Nina Habres, Senior Editor Online, findet: Routinen kann man so gestalten, dass sie Flexibilität ermöglichen
Um Ihrem Gähn-Impuls, der sich beim Lesen des Wortes „Routine“ ankündigt, etwas entgegenzusetzen: Los, lassen Sie uns einen trinken gehen! Jetzt?, fragen Sie. Klar, jetzt. Das ist es doch, was Sie über mich denken: dass ich als Befürworterin von Routinen langweilig und unflexibel sei. Da muss ich Sie enttäuschen. Denn spontan ausgehen, obwohl ich mich eigentlich gleich in den Pyjama schwingen wollte, kann ich. Ich kann auch kurzfristig für den Job nach Südkorea fliegen, obwohl ich für die kommenden Tage andere Pläne hatte. Und wenn wir gleich in der Bar versacken und ich morgen eigentlich früh rausmuss, macht das nichts, solange Ihre Gesellschaft und die Drinks gut sind.
Routinen kann man so festzurren, dass sie einem jede Flexibilität im Alltag nehmen. Das ist nix, da bin ich bei Ihnen. Man kann sie aber auch so gestalten, dass sie Flexibilität erst ermöglichen. Zum Beispiel so: Dadurch, dass ich jeden Tag mit Sport beginne, haben Emotionen wie Wut und Ärger bereits vor der Arbeit ihr Ventil gefunden. Im Büro esse ich jeden Tag das Gleiche zu Mittag, weil ich genau weiß, wie lange mich das satt hält, ohne dass ich im Food-Koma lande. Abends sehe ich zu, dass ich nicht später als 23 Uhr im Bett bin, weil ich mit zu wenig Schlaf zum Monster werde. Die für mich perfekte Routine vor dem Schlafengehen suche ich noch – denn wieso sollte man nicht ausprobieren, mit welchen Angewohnheiten man noch besser schläft?
Dadurch, dass ich meinem Alltag eine Portion Kalkulierbarkeit spendiere und mit Routinen die Eckpfeiler meiner Komfortzone gesteckt habe, kann ich mich absolut problemlos aus ihr herausbewegen. Mein Energielevel ist stabil, und übermüdet bin ich morgen bestimmt nicht – auch wenn wir jetzt ausnahmsweise noch ein Glas bestellen. Auf die Routinen!
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Joshua Schößler, Playboy-Praktikant, findet: Selbst gesunde Routinen haben immer etwas Morbides
Routinen liegen im Trend: Auf Social Media versprechen Influencer nichts Geringeres als den Einlass an den himmlischen Pforten. Man müsse nur um vier Uhr aufstehen, joggen und eiskalt duschen gehen. Auf TikTok gibt es kaum ein CEO-Märchen ohne den Hinweis auf übermenschliche Morgenroutinen. Allerdings ist es auch nicht lange her, dass dort das Zerkauen von Waschmittelkapseln unter dem Namen „Tide Pod Challenge“ trendete.
Mit Routinen begegnen wir den absurden Anforderungen, die die moderne Welt an uns stellt. Sie sind eine Notlösung, die uns nicht einfiele, würden Arbeitgeber, Finanzämter und körperliche Bedürfnisse uns nicht zwingen. Verstehen Sie mich nicht falsch, auch ich putze mir regelmäßig die Zähne. Aber selbst gesunde Routinen haben immer etwas Morbides. Wenn ich um sieben Uhr aufstehe, mein Morgenprogramm ablaufen lasse und in die U-Bahn steige, kommt mir frühestens um neun der erste lebendige Gedanke. Das sind zwei Stunden erstarrter Lebenszeit. Jeden Tag. Die von Routinen durchsetzte Arbeitszeit und der Routinesex am Abend – das Gegenteil erotischen Prickelns – noch nicht mitgerechnet.
Dummerweise liegt es in der Natur der Sache, dass man Routinen kaum hinterfragt. Das wird spätestens dann zum Problem, wenn sie sich zu Gewohnheiten verfestigen. Die kann man bekanntlich nicht so einfach ablegen. Wer jeden Tag zur gleichen Zeit zur Arbeit watschelt, dort täglich die gleichen Dinge verrichtet und sich abends zur gleichen Zeit Essen in den Mund schiebt, verpasst sein Dasein. Zweimal geblinzelt, und schon geht’s in die Gruft.
Ich plädiere gegen allzu starre Abläufe im ohnehin durchverwalteten Leben. Und dafür, nach dem Kaffee einfach mal zu gucken, was der Tag so bringt. Also für das Leben.