Draußen prasselt kalter Regen auf den Asphalt. Schwungvoll biegt ein schwarzer Audi A8 um die Ecke und stoppt abrupt vor der deutschen Playboy-Redaktion. Am Steuer: Leslie Mandoki. Ich springe auf den Beifahrersitz, und schon geht’s los zur Allianz Arena nach Fröttmaning im Norden Münchens.
Mandoki, im selben Jahr geboren wie der US-amerikanische Playboy, ist heute nicht nur einer der erfolgreichsten Musikproduzenten, Komponisten und Bandleader Deutschlands, sondern auch ein treuer Fan des FC Bayern. Und zum heutigen Champions-League-Spiel der Münchner gegen Lazio Rom nimmt er mich mit. Uns beide verbindet neben einer langjährigen Freundschaft die Liebe zur Musik und zum Fußball.
Auf der Fahrt zum Stadion hören wir das neueste Werk seines Herzensprojekts, das soeben fertiggestellte neue Album der Mandoki Soulmates. Es ist die elfte Studio-Aufnahme der Supergroup, in der Musikgrößen wie Ian Anderson (Jethro Tull), John Helliwell (Supertramp) oder Jazz-Legenden wie Al di Meola, Mike Stern und der deutsche Star-Trompeter Till Brönner vereint sind.
Wir sitzen hier in deinem Audi A8 und sind auf dem Weg zu den Bayern. Für dich ist das ja in zweifacher Hinsicht ein Heimspiel. Was verbindet dich mit den Ingolstädtern und den Münchnern?
Auch wenn meine künstlerische Mitte und die bedeutendste Arbeit meiner Karriere die Mandoki Soulmates sind, wo ich das Privileg habe, mit all diesen Ikonen musizieren zu dürfen, so habe ich, worüber ich sehr dankbar bin, vieles auch für Audi und VW gestalten dürfen. So kamen in über zwei Jahrzehnten unzählige Industriefilme, Werbespots oder große musikalische Events zusammen. Unter anderem durfte ich auch den Audi-Herzschlag, das „Audiologo“, immer wieder der jeweiligen Zeit anpassen. Und wenn irgendwo auf der Welt jemand den Startknopf eines Audi drückt, ertönt erst einmal der Audi-Welcome-Sound, den ich erschaffen habe.
Aber auch zum FC Bayern hast du eine emotionale Verbindung …
Bei den Feierlichkeiten zu 100 Jahren Audi fragte mich Karl-Heinz Rummenigge, ob ich für den FC Bayern Fan-Hymnen neu gestalten wolle. Nach vielen Gesprächen und einer intensiven Zusammenarbeit mit den Fan-Clubs entstand ein Album mit 18 Songs und Hymnen. Viele der Songs wurden von mir geschrieben, einige zusammen mit meinem Sohn. Aber auch der Stadionklassiker, die Hymne „Stern des Südens“, wurde in diesem Zusammenhang neu produziert. Für mich ist es immer wieder ein sehr emotionaler Moment, wenn diese Melodien in der Arena, von allen Fans gesungen, erklingen.
Hast du selber Fußball gespielt?
Natürlich. Für mich als Musiker, der mit 16 Jahren schon eine eigene Band geleitet hat, ist es quasi schicksalhaft, dass ich beim Fußball Libero spielte.
Du wirst auch auf der Straße erkannt. Die meisten bringen dich aber immer noch mit der Gruppe Dschinghis Khan in Verbindung. Das ist jetzt gut 40 Jahre her. Nervt das?
Wenn ich auf die Frage in aller Kürze antworten soll, dann würde ich sagen: Jeder Asylant braucht erst einmal einen Job, und das war meiner. In der Retrospektive sage ich immer, ich hätte das Popstar-Dasein damals vielleicht etwas entspannter genießen können. Aber zu dieser Zeit bin ich in jedem Jazz-Club in jede Session eingestiegen. Ich wollte vor allem nie meine Demut gegenüber der Musik und dem Musikersein an die kurze, sternschnuppenhaft aufleuchtende Popstar-Scheinwelt verlieren. Wenn wir mit den Soulmates in der ganzen Welt unterwegs sind, spricht mich heute niemand mehr auf meine Zeit bei Dschinghis Khan an.
