Mantra-artig wird der Stadtslogan Münchens das ganze Jahr über heruntergebetet: „München. Weltstadt mit Herz“. Vor allem im Winter, im Frühjahr und im Sommer liegt die Betonung auf dem Herz. Wunderschöne Architektur, saubere Straßenzüge, wenig Kriminalität. Der perfekte Ort für Mitdreißiger mit Kindern und guten Jobs. Hier ist die Welt und die Stadt in Ordnung.
Der Hybrid, diese „Weltstadt“, wird dann in den zweieinhalb Wochen Wiesn-Wahnsinn unterstrichen. Gäste aus aller Herren Länder bevölkern München und lassen in dieser Zeit keinen Quadratmeter zwischen Pasing und Trudering unbewohnt – und vor allem: unbezahlt.
Ein Tag hat 24 Stunden
Aber sind zweieinhalb Wochen nicht sehr wenig im Vergleich zu den restlichen 49 eines Jahres? Darf man sich wegen 18 läppischen Tagen „Weltstadt“ nennen? Wohl kaum, es gehört mehr dazu als nur ein Oktoberfest, um als Stadt was herzumachen.
Ähnlich verhält es sich nämlich mit den 24 Stunden eines Oktoberfest-Tages. Die Stunden vor – und vor allem die nach – einem Besuch im Zelt sollte man nicht unterschätzen. Denn sind wir mal ehrlich, die Zeiten, in denen man von morgens bis abends im Festzelt an seinem Biertisch sitzen konnte, sind spätestens seit den 90ern vorbei.
Mittlerweile kann man froh sein, wenn man am Samstagmittag von 14 bis 18 Uhr einen Tisch ergattern kann. Wer Glück hat, darf abends kommen – aber spätestens um 24 Uhr ist Schluss. Vier Stunden von 24 – merken Sie was?
Richtig. Der Tag rund um den Oktoberfest-Besuch ist mindestens genauso wichtig, wie die vier wertvollen Stunden im Festzelt. Die sollten genossen werden und nicht von der Hektik geprägt sein, auch ja alles mitzunehmen, was das Festzelt hergibt.
(Weiter-)Gehen, wenn's am schönsten ist
In diesen vier Stunden gilt es dann, möglichst schnell auf einen angenehmen Heiterkeits-Pegel zu kommen. Man kann sich innerhalb von vier Stunden einen ordentlichen Rausch antrinken, aber wenn man bedenkt, dass hier hauptsächlich Bier ausgeschenkt und getrunken wird, geht es bei den meisten nach vier Stunden doch gerade erst richtig los.
Und wer andererseits wiederrum so wenig Stehvermögen hat, um nach vier Stunden nicht mehr weiterziehen zu können, der hat sich dieses Privileg auch nicht verdient. Gut, wir haben alle mal schlechte Tage, aber es geht hier um eine Grundhaltung, die man im Vorfeld schon einzunehmen hat.
Was wären Rockbands ohne legendäre Aftershowparties
Denn was wären die Konzerte der größten Rockbands, ohne die legendären Aftershowparties im Backstage. Wird nicht jede Weihnachtsfeier immer dann am interessantesten, wenn man sich um zwei Uhr morgens noch für einen Locationwechsel entscheidet? Und wer geht nach Hause, wenn das WM-Finale gerade erst abgepfiffen wurde?
Das Weiterziehen nach dem Oktoberfest ist die dritte Halbzeit für die Hooligans des 1. FC Hedonismus. Es ist die logische Konsequenz in der Alkohol-Arithmetik eines jeden Ehrgeizigen, eines jeden „Hals nicht voll-Kriegers“, ja eines jeden Mannes mit klaren und irgendwann verschwommenen Zielen. Hier trennt sich die Spreu vom (Hefe-)Weizen.
Die Champions League der Trinker
Sie haben aber ein Mädel kennengelernt und können es kaum erwarten, ihr aus dem Dirndl zu helfen? Nehmen Sie sie davor noch mit auf eine Runde im Aftershow-Party-Karussell und sorgen Sie dafür, dass bei ihr außer Ihren Liebeskünsten mehr als die vier Stunden Festzelt hängen bleiben. Werden Sie unvergesslich.
Das ist nicht immer einfach. Oft schießt man auch über das Ziel hinaus. Aber genau das ist der Punkt: Das Weiterziehen nach dem Oktoberfest ist die Championsleague des Trinkens. Das letzte Rennen einer "Formel 1"-Saison. Es ist die zwölfte Runde im Weltmeisterkampf. Wenn man die überstanden hat, macht man sich unsterblich. Mal für Mal. Was für ein Mann wäre man, wenn man diese Chancen nicht beim Schopfe packen würde?
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