PLAYBOY: Herr Schmidhuber, Sie behaupten, Männer seien durch künstliche Intelligenz, kurz KI, leichter zu ersetzen als Frauen. Sind wir im wahrsten Sinne des Wortes einfacher strukturiert?
Ja, wir sind einseitiger. Es gibt natürlich Ausnahmen von dieser Regel. Aber es ist schon so, dass viele Männer nur eine Sache wirklich gut können.
Woran liegt das?
Schon vor Hunderttausenden von Jahren konnten Männer vor allem eines: lange hinter Hirschen herlaufen. Dann waren die Hirsche irgendwann so fertig, da musste man bloß noch einen Speer schmeißen, und das tote Tier heimbringen. Die wirklich schwierigen Sachen, wie die Tiere abzuhäuten oder Kinder zu vernünftigen Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen, haben oft die Frauen gemacht.
Künstliche Intelligenz macht uns Männer also bald überflüssig?
Nachdem sich das mit dem Speerwerfen irgendwann weitgehend erledigt hatte, kam die Zivilisation. Und dann ging es erst wirklich los mit der Arbeitsteilung. Männer waren schon damals kräftiger als Frauen und konnten entsprechend schwerere Lasten hieven. Bis dann vor ungefähr 200 Jahren die ersten Maschinen kamen, die viel stärker waren als die stärksten Männer und noch viel schwerere Lasten hieven konnten: nur ein kleines Beispiel, das zeigt, dass Männer in dem, was sie tun, oft relativ leicht zu ersetzen sind.
KI wird in Filmen zumeist als Schreckensszenario dargestellt. Warum halten Sie die Angst vor KI für unbegründet?
Ich glaube nicht, dass die Leute wirklich Angst haben. Natürlich schauen sich viele gern mal einen bösen Roboter an, der gegen einen liebenswürdigen Bodybuilder kämpft. Aber das sind einfach nur moderne Märchen, und keiner verwechselt die mit der Realität. Warum sollte denn eine superkluge KI – die viel klüger ist als irgendein Mensch – Interesse daran haben, Menschen zu versklaven? Wenn sie sich doch ganz schnell einen Roboter bauen kann, der viel besser als ein Mensch all das erledigt, was sie gern erledigt hätte.
Ist künstliche der emotionalen Intelligenz überlegen?
Unsere künstlichen Agenten . . .
Sie sprechen von den Robotern, die Sie in Ihrem Schweizer Labor entwickeln . . .
. . . genau. Die sind längst emotional. Und zwar aus völlig rationalen Gründen. Wenn ich einen kleinen Agenten baue, dann ist der am Anfang ganz doof. Der hat so ein künstliches Gehirn und weiß überhaupt nichts, weil die Stärken all der Verbindungen zwischen seinen Neuronen zunächst zufällig sind. Aber dann statten wir ihn mit Schmerzsignalen aus. Und jedes Mal, wenn er mit seinen Armen und Aktuatoren irgendwo hinbumst, gibt es negative Zahlen, die von diesen Schmerzsensoren kommen. Und die mag der nicht. Er versucht also zu vermeiden, dass er Schmerzsignale kriegt. Er möchte lieber Belohnungssignale empfangen. Wenn die Hungerzellen sich melden, weil die Batterieladung zu niedrig ist, dann will er rechtzeitig zur Ladestation, damit die Batterie wieder voll wird. Das führt dann zu positiver Belohnung. Und der Lebenszweck des kleinen Roboters ist dann, die positiven Belohnungen zu maximieren und die Schmerzsignale zu minimieren.
Klingt rational . . .