Du bist vielen nicht nur als singender, sondern auch als tanzender Frontmann in Erinnerung …
Der Aspekt „Tanz“ war und bleibt für mich immer eine peinliche Angelegenheit. Ich bin da typisch Musiker, der nicht nur ungern tanzt, sondern es auch nicht besonders beherrscht.
Du hast 2023 deinen 70. Geburtstag gefeiert und dein 30. Bühnenjubiläum mit den Mandoki Soulmates. Die Band wird auch als „Supergroup der Bandleader“ bezeichnet. Jetzt erscheint euer neues Studioalbum. Was macht diese Platte für dich besonders?
Ganz ehrlich: Das Besondere ist, dass dieses Album eigentlich gar nicht geplant war. Das Leben selbst und die Zeit, in der wir leben, haben dieses Album „geschrieben“. Es hat sich uns geradezu aufgedrängt. Als Künstler stellt man sich ja immer die gleiche grundlegende Frage: Wie finden wir die optimale Balance zwischen Form und Inhalt? Und nach unseren beiden letzten Alben „Living In The Gap“ und „Utopia for Realists“ dachten wir, nun gäbe es eine längere Albumpause. Einerseits, weil das nur schwer zu überbieten sein würde, und andererseits hatten wir gehofft, damit schon einen Weg aufgezeigt zu haben, wie die neuen Generationen ihre Zukunft in einer besseren Welt gestalten können.
Wir „alten Rebellen“ glaubten, dass diese „Utopia for Realists“ bereit sei, an die „Young Rebels“ weitergegeben zu werden. Doch nach der Pandemie und mit inzwischen zwei schrecklichen Kriegen in Europa und Nahost befinden wir uns heute in einem Labyrinth multipler Krisen, die an den Grundfesten unserer Zivilisation nagen. Die Welt mit all unseren bisherigen „Normalitäten“ spielt verrückt, und wir scheinen unseren Kompass verloren zu haben. Am Ende war uns Soulmates klar: Wir müssen noch mal ran. Oder wie ein Song auf dem Album heißt: „We Stay Loud!“ Und zwar lauter denn je!
Wie darf man sich die Entstehung eines Albums mit all diesen Musik-Legenden vorstellen?
Wie in einer alten Hippie-Kommune haben wir musiziert, aber auch gemeinsam gekocht, gelacht, philosophiert und sind auch mal mit dem Kanu auf dem See gepaddelt. Manchmal wurden wir sogar ein wenig nostalgisch, etwa als wir uns erinnerten, wie wir vor über 20 Jahren hier gemeinsam am See die Soulmates-Album-Trilogie gefeiert haben. Damals hatten Ian (Anderson), Jack (Bruce), Al (di Meola) und ich auch alle Kids mit dabei. Das waren richtig schöne Lebensmomente. Und wie in den guten alten Zeiten haben wir das Album komplett analog produziert, mit Bandmaschinen aufgenommen, auch die Mischung auf Analog-Tape gemastert bis hin zum fertigen Vinylschnitt. Für uns war das auch eine Art „analog revenge“, um gerade den Zeiten von KI-Fakes und alternativen Fakten etwas wirklich Wahrhaftiges entgegenzusetzen.
Das Wunderbare an „A Memory Of Our Future“ und an dieser Art des Musizierens ist, dass wir dabei die Schwermut der aktuellen Themen gemeinsam überwinden können. Musik öffnet uns auch den Blick nach vorne, macht Mut für positives Denken und Optimismus. Das gibt uns Kraft und treibt uns an. So versuchen wir, das Ende des Tunnels auszuleuchten und den Menschen Mut zu machen, Dinge wieder optimistisch und nachhaltig anzupacken. Wir brauchen wieder mehr Mut zur Utopie! Für eine gemeinsame Zukunft in einer besseren Welt!
Welcher Song bedeutet dir auf diesem Album am meisten?
