Lernen von den Schlauen, Folge 3

Credit: Playboy Deutschland

Gedanken über Gott und die Welt aus der Sicht eines überzeugten Atheisten. Dazu Antworten auf die Frage: Sind wir Affen und wenn ja, wie viele?

INTERVIEW: CHIP ROWE

Atheisten-Papst? Hört der streitbare Geist ungern – der britische Evolutionsbiologe steht besonders mit dem Heiligen Stuhl auf dem Kriegsfuß. Mit Büchern wie „Der Gotteswahn“ bezieht der 71-Jährige souverän Position im Kampf zwischen Ratio und Religion. Mit geradezu missionarischem Eifer predigt hier einer, der den Leuten den Glauben austreiben will – im Sinne der Aufklärung.

PLAYBOY: Nehmen wir an, es gäbe Gott tatsächlich und Sie könnten ihm eine Frage stellen. Welche wäre das?

DAWKINS: Ich würde ihn fragen, „Sir, warum geben Sie sich bloß all diese Mühe, sich so gründlich zu verstecken?“

PLAYBOY: Ob Albert Einstein oder Stephen Hawking, bei beiden findet Gott Erwähnung. Meinen die beiden damit womöglich doch eine Art intelligenten Schöpfer?

DAWKINS: Ausgeschlossen. Gott wird bei ihnen zu etwas Poetischem, eher Metaphorischem. Einstein bezog sich gern auf Gott, um mit dem Begriff etwas Mysteriöses zu suggerieren – viele respektable Wissenschaftler machen das. Dennoch ist die Gefahr, heute verkannt zu werden, viel größer. Genau wie man Einstein auch falsch interpretiert hat, der darüber übrigens sichtlich verärgert war und sich immer wieder mit dem Satz „I do not believe in a personal god!“ zitieren ließ. Ähnlich ging Hawking in „Eine kurze Geschichte der Zeit“ vor. In der berühmten allerletzten Zeile schreibt er davon, dass sich uns erst dann, wenn wir das Universum wirklich verstehen, Gottes Plan erschließt. Er benutzt den Gottes-begriff in der Einstein’schen Tradition und nicht im religiösen Sinn.

PLAYBOY: Die Anschläge vom 11. September haben in Ihnen etwas ausgelöst, Sie sind militanter in Ihrem Atheismus geworden. Ist Ihnen der Geduldsfaden gerissen?

DAWKINS: Das kann man so sagen. In mir machte sich eine extrem antiislamische und antireligiöse Stimmung breit. Wenn den christlichen Führern bei uns zum „Allahu Akbar“ der anderen nichts anderes einfällt, als „Gott ist mit uns“, dann wird einem doch übel. Schuld an allem ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod. Bis dato durfte man noch davon ausgehen, dass jemand, der ein Flugzeug entführt, Forderungen stellt, mit dem Leben davonkommen möchte. Wenn man aber nun fürs Jenseits 72 Jungfrauen versprochen bekommt und damit dem irdischen Tod quasi lachenden Auges entgegensieht, dann herrschen plötzlich ganz andere Regeln. Unattraktive junge Männer, die vermutlich im wirklichen Leben bei keiner Frau landen, machen sich nun als Märtyrer auf, wenigstens im Paradies welche abzubekommen. Und der Koran segnet das ab.

PLAYBOY: Haben Sie streng religiöse Freunde?

DAWKINS: Nicht wirklich. Ich gehe ihnen zwar nicht bewusst aus dem Weg, aber ich bewege mich schon mehr in Kreisen, die intelligent und aufgeklärter sind – in denen bewegt sich meines Wissens niemand, der streng religiös wäre. Ich bin aber mit einigen Bischöfen und Vikaren bekannt, deren Glaube eher moderat ist, die sich mehr an der netten Musik und an der Glasmalerei erfreuen.

PLAYBOY: Haben Sie eigentlich die Bibel gelesen?

DAWKINS: Nicht komplett. Aber ich kann ihnen versichern, dass mein Bibelwissen fundierter ist als das so mancher fundamentaler Christen.

PLAYBOY: Sie haben mal gesagt, wenn es Jesus tatsächlich gegeben hat und er so gestorben ist, wie es in der Bibel geschrieben steht, dann wären die Umstände total verrückt.

DAWKINS: Einen Beweis dafür, dass Jesus selbst völlig übergeschnappt war, gibt es mit Sicherheit nicht. Aber dass er für unsere Sünden gestorben ist, wie Paulus es sich ausmalte, ist natürlich kompletter Irrsinn. Ist es nicht eine geradezu abstoßende Vorstellung, dass der Schöpfer des Universums – er zeichnet immerhin verantwortlich für die Naturgesetze und den Evolutionsprozess – seinem Protegé nichts Klügeres mit auf den Weg gab, als sich für unsere Sünden zu Tode kreuzigen zu lassen? Und was für ein Humbug zu behaupten, wir werden schon als Sünder geboren, nur weil Adam uns das mit seinem Sündenfall angeblich eingebrockt hat, ein Mann, von dem sogar die katholische Kirche inzwischen behauptet, es habe ihn niemals gegeben.

PLAYBOY: Verzweifeln Sie nicht langsam an diesen ständigen Angriffen auf das Prinzip der Vernunft?

