Das "Roomers Hotel" im Münchner Westend. Moderner Luxus, hippe Eleganz. Eigentlich sollte das Gespräch in der Bibliothek des Hauses stattfinden. Die Idee: ein ungewöhnlicher Ort für ein Gespräch mit einem ungewöhnlichen Fußballer. Dann hat Javi Martínez aber eine bessere Idee: Spicy Tuna Rolls und Crispy Octopus essen im Hotel-Restaurant "Izakaya". Aber gerne doch. An einem Tisch dort sitzt Bayerns CO-Trainer Robert Kovac. Macht nichts. Martínez hat ja nichts zu verbergen. Im Gegenteil. Er bestellt eine unheimlich gesund aussehende Limonade und spricht mit uns, ja, ja, zunächst über Literatur.
Playboy: Herr Martínez, wir haben gehört, Sie mögen Bücher...
Ja, das ist eine meiner großen Leidenschaften. Sollten Sie mir mal etwas schenken wollen: Über ein Buch freue ich mich immer.
Haben Sie einen Lieblingsautor?
Ich mag Ken Follent sehr gerne. Ich liebe seine Bücher über den Zweiten Weltkrieg und über andere historische Themen. Wenn ich mit einem anfange, kann ich nicht mehr aufhören und lese die ganze Zeit. Im Hotel, im Mannschaftsbus...
Sitzen Sie dann als Einziger mit Buch im Bus?
Nein, nein, auch andere lesen gerne. Joshua Kimmich zum Beispiel oder Mats Hummels.
Sprechen Sie mit denen auch über Bücher?
Klar, wenn einer eines liest, frage ich immer, wovon es handelt.
Welches Buch haben Sie zuletzt weiterempfohlen?
Eines von Arturo Pérez-Reverte über den Spanischen Bürgerkrieg. Auf Deutsch heißt es „Der Preis, den man zahlt“.
Pep Guardiola soll Lionel Messi „Die Kunst des Verlierens“ von David Trueba geschenkt haben. Haben Sie auch ein Buch von ihm bekommen?
Er hat einigen von uns Spielern die Autobiografie von Andre Agassi geschenkt: „Open“. Es war sehr gut.
Warum hat er gerade dieses Buch gewählt?
Ich glaube, weil man sich als professioneller Sportler in vielem von dem wiederfindet, was Agassi beschreibt. Zum Beispiel dass es manchmal nicht so einfach ist, immer weiterzumachen, sich immer zu fokussieren, hungrig zu bleiben.
Reizt es Sie, selbst mal ein Buch zu schreiben?
Das würde ich wahnsinnig gerne tun. Aber mir ist klar, dass das ein enormes Vorstellungsvermögen erfordert und viel Disziplin. Ich habe sogar mal angefangen, einen Roman zu schreiben.
Worüber?
Das möchte ich lieber nicht erzählen. Sorry. Aber geschrieben habe ich auch während der WM 2014 in Brasilien, eine Art Tagebuch . . .
Das wurde ein kurzes Buch. Sie sind als Weltmeister in der Gruppenphase ausgeschieden . . .
Ja, das wurde es. Vor allem weil ich aufhörte zu schreiben, als wir anfingen zu verlieren . . .
Früher, als Kind, wen hatten Sie da als Poster bei sich im Zimmer hängen? Sportler, Musiker, Künstler?
Weder noch, da hing die Jungfrau Maria. Meine Familie ist sehr katholisch. Ich habe mir das Zimmer mit meinem neun Jahre älteren Bruder geteilt. Der hatte ein Real-Madrid-Poster an der Wand und ein Shirt von Emilio Butragueño.
Sie waren als Kind Ministrant.
Ja, ich war ein guter Junge, ein sehr guter Junge (lächelt). Aber später hat sich das ein wenig geändert . . .
Was haben Sie angestellt?
Die Schulbücher meines Bruders im Klo runtergespült, oder einmal habe ich mir den Traktor meines Vaters ausgeliehen und eine kleine Tour mit meinen Freunden gemacht – bis wir gegen eine Mauer krachten. Ich wusste nicht, wie man den Traktor stoppt, er fuhr immer weiter die Wand hoch und drohte nach hinten zu kippen. Plötzlich blieb er zum Glück stehen. Wir brauchten zwei Stunden, um das Ding zu säubern und wieder heimzuschieben. Mein Vater weiß bis heute nichts davon . . .
Stimmt die Geschichte, dass Ihr Bruder Sie von der Idee abgebracht hat, Torwart zu werden?
Ja, er war ein sehr guter Fußballer, hat später in der zweiten spanischen Liga gespielt. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, hat er zu mir gesagt: „Du willst Torwart werden? Okay, ich schieße zehn Elfmeter, wenn du einen davon hältst, kannst du Torwart werden.“ Dann hat er mir zehn Dinger reingeknallt.
Sind Sie ihm heute dankbar dafür?
Wer weiß, vielleicht wäre ich ein großartiger Torwart geworden? Mein Bruder war immer mein Vorbild, meine Inspiration. Als Kind bin ich zu all seinen Spielen gefahren. Ich wollte werden wie er.