Das ist schwierig zu beantworten, denn mir bedeuten alle Songs wirklich sehr viel. Inhaltlich bildet dieses Album zwei große Themenfelder ab: Gesellschaftspolitisches und Persönliches. Beides spielt für mich eine große Rolle. Ich habe nach der Pandemie fast 40 Songs geschrieben, von denen wir für das Album schließlich die zehn besten Songs aufgenommen haben. Dazu haben wir noch zwei reine Instrumentalstücke, von denen eines vollkommen improvisiert ist, eingespielt.
Musik-Produzent Leslie Mandoki: „Wir alle sind Freidenker, die nach einem Leben mit so wenig Einschränkungen wie nur möglich streben“
Die Texte des Albums sind sehr ernsthaft, teilweise düster …
Mit Songs wie „Blood In The Water“ und „Enigma Of Reasons“ spiegeln wir unsere Gegenwart wider, in der die Normalität verrückt spielt und Gewissheiten wegbrechen. Eine Zeit, in der die Wirklichkeit Ängste überrollt und dramatische Drehbücher schreibt. „Devil’s Encyclopedia“ ist nicht nur ein Aufschrei gegen Totalitarismus, Brutalität und den Angriffskrieg in Europa, sondern thematisiert zugleich die Propagandamaschinerie mit KI-Fake und Lügen via Social Media. Spaltung, Hetze, soziales Ungleichgewicht, rücksichtslos egoistischer Casinokapitalismus, Zerstörung unserer Umwelt. Diese toxisch destruktiven Entwicklungen führen bei den Menschen zu einer tiefen Vertrauenskrise, Verunsicherung und nicht zuletzt auch zu kollektiver Resignation, dem „Big Quit“. Dagegen müssen wir aufstehen.
Welche Songs sind die persönlichsten?
Es gibt auf dem Album einige Songs, die wirklich sehr autobiografisch sind. Songs, in denen ich nachdenklich über das Leben, die Familie und die stürmischen Meere meines Künstlerherzens sinniere, wie „My Share Of Your Life“, „I Am Because You Are“, „The Wanderer“ oder „A Memory Of My Future“. Und in „Matchbox Racing“ singe ich über meine eigene Geschichte, in der aus einem winzigen Hoffnungsschimmer ein Panorama des Lebens, der Musik und der Kunst entstanden ist – alles mithilfe von Freunden, Familie, Kollegen und natürlich meinen Soulmates.
Ihr seid die Band der Bandleader. Wie funktioniert das in der Zusammenarbeit?
Gerade weil es die Band der Bandleader ist, wissen wir alle, dass das eigene Ego, Profilierungsversuche oder gar Narzissmus jedes gemeinschaftliche Kunstprojekt zerstören würden. Rockmusik entsteht nun mal im Zusammenspiel. Dichter, Maler oder Schriftsteller können allein in ihren Stuben zurückgezogen arbeiten. Wir Musiker sind jedoch darauf angewiesen, dass ein jeder im Zusammenspiel das Beste gibt.
Dennoch: Wer hat bei den Soulmates das letzte Wort?
Da wir als Bandleader wissen, dass in der Rockmusik eine Entscheidungspyramide unerlässlich ist, braucht es schon eine natürliche Hierarchie. Ansonsten würde sehr schnell ein Talking-Club entstehen. Daher gibt es auf diese Frage eine noch nie diskutierte Antwort, die ich als Bandleader und Produzent nur damit beantworten kann, dass hinsichtlich der musikalischen Gestaltung ich das letzte Wort habe.
Du bist ein sehr politischer Mensch. Teilen deine Bandkollegen deine politische Agenda?
Ich habe keine politische Agenda. Wir alle sind Freidenker, die nach einem Leben mit so wenig Einschränkungen wie nur möglich streben und einfach Freiheit und Frieden, Toleranz und Respekt für die anderen und Achtsamkeit suchen. Wenn, dann ist das die Agenda: immer das Gemeinsamkeiten Suchende und nicht das Trennende.
„Music is the greatest unifier“ ist dein Credo. Gerät diese schöne Vision aktuell nicht gerade sehr an ihre Grenzen?
