Es herrscht Ausnahmezustand im thüringischen Eisenach. Überall Mutanten! Kleinwagen, die wir als brave Straßenfahrzeuge oder knatternde Oldtimer kennen, haben sich in Rallye-Autos verwandelt. Mit riesigen Spoilern und mächtigen Motoren. Zwischen Trabants und Wartburgs: der Peugeot 208 T16 R5 des Teams Peugeot Romo. Am Steuer: Christian Riedemann, 29 Jahre alt. Mit den 280 PS
des französischen Kompaktwagens wirbelt er in der Deutschen Rallye-Meisterschaft (kurz: DRM) deutschlandweit regelmäßig Staub auf. Heute wird der Osten der Republik aufgemischt.
Neben ihm sitzt für gewöhnlich seine Co-Pilotin, die Belgierin Lara Vanneste. Doch heute übernehme ich ihren Platz und lasse mich bei der ADAC Cosmo Rallye Wartburg ordentlich durchrütteln. Das geht natürlich nur, weil Riedemann die Strecke bereits kennt. Ansonsten müsste ich ihm das „Gebetbuch“ vorlesen. So nennt man die Notizen, die sich der Beifahrer macht und mit denen er dem Piloten die nächste Kurve voraussagen kann. Ohne Beifahrer wäre ein Rallye-Pilot nichts.
Statt Notizen vorzulesen, soll ich mir heute welche machen. Mal sehen, ob ich dazu komme. Als das Motordonnern losbricht, ahne ich, dass ich vermutlich kein ruhiges Händchen haben werde.
Schon vor dem Einsteigen ist mein Rennanzug nass geschwitzt. Ich schiebe es auf das sommerliche Wetter, da fällt der Angstschweiß – Angstschweiß? Wer hat hier Angst?! – doch kaum ins Gewicht. Zumal es im Cockpit richtig behaglich ist. „Hier werden es schon mal 55 Grad“, sagt Christian und tritt das Pedal durch, kaum dass ich angeschnallt bin. Mit dem riesigen Knüppel der sequenziellen Schaltung knallt er die Gänge durch, während er sich locker mit mir unterhält.
Ich gebe es zu: Bisher war ich nicht der größte Motorsport-Fan. Doch hat man die wahnwitzigen Manöver einmal derart hautnah erlebt, versteht man, warum sich so viele Zuschauer an der Strecke drängeln. Sie wollen den Speed und den Staub und das kaum fassbare fahrerische Können der Rallye-Helden miterleben.
Christian schaltet schneller, als ich blinzeln kann, gibt im einen Moment noch Vollgas, nur um dann urplötzlich zu bremsen, die Lenkung einzuschlagen und in irgendwelche Schotterwege abzubiegen, die ich nicht einmal gesehen habe. Wir fliegen über Kuppen, werden in Senken zusammengepresst, driften durch die Kurven, dass die Steine bis zum Mond fliegen. Ich komme mir vor wie eine Socke im Schleudergang. Wäre ich ein richtiger Co-Pilot, müsste ich in dieser Situation also irgendwelche Kürzel laut vorlesen wie „rechts, drei, voll“ oder was weiß ich. Unfassbar. Mein Magen ist auf links gedreht, ich fühle mich leer wie ausgepresst.
Dann werden wir langsamer, Christian parkt auf dem Grünstreifen und ruft die Techniker. „Irgendwas stimmt mit der Kupplung nicht. Na ja, besser jetzt als im Rennen.“ Was er noch nicht wissen kann: Beim Wertungslauf am nächsten Tag wird das Peugeot-Team einen hervorragenden zweiten Platz einfahren.
Wir schnallen uns ab und steigen aus. Ich atme kräftig durch. Frischluft! „Alles gut?“, fragt Christian. „Das war erst das Aufwärmprogramm. Jetzt fahren wir mal zwei richtige Runden!“
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