Zuverlässig dreht der „Fetzenflieger“ seine Runden. Der Fahrer muss sich auf seine linke Hand konzentrieren, denn dort befindet sich der Schalthebel. Kalt weht ihm der Winterwind ins Gesicht, der magere Windabweiser bringt fast nichts. In den 1950er Jahren war der Wagen hier beim Eisrennen in Zell am See unschlagbar – diesmal allerdings ist es anders. Das liegt nicht daran, dass nicht der armgelähmte Erbauer des Kit-Cars mit Porsche-Motor, Otto Mathé, am Steuer sitzt – er starb bereits 1995.
Und auch Oliver Schmidt, Chef des Hamburger Prototypenmuseums und damit Eigner und Pilot des alten Renners, kann nichts dafür: Erstens fährt in dieser Klasse Konkurrenz bis Baujahr 1998 mit – da hat dieses Unikum von 1952 natürlich keine Chance. Und zweitens sind die Spikes in seinen Reifen nur 2,5 Millimeter lang – er hat schlicht keinen längeren für 15-Zoll-Räder gefunden. Aber die vielen Zuschauer wissen genau, wie viel Historie hier ihre Runden zieht.
Kein Geringerer als der Urenkel von Firmengründer Professor Ferdinand Porsche, der junge Ferdinand Porsche, hat es mit Hilfe von Freunden geschafft, das ehemalige Porsche-Gedächtnisrennen in der österreichischen Heimatgemeinde der Stuttgarter Familiendynastie zu reanimieren – mit dem Glück von viel Schnee und tiefen Temperaturen in diesem Januar. Die Tradition des Eisrennens in Zell am See geht zurück auf die Olympischen Winterspiele 1928 in St. Moritz. Damals zogen Pferde Könner auf Skiern über eine Rennpiste, der Sport nennt sich „Skijöring“. Neun Jahre später fand das erste Event in Zell am See statt – aber die Pferde waren ersetzt durch Motorräder. 1952 wurde das Spektakel professionalisiert – ein Paul Schwarz gewann das neu gegründete „Dr.-Porsche-Gedächtnis-Skijöring“. Schon ein Jahr später wurden Autos als Zugfahrzeuge eingesetzt.
1956 mutierte die Veranstaltung auf dem zugefrorenen See zum Motorrad- und Auto-Eisrennen – Otto Mathé fuhr mit seinem „Fetzenflieger“ eine Rekordrunde in 2:37 Minuten. Der Wagen heißt (noch heute) so, weil Mathé auf die Karosserieteile seitlich des Motors verzichtete, um schneller Zündkerzen wechseln zu können. Einziger Schutz: dünne Planen, die allerdings bei Fehlzündungen schon mal in Brand gerieten – dann flogen die glühenden Fetzen. Bis 1959 gewann er mit seinem nur 395 Kilo schweren Eigenbau hier jedes Finale.
In den folgenden Jahren fiel so viel Schnee, dass das Rennen nicht stattfinden konnte. Erst 1964 ging es weiter – mit dem neuen Rekordhalter Otto Lantenhammer, einer späteren Tunerlegende. Er raste mit 109,7 km/h über die Piste. 1969 wurde das Rennen auf eine Eispiste am Alpenflugplatzgelände verlegt. 1973 raste Börje Sjöbom schon mit 114,28 km/h durch die Runde – neuer Rekord. Nachdem das Rennen 1974 kurzfristig wegen eines verunglückten Räumfahrzeuges abgesagt wurde, kam es danach nicht mehr zu einer Neuauflage. Bis 2019.
Und wie. Mehrere tausend Menschen säumten nun zwei Tage lang bei heftigen Minusgraden die Eispiste, die fast einen Monat lang präpariert wurde. Der rund 600 Meter lange Rundkurs auf dem Gelände des alten Flughafens ist als Trioval ausgebildet, mit einer Beule – das ist die „Jokerrunde“.
Das Reglement ist einfach: Einzelzeitfahren zur Qualifikation, die erste und die zweite Runde inklusive zweier Jokerrunden werden summiert und gewertet. Die besten vier pro Klasse (Buggys, Old- und Youngtimer, Tourenwagen und Rallyeautos mit einer angetriebenen Achse, Allradtourer und -Rallyeautos) fahren das Finale.
Allerdings ist völlig egal, wer gewinnt. Die Show ist alles. Mit bis zu sieben Millimeter langen Spikes raspeln die unzähligen Autos – vom Trabant bis zum Porsche GT3 RS, vom Puch 600 bis zum Audi S5 DTM – das Eis weg, so dass die Partikel in Massen auf die Zuschauer niederschneien. Helden sind auch die Skifahrer, die sich von einigen der Autos im „Skisjöring“-Wettbewerb übers Eis ziehen lassen, und von zum Beispiel Mitsubishi Evo diverser Ausbaustufen, die bekanntlich verdammt schnell sind bei allen Bedingungen.
Und wenn Röhrl seinen alten Audi Sport quattro um die Ecken driftet, Mark Webber einen Museum-356 quer treibt, Daniel Abt in einem Formel-E-Audi einen Skifahrer über die Piste zieht oder Hans-Joachim Stuck den Auto Union seines berühmten Vaters aufheulen lässt, sind die 45 Jahre ohne Eisrennen vergessen. Ein originaler Mille-Miglia-Alfa, ein seltener Martini-BMW 700, abgerockte Karmann, Käfer und 356, tolle Renn-Escorts, Saab 96, Porsche 924 und 928 (und natürlich 911 in allen Ausprägungen), Mercedes W123 Coupé, Alfa Sud, Lancia Delta Integrale, Ford Lotus Cortina, Subaru WRX STI und noch viel mehr – so viel Action und Sound hat Zell am See trotz Horden von Skifahrern lange nicht mehr erlebt.
Die Fortsetzung 2020 steht schon fest. Bleibt nur zu hoffen, dass das Spektakel dann nicht auf Matsch und Gras stattfinden muss. In den vergangenen Jahren gab es in Zell am See verdammt wenig Schnee…
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