)
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