DAWKINS: Keinesfalls. Ich bin häufig genug im Internet, ich glaube zu wissen, wie gerade junge Leute denken. Ich sehe da einen Trend zu mehr gesundem Menschenverstand, rationalerem Denken, allerdings auch kompletter Missachtung. Amerika ist quasi geteilt. Auf der einen Seite ignorante Idioten vom Schlage Sarah Palins, auf der anderen aber eine wachsende Zahl an intelligenten, gut ausgebildeten Leuten. Ich weigere mich einfach zu glauben, dass am Ende des Tages die Steinzeittypen gewinnen werden. Leider meinen aber immer noch furchtbar viele Menschen, dass es zu ihrer Religiosität keine Alternative gibt.

„Viele Menschen meinen, dass es zur Religiosität keine Alternative gibt“

PLAYBOY: Sprechen wir über das Thema Evolution – viele glauben ja, wir stammen vom Affen ab.

DAWKINS: Wir sind Affen. Wir stammen ab von einer inzwischen ausgestorbenen Spezies, die als Affe zu klassifizieren ist. Wir stammen weder von Schimpansen noch von Gorillas oder anderen Primaten ab, denn die haben sich ja bis heute genauso lange entwickelt wie wir. Wir sind ein besonderer Affe insofern, als dass uns Sprache zur Verfügung steht. Andere Kommunikationssysteme im Tierreich sind in ihrer Wirkung viel begrenzter. Ihnen fehlt die Gabe, sich darüber auszutauschen, was wäre, wenn. Oder darüber, was gerade nicht sichtbar ist. All das ist Ausdruck dafür, wie hoch entwickelt unser Affenhirn im Laufe der Zeit geworden ist. Immer mehr deutet inzwischen auch darauf hin, dass das Erreichen dieser Evolutionsstufe das Ergebnis einer begrenzten Zahl an Mutationen war.

PLAYBOY: Sind Sie eigentlich pro-life, also für den Schutz des ungeborenen Lebens?

DAWKINS: Diejenigen, die behaupten, sie sind pro-life, sind, wenn man so will, für den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens. Egal, ob ein vierzelliger oder 64-zelliger Embryo – er hat noch kein Nervensystem. Eine solche Kreatur abzutreiben sollte in niemandem Schuldgefühle hervorrufen, einen Regenwurm zu töten wäre schlimmer, denn der hat sowohl ein Nervensystem als auch die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden. Sich also gegen die Abtreibung sehr früher Embryonen auszusprechen ist kompletter Unsinn. Bei älteren hingegen ist es natürlich anders. Auch wenn kein Grund zur Annahme vorliegt, dass ihre Leidensfähigkeit höher anzusiedeln ist als beispielsweise die eines erwachsenen Schweins oder Rinds.

PLAYBOY: Teilen Sie die Ansicht (des unlängst verstorbenen Journalisten und Literaturkritikers, Anm. d. Red.) Christopher Hitchens’, dass der Papst verhaftet gehört?

DAWKINS: Hitchens schrieb mir seinerzeit von der Idee, und tatsächlich kokettierten wir einige Zeit mit dem Gedanken, einen „Citizen’s Arrest“ (Jedermann-Festnahme-Recht, Anm. d. Red.) vorzunehmen. Quasi versuchen, ihm mit Handschellen aufzulauern. Wir haben uns dann entschieden, von Geoffrey Robertson, einem der international angesehensten Anwälte für Menschenrechte, eine Anklageschrift formulieren zu lassen, mit dem Ziel zu klären, ob der Papst im Pädophilie-Skandal der katholischen Kirche persönlich belangt werden kann. Die päpstliche Reaktion? Einfach einmal vom Thema ablenken, indem man die Atheisten für Hitlers Aufstieg verantwortlich macht. Unangebracht trotzig, wie ich finde. Ich mache dem Papst ja auch keinen Vorwurf, in der Hitler-Jugend gewesen zu sein, schließlich war er damals sehr jung. Aber wenn ich er wäre, würde ich mich gerade beim Thema Hitler sehr zurückhalten.

PLAYBOY: Doch überlässt man das Feld den Atheisten, so wird vielfach behauptet, öffnet man Typen wie Hitler und Stalin Tür und Tor.

DAWKINS: Hitler war nicht Atheist, er war Katholik. Aber es ist mir relativ egal, was er war. Einen logischen Zusammenhang zwischen Atheismus und Gut-oder-böse-Sein zu vermuten ist natürlich Nonsens. Hier geht es zunächst einmal nur um eine Weltanschauung, darum, dass es den einen intelligenten Schöpfer eben nicht gibt. Der Ansatz, Gutes zu tun, nur um religiöse Vorgaben einzuhalten, reicht nicht. Gutes tut man aus moralischen Gründen, und Moralvorstellungen gibt es schon länger als Religionen. Und losgelöst von den Religionen, unterliegen sie einem stetigen Wandel. Selbst bibelfeste Leute machen sich nicht biblische Kriterien zu Eigen. Denn wer sich zu streng an die Heilige Schrift hält, hat ein Problem – hält man es mit der Bibelstelle, die da sagt: Halte auch die andere Wange hin? Oder lieber mit der, bei der steht, dass man andere zu Tode steinigen darf? Da sollte man sich doch
lieber ganz ohne Bibelvorgaben entscheiden.

PLAYBOY: Beim Playboy-Berater ging unlängst folgende Frage ein: „Ich bin kein Kirchgänger. Wenn mir jemand, den ich gerade kennen gelernt habe, die Frage stellt, ob ich in die Kirche gehe, was wäre eine elegante Antwort?”

DAWKINS: Ich würde antworten: „Nein, ich gehe nicht in die Kirche. Sie? Und wenn ja, warum?“