Während meiner Sturm-und-Drang-Zeit gab es nichts Aufregenderes, als von einer Bar zur nächsten zu hetzen. Immer auf der Suche nach dem größtmöglichen Spaß, der ultimativen Best Time. Doch kaum meinte ich, sie gefunden zu haben, verschwand sie schon wieder durch die Hintertür – zweifellos unterwegs in die nächste Bar. Ich hinterher, wie ein Ritter. Unterwegs mit erhobener Lanze, bereit, Einheimische zu terrorisieren und Jungfern zu vernaschen.
Nächtelang zog ich um die Häuser, durch Dutzende von Bars. Keiner konnte ich treu bleiben, schließlich wusste man nie, wo die Best Time sich gerade niedergelassen hatte. Mit den Jahren musste ich allerdings feststellen, ich war weniger verwegener Ritter als vielmehr vagabundierender Bettler. Beseelt von der Hoffnung, vom Spaß anderer etwas abzubekommen. War ich zu faul oder zu blöd, um selbst für Unterhaltung zu sorgen? Vermutlich beides.
Also begab ich mich auf die Suche nach einer Bar meines Vertrauens. Sich immer wieder am gleichen Ort volllaufen zu lassen, so meine Überlegung, hieße, meine eigene Best Time zu erschaffen.
"Moooooment", höre ich Sie mich schon unterbrechen, "sich auf eine Lieblingsbar festzulegen, das ist doch nichts anderes, als zugeben zu müssen, man ist nun ein . . . Stammgast . . . und wir wissen ja genau, wie diese Typen aussehen – ein Haufen übellauniger alter Säcke, aufgereiht wie Krähen auf einem Vogelzaun."
Das ist natürlich eine bösartige Unterstellung. Stammgast zu sein bedeutet nicht, dass man genau zu diesen schrägen Vögeln zählt. Höchstens, dass man sich immer wieder ihr Gezeter anhören muss.
Außerdem: Eine Lieblingsbar zu haben heißt nicht, mit ihr verheiratet zu sein. Es bedeutet lediglich, dass Sie eine Art Basislager errichtet haben. Sie müssen dort nicht jede freie Trinkminute verbringen. Nur eben die meisten. Aus gutem Grund, denn wer fast jeden Cent seines "Trinkgelds" in einer einzigen Bar anlegt, der kommt in den Genuss allerlei Vorzüge:
Sie erhalten einen Bonus. Geben Sie all Ihr Geld in einer einzigen Bar aus, und Sie bekommen "Zinsen". Man wird schneller bedient, man bekommt öfter mal einen Kurzen aufs Haus, und am Ende der Nacht kann es passieren, dass die Rechnung oft kleiner ausfällt als gedacht.
Sie haben die Bedienung auf Ihrer Seite, wenn es Ärger gibt. Man kennt Sie, man weiß, dass Sie nicht der Typ sind, der einen Streit vom Zaun bricht. Der flankierende Beistand gilt natürlich auch für den Fall, dass Sie genau das getan haben.
Die nächste Runde ordern? Da hilft schon ein Nicken
Sie können ganz Sie selbst sein. Sich in einer unbekannten Bar wohlzufühlen – keine leichte Sache. Immer so zu tun, als ob. Man spielt sich und anderen etwas vor, nur um irgendein Mädchen abzuschleppen. In Ihrer Lieblingsbar können Sie relaxen und so sein, wie Sie eben sind.
Sie kommunizieren ohne Worte. Die nächste Runde ordern? Da hilft schon ein Nicken, und hinterm Tresen weiß man Bescheid. Selbst dann, wenn alles, was Sie von sich geben, im eigentlichen Sinne nichts mehr mit Sprache zu tun hat.
Sie finden Freunde fürs Leben. Was man beim Bar-Hopping so aufliest, ist nichts für die Ewigkeit. Was man hingegen in seiner Lieblingsbar kennen lernt, ist von einer ganz anderen Qualität, viel verlässlicher – wie eine Soldatenkameradschaft in einem Schützengraben. Nur dass man sich eben in unmittelbarer Nähe eines funktionierenden Zapfhahns eingegraben hat.
Sie werden Teil der Familie. Jedenfalls irgendwann einmal. Zunächst einmal sind Sie nur der Praktikant namens Bekanntes Gesicht. Später dann, wenn Sie den Beweis angetreten haben, dass Sie nicht jedes Mal volltrunken völlig die Contenance verlieren, wird man Sie in den Club der wahren Stammgäste befördern.
Sie dürfen Amok laufen. Und das werden Sie. Sie werden es sogar wollen, sobald Sie Stammgast sind. Mal so richtig durchzudrehen, das gehört zum guten Ton und gibt Statuspunkte. Man sieht in Ihnen den Lieblingsonkel, der, sehr zum allgemeinen Amüsement, immer wieder komplett die Bodenhaftung verliert. Diese Art von Ausfällen befördert Sie vom einfachen Stammgast hin zur Persönlichkeit. Legen Sie solch einen Stunt einmal im Monat hin, schon werden Sie zu einer Institution.
Denken Sie daran: Zu einer Beziehung gehören immer zwei
Fazit: Sie können dazugehören. Aber denken Sie immer daran: Zu einer Beziehung gehören immer zwei. Sie können nicht einfach in eine Bar spazieren und lauthals deklamieren: "So, das ist jetzt meine Lieblingsbar." Das funktioniert nur bei gegenseitiger Akzeptanz. Die Bar muss sich auch für Sie entscheiden.
Wenn Bedienung und ältere Stammgäste Sie nicht mögen, egal, aus welchen Gründen, dann wird diese Bar nie Ihre Bar werden. Da können Sie noch so oft um den Tresen schleichen. Man wird Sie irgendwann wegen unerlaubten Betretens daraus entfernen.
Unser Gastautor Frank Kelly Rich ist passionierter Bargänger und Autor des Buchs "Die feine Art des Saufens: Ein Handbuch für den modernen Trinker" (Tropen, 19.95 Euro)
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