Kriminal-Psychologin Lydia Benecke: "Scheidungen retten Männerleben"

Credit: Manfred Esser
Magazin
Playboy 2021/07

Inhalt

UPDATE

First Lady: Happy Birthday, Adriana Lima!

Ein guter Monat für: Tarantino- und Abenteuer-Fans

10 Fragen an . . . Frederick Lau

Reise: Beach-Paradiese vor unserer Haustür

Motor: Testfahrt im ersten Vollelektro-Volvo

Männergarderobe: Bunte Shorts für den Strand

Männerküche: Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann im Interview über schwere Jahre, edle Gäste und die späte Aktualität der Nouvelle Cuisine

Wein des Monats: Riesling – der deutsche Paradewein

AKTION 

Wiesn-Playmate gesucht: Wir feiern trotz Oktoberfest-Absage – bewirb dich, und werde unsere Miss Oktober

REPORTAGE

Helden in der Krise: Das Ehepaar Muk und Karin Röhrl hat in der Oberpfalz das älteste Wirtshaus der Welt gerettet – mit Mut, der vielen Mut macht

INTERVIEW

Billy F Gibbons: Die bärtige ZZ-Top-Legende ist in die Wüste gegangen und hat zwischen Klapperschlangen und brennenden Grills neue Songs kreiert

FUSSBALL-EM 2021

Auf geht’s: Elf Dinge, die uns in EM-Stimmung bringen

Serge Gnabry: Nur wenige Spieler repräsentieren den Geist und das Potenzial der neuen Nationalelf-Generation so gut wie der stille, selbstbewusste Bayern-Stürmer

Goldene Zeiten: Vor 25 Jahren holte Deutschland den Titel. Eine Zeitreise zu den größten EM-Momenten

José Mourinho: Der Star-Trainer zählt uns im Interview zu den Favoriten und wäre gern selbst Nationalcoach

MOTOR & TECHNIK

Auf großer Strom-Fahrt: Wie geht Gran Tourismo in elektrisch? Wir testeten die Grenzen des neuen Audi RS e-tron GT bei einem Ausflug an die Ostsee

Mein Schlitten: Christian Sellner und sein VW Käfer

EROTIK

Playmate: Melanie De Toni kam als Touristin nach Berlin – und verließ die Stadt als Miss Juli

TITELSTRECKE

Unsere Playmate des Jahres, Julia Römmelt, bedankt sich bei den Wählern doppelt: mit Fotos aus dem Casino und vom Mallorca-Strand

SPECIAL: MÄNNERSCHÖNHEIT

Operation „Gut aussehen“: Von historischen Beauty-Docs bis zu den neuesten Corona-Trends

Hauptsache Kontur: Schönheitschirurg Thilo Schenck über die häufigsten Eingriffe beim Mann

Umfrage des Monats: Wie stehen wir Männer zu Kosmetik und OPs, und wie mögen uns die Frauen?

Selbstversuch: Unser Autor lässt Experten mit Kälte und Strom an seinen Speck ran

Do it yourself: So pflegt man sich am besten

Schopf hoch: Expertenratschläge gegen Haarverlust

Pro & Contra: Männer unterm Messer – echt jetzt?

Streitschrift: Fast Food macht fett? Unsinn!

Falten: Bitte nicht glätten, sagt unsere Autorin

STIL 

Leichtfuß: Die coolsten Schuhe für heiße Tage

LUST & LEBENSART

Mister Sextoy: Ein Gespräch mit dem Erfinder Michael Lenke, der weltweit Frauen glücklich macht

Tagebuch einer Verführerin: Sexkolumnistin Sophie Andresky richtet uns ein Liebesnest ein

KULTUR 

True-Crime-Boom: Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke über die Faszination des Bösen

Literatur, Musik & Film: Das Beste des Monats

STANDARDS
  • Editorial
  • Making-of
  • Leserbriefe
  • Witze
  • Cartoon
  • Berater
  • Impressum
  • Bezugsquellen
  • Playboy Classic

Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke über den aktuellen Boom der True-Crime-Formate im TV und in (Hör-)Büchern – und welche Gesichter das Böse bei Männern und Frauen in der Realität zeigt.

