Einer von uns: Spazierengehen
Sollte mich eines Tages am Sterbebett jemand um meine gesammelten Lebensweisheiten bitten, wird das womöglich ein kurzes Gespräch. Ist ja alles ziemlich kompliziert in Wahrheit. Und ein paar simple Regeln, die grundsätzlich und jedem weiterhelfen, habe ich leider nicht parat. Bin ja auch kein Bestsellerautor.
Aber einen Rat hätte ich: Geh mehr spazieren. Nicht Nordic Walking, Power Walking oder „Ich muss noch auf meine 10.000 Schritte am Tag kommen“-Walking. Was ich meine, ist schlichtes Durch-die-Gegend-Walking. Du hattest einen schlechten Tag? Geh eine kleine Runde spazieren. Du musst eine wichtige Entscheidung fällen? Geh eine große Runde spazieren. Du musst Frust abbauen, auf Ideen kommen, zur Ruhe finden, es drückt sonst irgendwo der Schuh? Geh spazieren. Es drückt wirklich irgendwo der Schuh? Gut, dann ist es Zeit umzukehren.
Ein Spaziergang hilft fast immer. Er ist ein Wundermittel für die Minikrisen des Alltags. Und auch sonst sehr zu empfehlen. Wer spaziert, nimmt sich Zeit. Für das, was er auf dem Weg so findet. Für ein Gespräch. Für die eigenen Gedanken. Für die Verdauung. Für ein Glas Wein im Café. Für den Tritt in Hundescheiße, der auch dazugehört. Für Umwege, die keinen Sinn machen, aber Freude. Im Grunde: fürs Dasein.
Das Leben sei kein Sprint, sondern ein Marathon, heißt es. Ich finde: Das gute Leben ist weder noch. Es ist ein Spaziergang. Auf unvorhersehbarem Terrain. Aber mit der richtigen Haltung kann er sehr schön werden.
Keiner von uns: Der Fitness-Trend Joggen
Vom Lyriker F. W. Bernstein stammt der schöne Satz: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Also gleich raus damit: Ja, ich war Jogger. Mit zu engen Leggings, zu bunten Schuhen und einem zu viele Vitalfunktionen vom Puls bis zum Fußnagelwachstum messenden Handy bin ich durch Parks gehechelt. Selten glücklich. Stets überzeugt, alles richtig zu machen. Bisweilen kurz davor, die Welt per Streckenverlaufs-Facebook-Post an meiner Glanzleistung teilhaben zu lassen.
Vor Schlimmerem bewahrte mich zum Glück mein Orthopäde. Nach einer Sehnenentzündung fragte er mich, wieso ich die Restkilometer, die mir bis zur Arthrose bleiben, nicht lieber in etwas investiere, das mir auch Spaß macht. Tennis oder so. Gute Frage, fand ich. Als Alternative empfahl er gelenkschonenden Sport wie Schwimmen. Und dann erzählte er von all den Patienten, die ihm jedes Frühjahr die Bude einrennen, wenn wieder das große Joggen beginnt. Ich bilde mir ein, dass er dabei mit den Augen rollte.
Ja, Joggen kann gesund sein. Aber wer’s übertreibt, macht einen Fehler. Und wer gleich das ganze Leben mit einem Marathon verwechselt, sowieso. Der ewig Eilende ist oft der Erste: bei Zieleinlauf, Kalorienverbrauch, Beförderung. Aber er verpasst oft das Beste: die Zufallsbegegnung am Wegesrand, das süße Nichtstun, die fabelhaften Morgenstunden einer Party, die man vernünftigerweise schon um elf verlassen hätte. Lass die Joggingschuhe stehen, zieh öfter die Tanzschuhe an. Das wäre wohl mein zweiter Rat. Den gebe ich Ihnen schon jetzt.