Manche Autos sind fürs Gelände gemacht. Andere wie der F-Type Roadster von Jaguar, der Name sagt es, für die Straße. Einen solch grazilen Sportwagen geländegängig zu machen ergibt ungefähr so viel Sinn, wie einem Langstreckenläufer Kampfsporttraining zu verordnen. Es sei denn, zum Zweck einer ganz besonderen Show. Und genau deshalb hat Jaguar mit dem Jaguar F-Type Rally Car das Experiment gewagt – als Hommage an den legendären Jaguar XK 120, mit dem der britische Autohersteller vor rund 70 Jahren in den Motorsport einstieg und Rallyes wie den Coupe des Alpes bestritt.
Zur Feier bauten die Ingenieure jetzt zwei reguläre F-Type-Cabrios gemäß den Regularien der Weltmotorsportbehörde FIA in waschechte Rallye-Fahrzeuge um. Als unverkäufliche Showcars sollen sie Jaguar in nächster Zeit auf Motorsport-Veranstaltungen dienen. Und Lust machen auf eine F-Type-Sonderedition zum Sportjubiläum namens „Chequered Flag“ (Englisch für die schwarz-weiß karierte Zielflagge), die sich optisch an die zwei Showcars anlehnt und demnächst als Cabrio sowie als Coupé erhältlich sein wird.
Alles nur Show also? Nein, das sollten wir nicht vorschnell behaupten. Sondern auf dem matschigen Rallye-Parcours des Jaguar-Testgeländes im britischen Ort Fen End erleben und sehen, dass die Operation von der eleganten Straßen- zur robusten Schlammschleuder wirklich gelungen ist. Also: hinreisen, Helm aufsetzen und ab ins Cockpit. Schon vor dem Einsteigen fallen die Unterschiede zur Serie auf. Wie beim Motorrad herrscht tatsächlich Helmpflicht, denn das für den Rallyesport unpassende elektrische Faltdach ist weg, stattdessen gibt es einen stabilen Überrollkäfig, Rennsitze mit 6-Punkt-Gurt und sogar eine elektrische Feuerlöschanlage.
Um Gewicht zu sparen, wurden die Türen durch leichtere Carbon-Konstruktionen ersetzt. Und auf Seitenscheiben hat man gleich komplett verzichtet – wovon später unsere völlig eingematschte Garderobe zeugen wird. In der Mittelkonsole finden sich zwei Ausschaltknöpfe für die Elektrik sowie für sämtliche Assistenzsysteme von ABS bis zur Traktionskontrolle. So etwas brauchen echte Rallyefahrer nicht. Außerdem kann man von hier die vierteilige Scheinwerferbatterie aktivieren, die zusätzlich auf die Fronthaube montiert wurde. Die wichtigste Änderung ist jedoch der lange Stock direkt neben dem Lenkrad: eine hydraulische Handbremse – das für jeden Rallye-Driver vielleicht unverzichtbarste Werkzeug.
Dann beim Starten des Motors die nächste Überraschung: Anstelle des Röhrens eines F-Type-SVR-Achtzylinders ertönt nur ein sanfter Reihenvierzylinder. Um Gewicht zu sparen und auch um eine optimale Verteilung von beinahe 50 : 50 auf die Achsen zu erreichen, hat man bewusst den F-Type P300 mit der schwächsten Motorisierung gewählt. Wobei schwach bei diesem 2-Liter-Turbo immer noch 300 PS bei 400 Newtonmeter Drehmoment bedeutet. Genug, um sich hoffnungslos in jeden Schlamm einzugraben. Wir starten Vollgas nach vorn bis knapp 4000 Touren. Schon beim Schalten merkt man, wie selbst auf gerader Strecke der Heckantrieb im Matsch leicht zur Seite ausbrechen will. Dann folgt die erste Kurve, und fast hätten wir schon hier unser Hinterteil verloren, nur schnelles und heftiges Gegenlenken kann das verhindern. Schnell merkt man, wie extrem dieses Fahrzeug an die schroffe Schotter- und Schlammpiste angepasst wurde. Unter der Haube befinden sich jetzt Rennsport-Dämpfer, geschlitzte 295-Millimeter-verstärkte Bremsscheiben sowie ein mechanisches Sperrdifferenzial an der Antriebsachse. Außerdem ist der Wagen um 25 Millimeter aufgebockt, nicht nur für mehr Bodenfreiheit, sondern auch, um Platz für die fünf Millimeter dicken Alu-Platten zu machen, die als Schutz für den Unterboden
fungieren.
Wie bei einer richtigen Rallye übertönt unsere Instruktorin den 4-Zylinder-Turbo mit abgehackten Kommandos wie „left“, „right“ oder „brake“, während sich die Reifen des Jag durch den losen Untergrund wühlen. Schotter und Kies prasseln gegen unsere Flanken. Es folgt eine schnelle Rechts-links-Kombination, wir schalten vom dritten in den zweiten Gang, gehen leicht vom Gas – und können das Heck gerade noch stabilisieren. Mit Vollgas im zweiten Gang geht es weiter in eine Haarnadelkurve. Sie ist eigentlich zu eng, um sie in diesem Tempo passieren zu können. Doch genau im richtigen Moment ziehen wir unseren Joker: die hydraulische Handbremse. Und in einer perfekten Drehung, begleitet von einer riesigen Matschfontäne, driften wir um die Ecke. Spätestens jetzt hat es neben Helm und Jacke auch noch unsere Hose eingesaut, aber das war’s wert.
Lieber Walter Röhrl, seit heute können wir deine permanent gute Laune verstehen: Auch wir haben als kleine Jungs am liebsten im Dreck gespielt, aber wer das als Erwachsener noch darf, hat alles richtig gemacht. Eine halbe Stunde toben wir noch herum, dann müssen wir schweren Herzens den Schlüssel an die Erziehungsberechtigten von Jaguar zurückgeben. Ein Wiedersehen bleibt leider fraglich, denn in den Rallye-Sport wollen die Briten nicht gehen, und zum Verkauf stehen die zwei Einzelstücke, wie erwähnt, auch nicht.
Mögliche Lösung: der Chequered Flag, der einige Designelemente der Rallyewagen aufgreift, unter der Haube aber auf der regulären R-Dynamic-Variante des F-Type basiert. Den Weg ins Gelände sollte man damit aber meiden, wenn man die 74.300 Euro nicht sinnlos in den Wind, Verzeihung: Matsch, verblasen will.
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