Frau Benecke, das Genre True Crime boomt zurzeit wie selten zuvor. Wie erklären Sie sich das?

So wie ich es sehe, war das Interesse für True Crime schon immer da. Menschen haben schon vor Hunderten von Jahren schlimme Verbrechen aufgezeichnet. Aber im Vergleich zu früher gibt es heute sehr viel mehr Medien. Und damit auch sehr viel mehr realen Erzählstoff, der ein starkes menschliches Interesse bedient.

Was fasziniert uns so an Verbrechen – am Bösen?

Ein Teil der Faszination liegt in dem Widerspruch, dass Menschen Dinge tun, die die meisten als unmenschlich definieren. Menschen haben schon immer die Tendenz gehabt zu sagen, dass solche Menschen Unmenschen sein müssen. Oft wurden grausame Taten zu Legenden verarbeitet oder mit Legenden über Vampire, Werwölfe und andere Monster verwoben. Das Phänomen sehen wir noch heute in Berichterstattungen, wenn es heißt: „Die Bestie von …“ Deshalb interessiert so viele Leute True Crime: Sie wollen begreifen, wie jemand, der einen brutalen Mord begangen hat, zwei Stunden später ganz ruhig bei seiner Familie am Esstisch sitzen kann. Sie fragen sich, was das für Menschen sind, wie sie so werden – und vielleicht noch, wie sie diese erkennen könnten. Denn ein weiterer Grund für die Faszination ist, dass wir evolutionär dazu neigen, unsere Aufmerksamkeit dort hinzuwenden, wo sich ein potenzielles Risiko verbirgt. Das war vor allem zu Beginn der Menschheitsgeschichte in der Wildnis überlebenswichtig.

Und es steckt noch in uns?

Ja, natürlich! Noch heute gibt es zum Beispiel viele Spinnen- und Schlangenphobiker, dabei sind Steckdosen mittlerweile viel gefährlicher für uns. Generell bewirken die vererbten Instinkte, dass wir uns eher für negative Schlagzeilen als für positive interessieren. Wir reagieren mit uralten Mustern auch auf neueste Reize.

Sind diese Muster bei Männern und Frauen unterschiedlich, interessieren sie sich für verschiedene Arten von Gefahr?

Bisher haben die Forschungen zu True Crime gezeigt, dass sich Männer vor allem für Gang-Kriminalität oder auch für Kriegsgeschichten interessieren. Frauen hingegen eher für individuelle Taten und für solche, bei denen Frauen zum Opfer wurden.

chon als Kind sammelte Lydia Benecke, geboren 1982 in Beuten (Polen), Zeitungsausschnitte über Schwerverbrecher. Als junge Erwachsene studierte sie schließlich Psychologie, Psychopathologie und Forensik an der Ruhr-Universität Bochum
Credit: Olivier Favre

Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?

Eine These lautet, dass Frauen tendenziell etwas empathischer sind. Und wer mitfühlend ist, interessiert sich stärker für individuelle Schicksale. Das wäre übrigens auch eine Erklärung dafür, warum es so einen großen Markt für Frauen- und Klatschzeitschriften gibt, in denen es um andere Menschen geht. Das scheint Frauen mehr anzusprechen als Männer.

Interessieren sich Männer eher für die Täter – vielleicht im Sinne von Kriegshelden oder kriminellen Antihelden?

Dafür sehe ich bisher keine Hinweise. Unter True-Crime-Fans gibt es eine kleine Gruppe, die explizit Bewunderung bis hin zu Liebesfantasien für schwere Straftäter äußert. Es gibt Indizien dafür, dass diese Menschen psychische Probleme haben. Ich arbeite seit 2008 mit Gewalt- und Sexualstraftätern und kann sagen: Sie sind einfach nicht bewundernswert und auch keine Antihelden, die irgendwie stark sind und ihr Ding durchziehen. Die Realität ist, dass die Täter wesentliche Aspekte ihres Lebens nicht im Griff haben und nicht mit ihrem Leben klarkommen. Eine schwere Straftat wird eigentlich immer ausgelöst durch soziale, emotionale oder persönliche Defizite. Wenn ich in der Therapie ihr Leben bis zur Tat mit ihnen aufarbeite, sagen sie fast immer, dass sie, realistisch betrachtet, das Gegenteil von Selbstkontrolle und Macht hatten. Aber an dieser Stelle sei gesagt: Genauso falsch, wie Täter zu verklären, ist es, sie zu entschuldigen. Eine Erklärung ist keine Entschuldigung. Wenn ein Mensch im juristischen Sinn schuldfähig ist, dann ist er verantwortlich. Auch wenn seine Geschichte und seine Eigenschaften es ihm leichter gemacht haben, an diesen Punkt zu kommen.