Haben Sie fußballerisch viel von ihm gelernt?
Ich habe vor allem viel übers Leben von ihm gelernt. Wie man sich benimmt, wie man auf sich aufpasst. In meinen ersten Profi-Jahren bei Athletic Bilbao haben wir zusammengewohnt. Er war für mich Vater, Bruder, Freund, alles.
Mal angenommen, Sie könnten zu einem Abendessen vier Prominente Ihrer Wahl einladen. Wen hätten Sie gerne am Tisch?
(Antwortet, ohne lang nachzudenken) Barack Obama!
Wen noch?
Sind sie alle gleichzeitig da? Dann Donald Trump.
Dazu noch Putin?
Das wird zu viel Politik. Ich würde noch Rafael Nadal einladen. Und Arturo Pérez-Reverte, den Autor.
Keinen Musiker? Sie spielen selbst Gitarre . . .
Na ja, ich lerne es gerade. Bis jetzt kann ich nur „Wonderwall“ spielen und „Can I be your hero, Baby“ von Enrique Iglesias. (Er fängt an zu singen: „Can I be your hero ...“ – bricht ab, lacht.) Dieses Interview erscheint hoffentlich wirklich nur in gedruckter Form, oder?
Wenn Sie mit Ihren Mitspielern beim FC Bayern eine Band gründen würden, wer stünde mit Ihnen auf der Bühne?
Auf jeden Fall Rafinha, weil er Rhythmus im Blut hat, dazu Renato Sanches und David Alaba . . .
Keine Deutschen?
Da mangelt es ein bisschen am Rhythmusgefühl. Aber Thomas Müller würde ich noch nehmen. Für die Sprüche zwischen den Songs.
Mit welcher Musikrichtung ließe sich der Fußball vergleichen, den Sie unter Niko Kovac spielen?
Rock ’n’ Roll. Weil wir mit hoher Intensität spielen und mit einem schnellen Rhythmus.
Welches sind die Unterschiede zum Guardiola- oder Heynckes-Fußball?
Mit Pep hat unser Stil mehr klassischer Musik geähnelt, einer Symphonie, alles war im Fluss. Und mit Jupp? Das war ein ähnlicher Stil wie jetzt mit Niko.
Seit dem Champions-League-Triumph 2013 hat Bayern es viermal ins Halbfinale geschafft, aber keinmal ins Finale. Was hat gefehlt?
Um die Champions League zu gewinnen, muss jedes winzige Detail perfekt stimmen. Du musst zum richtigen Zeitpunkt in guter Form sein, ein gutes Spiel machen, Glück haben: Der Ball landet im Netz statt am Pfosten, der Elfmeter im Tor statt daneben. Alles muss perfekt stimmen, nur dann hast du eine Chance.
Außer Bayern war in den vergangenen Jahren kein deutsches Team auch nur nah dran, die Champions League zu gewinnen. Bei der WM erlebte Deutschland ein Debakel. Gibt es Grund zur Sorge um den deutschen Fußball?
Überhaupt nicht. Ich denke, der deutsche Fußball ist sehr stark. Als ich 2012 nach Deutschland kam, wusste ich nicht sehr viel über den Fußball hier. Er war damals noch nicht so populär in Spanien, wie er es mittlerweile ist. Jedenfalls hat mich damals alles sehr positiv überrascht: die Qualität des Fußballs, die vollen Stadien, die tollen Fans, die Atmosphäre. Ich denke, das Wichtigste im Fußball sind die Fans, und hier sind die Stadien immer voll. Das ist nicht überall so.
Wenn ein junger Spieler aus Spanien Sie fragen würde, ob er in die Bundesliga wechseln soll, würden Sie ihm dazu raten?
Mich haben schon Spieler gefragt, und ich sage ihnen immer: „Du wirst es hier genießen, du wirst den echten Fußball erleben, Fußball, wie er sein soll.“ Für mich gehört die Bundesliga mit der spanischen und der englischen Liga zu den drei besten der Welt.
Welchen Rat geben Sie einem jungen Spieler, der zu Bayern München wechseln möchte?
Bring eine dicke Jacke mit, denn es wird kalt. Ansonsten: Genieß es!
Wie erklären Sie Ihren spanischen Freunden die Mentalität der Deutschen?
Harte Arbeiter, sehr organisiert. Aber auch sehr warmherzig, hilfsbereit und sehr freundlich.
Sie leben seit über sechs Jahren hier. Gibt es typisch deutsche Eigenarten, die Sie angenommen haben? Abendessen um halb sieben zum Beispiel?
Ist auf jeden Fall besser für die Verdauung . . .
Essen Sie auch um halb sieben, wenn Sie im Heimaturlaub sind?
Nein, da sind wir um die Uhrzeit gerade erst mit dem Mittagessen fertig (lacht).
Stimmt es, dass Sie im Restaurant Ihrer Familie in Ihrem Heimatdorf Ayegui manchmal kellnern?
Ich helfe manchmal aus, ja.
Wann zuletzt?
Diesen Sommer.
Was sagen die Leute, wenn plötzlich Javi Martínez ihr Steak serviert?