Doch, leider! Umso wichtiger ist es, an diesem Credo festzuhalten und auch dort noch zu versuchen, Brücken zu bauen, wo alte, zusammengebrochene Brückenpfeiler schon verschüttet wurden. Die Spaltung unserer Gesellschaft einerseits und andererseits die Intoleranz gegenüber anderen Meinungen schmälert die Freiräume für den Erkenntnisgewinn. Uns war es aber vor allem ein Anliegen, klärende, hoffnungsvolle Worte in diesen komplexen Zeiten zu finden. Worte, die einen wieder zurück in friedvollere Zeiten führen, wenngleich der Weg dahin alles andere als einfach ist.
Du bist Viktor Orbán freundschaftlich eng verbunden. Viele werfen dem ungarischen Ministerpräsidenten vor, nicht für demokratische Werte zu stehen, sondern für einen autoritär-autokratischen Politikstil. Du bist als junger Mann aus dem ungarischen Sozialismus geflohen. Wie passt das für dich zusammen?
Also, Autokratie lehne ich in jedweder Ausprägung entschieden und mit aller Klarheit ab. Auch wenn unsere freiheitliche Demokratie teilweise etwas komplexere Entscheidungsprozesse hat, halte ich sie uneingeschränkt für richtig. Ich wollte in meiner Jugend im damals kommunistischen Ungarn so frei leben wie heute hier. Dort konnte ich dies nicht – darum bin ich geflohen. Vielleicht ist es auch die Verpflichtung meiner Biografie, als heutiger Deutscher, den die stalinistische Herrschaft mit 22 Jahren zur Flucht aus Ungarn getrieben hat, die Pfeiler der scheinbar eingerissenen Brücken wieder auszubuddeln, ummein vorheriges Bild noch einmal aufzugreifen.
Ist Orbán für dich ein Europäer?
Es benötigt einen streitbaren Diskurs, um für unsere europäischen Werte einzutreten. Für dieses Ziel diskutiere ich gerne. Denn wenn wir in Europa eines gelernt haben: Das Einengen von Diskursräumen und den Widerspruch noch nicht einmal mehr im persönlichen Gespräch zu pflegen lässt Fronten verhärten und setzt eine Eskalationsspirale in Gang. Stattdessen wäre es sinnvoll, die wesentlichen Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu stellen, um die deutsch-ungarische Freundschaft mit gestalterischer Energie neu zu beleben. Auch wenn Deutschland eindeutig meine Heimat ist, wo ich seit beinahe fünf Jahrzehnten zu Hause bin, wo ich mich entfalten durfte und wo meine Kinder zur Welt kamen, so kenne ich doch die Mentalität meines Geburtslandes zu gut. Daher werde ich auch immer für diese zwischenstaatliche Freundschaft mein Wort erheben.
Du standest Angela Merkel auch immer sehr nahe. Wie siehst du sie heute?
Angela Merkel ist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit mit einer tiefen kulturellen Verankerung. Eine echte Wagnerianerin, und was die meisten vielleicht nicht wissen, ausgestattet mit einem unglaublichen Humor. Meine tiefe Wertschätzung für sie wurde auch in keinster Weise geschmälert, selbst wenn wir in einigen politischen Aspekten durchaus unterschiedlicher Auffassung waren. So war ich immer der Meinung, dass Menschen, die bei uns Zuflucht finden und in deren eigener Kultur Homophobie, Frauenfeindlichkeit oder Antisemitismus verankert sind, sich hier in Deutschland verbindlich an unser Werte- und Rechtssystem halten müssen. Da darf es keine Toleranz für Intoleranz geben.
Wenn du drei Wünsche frei hättest: Welche wären das?
Zuerst wünsche ich uns natürlich Frieden in Freiheit und Freiheit in Frieden. So einfach dies auch klingt, ich war tief überzeugt, dass meine Kinder in Frieden und Freiheit leben werden, und umso bestürzter bin ich, dies in Gefahr sehen zu müssen. Zweitens wünsche ich mir, dass meine Kinder das Credo meines Vaters „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“ ein Leben lang für sich umsetzen können.
Und an dritter Stelle?
Wünsche ich mir, dass der Fluss des Lebens so weiterfließen möge und bei mir persönlich alles so bleiben kann, wie es ist.
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