Was für Eigenschaften können das sein?

Wir Menschen sind ja soziale Wesen und müssen miteinander klarkommen. Deshalb hat die Evolution dafür gesorgt, dass wir Mitgefühl, Schuldgefühl und Angst vor Strafe entwickeln können. Sie ermöglichen es uns, als soziale Wesen zu existieren. Menschen, bei denen diese Eigenschaften sehr stark ausgeprägt sind, würden nur im äußersten Extremfall eine Waffe gegen jemanden richten. Bei anderen Menschen sind diese Eigenschaften nicht so ausgeprägt.

Was entscheidet darüber, ob wir diese Eigenschaften haben? Genetik oder Sozialisierung?

Beides. Jede Person hat von klein auf gewisse Anlagen: Manche Babys sind aktiv, manche eher nicht. Manche sind ängstlich, andere total neugierig. Es gibt also immer eine Art Grundtemperament. Die Frage ist schließlich, wie Genetik und Umwelt interagieren. Fünf Kinder, die im gleichen Umfeld aufwachsen, können als Erwachsene trotzdem total verschieden sein. Heißt: Wie du dich entwickelst, hängt sowohl von deiner Veranlagung als auch den Erfahrungen, die du machst, ab.

Und was wäre ein Umweltfaktor, der Straftaten begünstigt?

Ein Beispiel: Früher gab es sehr viel mehr Tötungsdelikte von Ehefrauen an Ehemännern als heute. Das liegt daran, dass Frauen sich mittlerweile scheiden lassen können und damit andere Auswege aus einer schrecklichen, vielleicht gewaltvollen Beziehung finden. Es gibt heutzutage mit Sicherheit Frauen, die sagen würden, dass sie nie jemanden umbringen könnten, die aber vor 200 Jahren möglicherweise genau das getan hätten. Sie können sich heute gar nicht mehr vorstellen, in so eine ausweglose Situation zu kommen. Deswegen sage ich immer: Scheidungen retten Männerleben.

Apropos Frauen und Morde: Sie haben das Buch „Psychopathinnen. Die Psychologie des weiblichen Bösen“ geschrieben. Gibt es das weibliche Böse?

In diesem Buch habe ich Fälle beleuchtet, bei denen die Psychopathie-Werte der Frauen zumindest erhöht sind. Psychopathie setzt sich aus verschiedenen Merkmalen zusammen. Mitgefühl, Schuldgefühl und Angst – auch Angst vor Bestrafung – sind wenig ausgeprägt. Hinzu kommen Impulsivität, der Drang, schnell seine Bedürfnisse zu befriedigen und Kicks zu suchen. Je stärker diese Eigenschaften in Kombination ausgeprägt sind, desto größer ist die Chance für unsoziales Verhalten. Früher dachte man, dass es sehr viel mehr männliche als weibliche Psychopathen gäbe, aber inzwischen ist man sich da nicht mehr so sicher.

Wieso?

Weil die weibliche Psychopathie eindeutig andere Schwerpunkte als die der Männer hat. Frauen mit einem hohen Psychopathie-Wert nutzen andere Rollenstereotype: Sie zeigen sich besonders hilfsbereit oder hilfsbedürftig. Außerdem neigen sie dazu, sich vor allem im nahen Umfeld unsozial zu verhalten. Sie machen Schulden, fälschen die Unterschriften ihrer Kinder und sagen dann: Du kannst mich ja gerne anzeigen, aber wenn ich in den Knast gehe, sind deine kleinen Geschwister im Heim. Emotionale Erpressung und das Ausnutzen von emotionalen Beziehungen stehen bei der weiblichen Psychopathie stark im Vordergrund. Kinder, Angehörige oder gute Freunde werden manipuliert oder instrumentalisiert. Männliche Psychopathen hingegen setzten ihre Bedürfnisse eher mit Dominanz durch und agieren häufiger auch außerhalb des nahen Umfelds.