Viele sagen zu meiner Schwester: „Ich möchte bitte einen Kaffee, aber von Javi, nicht von dir!“
Sind die Trinkgelder gut?
Ist leider unüblich bei uns.
Sie kommen aus dem Baskenland. Die Bayern und die Basken: Sind die sich eigentlich ähnlich?
Ja, warmherzig, heimatverbunden, dickköpfig, da gibt es schon Ähnlichkeiten. Vielleicht fühle ich mich auch deshalb so wohl hier. Ich liebe München. Es ist eine zweite Heimat für mich. Wenn ich am Flughafen ankomme, denke ich: „Schön, wieder zu Hause zu sein.“ Aber wenn ich nach Ayegui komme, geht es mir natürlich genauso.
Was für die Bayern das Oktoberfest, ist für die Basken das San-Fermín-Festival in Pamplona, bei dem sich junge Männer traditionell von Bullen durch die Altstadtgassen jagen lassen. Haben Sie mal mitgemacht?
Ja, zuletzt mit 16, das machen alle aus meinem Dorf.
Was macht Ihnen mehr Angst: der Bulle in Pamplona oder Messi in der Champions League?
(Blickt plötzlich sehr ernst) Natürlich der Bulle! Er kann dich umbringen! Da pumpt wirklich Adrenalin durch deinen Körper.
Der schönste Ort der Welt – nach Ayegui und München?
Rom. Das Kolosseum hat mich unglaublich beeindruckt. Ich habe es mir sogar auf den Arm tätowieren lassen.
Tattoos, Klamotten, Haarschnitte: Wer ist der Boss in der Bayern-Kabine in Sachen Stil?
Hm, ich weiß nicht. Ich glaube, James denkt, er sei es. Aber er ist es nicht (lacht laut). Mich hat Xabi Alonso immer beeindruckt. Ein echter Gentleman.
Für welchen Luxus geben Sie Geld aus?
Ich mag Uhren. Und ich reise gerne mit Familie und Freunden.
Sie haben 2013 bei einer Reise mal eine ziemlich nervenaufreibende Erfahrung gemacht . . .
Ja, das war nach dem Finale der Club-WM 2013. Ich flog mit einem unserer Fitness-Trainer von Marrakesch nach Madrid in einem brandneuen Privatjet. Plötzlich, wir waren irgendwo über dem Atlasgebirge, gab es einen lauten Knall, wie eine Explosion, überall flog Zeug herum. Das waren die furchteinflößendsten Momente meines Lebens. Ich weiß noch, dass wir uns an den Händen hielten. Das Flugzeug trudelte, erst nach etwa zehn Sekunden stabilisierte es sich wieder.
Was war passiert?
Eine der Türen war aufgebrochen, wegen des Drucks. Wir flogen zurück und machten eine Notlandung.
Hat diese Erfahrung Ihre Einstellung zum Fliegen verändert?
Nein. Sechs Stunden später flogen wir mit einem anderen Flugzeug nach Madrid.
Keine lebensverändernde Erfahrung also?
Ich habe schon immer mit der Einstellung gelebt: Genieße jeden Moment. Morgen kann alles vorbei sein. Carpe diem!
Sie haben zwei kleine Kinder. Hat das Vatersein Sie verändert?
Das schon, ja. Ich denke jetzt immer zweimal nach, bevor ich ein unnötiges Risiko eingehe. Fallschirmspringen zum Beispiel: Das hätte ich früher einfach so gemacht. Heute frage ich mich: „Muss das wirklich sein?“
Welche Werte versuchen Sie Ihren Kindern zu vermitteln?
Demut, Höflichkeit und dass sie für ihre Ziele hart arbeiten sollen.
Sie haben gesagt, dass Sie von Ihrem Bruder viel übers Leben gelernt haben. Was haben Sie von ihm über Frauen gelernt?
Über Frauen? Mein Bruder ist seit über 20 Jahren mit derselben Frau zusammen (lacht). Sagen wir mal: Er hat mir dadurch Kontinuität und familiäre Werte vermittelt.
Sie sind 30. Haben Sie Pläne für die Zeit nach der Fußballkarriere?
Mehr Sport machen.
Wie bitte?
Ja, Basketball, Tennis, Paddle- Tennis, Schwimmen, Radfahren, Wandern, ich liebe das alles. Nach meiner Fußballkarriere werde ich den ganzen Tag Sport machen. Jetzt geht das nicht, weil ich sonst zu erschöpft wäre für meinen Job.
Und abgesehen vom Sport?
Ich möchte gerne Trainer werden, aber nur für Jugendliche. Wenn sie 14, 15 Jahre alt sind und den Schritt machen Richtung Profi- Sport, da brauchen sie einen guten Trainer und Mentor. Das würde ich gerne machen. Und ein Studium aufnehmen. Wirtschaft, Jura, das interessiert mich. Mal sehen, was dann daraus wird . . .
Wenn alles schiefgeht, können Sie ja wieder kellnern. Oder hier ein Restaurant aufmachen.
Gute Idee. Wenn ich hier in spanische Restaurants gehe, sind die immer voll. Und unser Restaurant ist besser als die hier!