Wie kommt es zu den Rollenstereotypen?

Learning by doing. Menschen wiederholen das Verhalten, das Bedürfnisse befriedigt. Ein kleiner Junge lernt schnell, dass er die Pausenbrote bekommt, wenn er dominant auftritt und andere verprügelt. Das Mädchen kriegt eher durch Manipulation, was es will. Aber an dieser Stelle ist wichtig zu sagen: Die meisten schweren Straftaten werden nicht von Psychopathen begangen.

Sondern von wem?

Die meisten Tötungsdelikte geschehen im nahen sozialen Umfeld, und ihre Grundlage sind persönliche Konflikte, die sich typischerweise über einen längeren Zeitraum hinweg hochschaukeln. Die eigenen Kinder, die eigenen Eltern, die eigenen Partner sind, rein auf Tötungsdelikte bezogen, die gefährlichsten Personen für uns. Eine verbreitete Form der Kindstötung resultiert beispielsweise aus der Unfähigkeit, mit dem Kind umzugehen. Häufig werden Babys totgeschüttelt, weil die Eltern das Schreien nicht ertragen können. Oder sie verlassen das Haus, und das Kind verdurstet. Das sind alles Konstellationen, für die du keine psychopathische Persönlichkeit brauchst.

Lydia Beneckes neuestes Buch „Betrüger Hochstapler, Blender. Die Psychologie der Manipulation“ erscheint im September 2021 (Lübbe, 18,90 Euro)
Credit: Lübbe

Kann eigentlich jeder Täter therapiert werden?

Die Fälle, in denen es unmöglich ist, sind sehr selten. Ein prominentes Beispiel aus den USA ist Ted Bundy. Er war ein hochgradig psychopathischer und sexuell sadistischer Serientäter. Eine gefährliche Konstellation: Denn wer sexuell motivierte Tötungsfantasien und gleichzeitig noch eine psychopathische Persönlichkeit hat, den hält nichts davon ab, diese Fantasien real zu machen. Mit den heutigen therapeutischen Mitteln würde man da nichts hinreichend verändern können.

Die Frage, die auch das True-Crime-Publikum umtreibt: Was lernen wir daraus? Wie beugen wir Straftaten am besten vor?

Die beste Straftatenprävention ist, dass man Kinder davor schützt, misshandelt zu werden. Seit man Kinder nicht mehr schlagen darf, gibt es in der Folgegeneration deutlich weniger schwere Straftaten. Unter anderem deshalb ist es heute bereits viel sicherer als noch in den 70er-, 80er- oder 90er-Jahren.

Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, Kriminalpsychologin zu werden?

Ich habe schon als Kind angefangen, mich für True Crime zu interessieren. Ich habe Zeitungsausschnitte über Straftaten gesammelt, Videokassetten, Bücher. Mein Interesse geht vermutlich auf die Tatsache zurück, dass ich mit viereinhalb Jahren von Polen nach Deutschland gekommen bin und in einer Gegend lebte, in der soziale Schwierigkeiten und verschiedene Kriminalitätserscheinungen allgegenwärtig waren: Drogen, Einbrüche, Feuerlegen. Mich hat aber nie interessiert, wie ich mich davor schützen kann, mein Gedanke war eher: Wieso wiederholen sich die Geschichten immer wieder? Daher habe ich angefangen, mich früh mit Psychologie auseinanderzusetzen.

Analysieren Sie als Psychologin auch Ihr privates Umfeld?

Für jede professionelle therapeutische Arbeit ist Distanz erforderlich – Freunde oder Verwandte sind tabu. Aber wenn Persönlichkeitsmerkmale bei Menschen sehr stark ausgeprägt sind und du arbeitest den ganzen Tag daran, Persönlichkeitsmerkmale wahrzunehmen und zu bewerten, dann nimmst du sie überall schneller wahr. So wie ein Orthopäde, der jemanden hinken sieht und sofort weiß, was mit der Hüfte nicht stimmt. Das heißt, du siehst es, ohne lange drüber nachzudenken.