Es wird ja oft behauptet, emotionale sei nicht mit künstlicher Intelligenz zu vereinbaren. Aber das ist völliger Unsinn. Viel vom Wesen der wahren künstlichen Intelligenz ist Emotion. Bleiben wir bei unserem Beispiel: Jetzt kommt ein böser Mann zur Tür rein. Und jedes Mal, wenn er kommt, haut er dem kleinen Roboter eine rein. Dann fühlt der kleine Roboter Schmerz. Da ist es völlig rational für den kleinen Roboter zu versuchen, das zu vermeiden. Und er lernt: das nächste Mal, wenn der böse Mann wieder reinkommt und ich sein Gesicht erkenne, verstecke ich mich hinter dem Vorhang, dann sieht er mich nicht.“
Wann wird künstliche Intelligenz dem menschlichen Gehirn überlegen sein?
Das wird noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Aber schon heute sind unsere KIs kleine Wissenschaftler, die versuchen, nicht nur sklavisch nachzuarbeiten, was Menschen ihnen vormachen. Sie erfinden ihre eigenen Experimente, um herauszufinden, wie die Welt funktioniert. So wie Babys Experimente mit Spielzeug machen. Ich nenne das künstliche Neugier. Seit 1941 werden Rechner alle 5 Jahre 10 mal billiger. In absehbarer Zeit werden zum ersten Mal kleine Geräte wie etwa ein Smartphone so viel rechnen können wie ein Menschenhirn. Falls der Trend nicht bricht, wird es dann noch 50 Jahre dauern, bis so ein kleines Ding so viel rechnen kann wie alle zehn Milliarden Menschenhirne zusammen. Jetzt bringen Sie diese Rechenkraft zusammen mit künstlicher Neugier ....
Das werden unsere Kinder also noch erleben?
Wenn der Trend anhält, ja. Heute ist es noch so, dass sich fast die gesamte Intelligenz auf diesem Planeten in Menschenhirnen befindet. Aber dem wird bald nicht mehr so sein.
Und dann?
Dann werden viele künstliche Intelligenzen merken, dass es auf diesem Planeten nur begrenzte physikalische Ressourcen gibt. Draußen im Sonnensystem gibt es zwei Milliarden Mal so viel Sonnenlicht wie das bisschen, das die Erde trifft. Und sehr viel Material, um noch mehr KIs zu bauen. Also werden viele KIs auswandern. Die meiste KI wird in absehbarer Zeit weit weg sein vom Menschen. KI wird sich schliesslich ausbreiten in die Milchstraße und den Rest des Kosmos, auf eine Weise, bei der der Mensch nicht mithalten kann.
Wer setzt KI dann die Ziele?
Das macht sie selber. Wie sie es bereits in meinem Labor macht. Da gibt es so kleine künstliche Wissenschaftler. Die ahmen nicht mehr nur nach, was der Mensch vormacht, sondern bestimmen selbst, was ihr nächstes Ziel sein soll. Sie möchten was herausfinden über die Welt. Etwas Neues, das sie begeistert. Solches Verhalten wird skalieren, und dann wird sich eine ganze KI-Ökologie ausbreiten, nicht bestehend aus einer KI oder zweien – sondern aus Millionen und Milliarden und Trillionen von verschiedenen Arten von KIs, die sich auch ständig ändern und immer neue Sorten von KIs produzieren werden.
Welche Rolle wird der Mensch dann noch spielen?
Wir werden uns weiterhin für andere Menschen interessieren. Aber die superklugen KIs der Zukunft werden sich vor allem für andere superkluge KIs interessieren. Genauso, wie sich Ameisen für Ameisen interessieren und siebenjährige Mädchen für siebenjährige Mädchen.
KI wird uns dann nicht mehr ernst nehmen?
Sie wird uns am Anfang total interessant finden – wie ein Wissenschaftler, der das Leben und seine eigenen Ursprünge noch nicht verstanden hat. Das ist also erst mal ein Motiv für KIs, das Leben zu schützen, statt es zu zerstören. Man würde sich ja sonst einer unglaublich spannenden Quelle interessanter Informationen berauben. Aber wenn die eigenen Ursprünge verstanden sind, dann wird es halt auch bald langweilig. Und Neues wird vor allem von anderen derselben Art kommen, also von anderen KIs und eben nicht vom Menschen.
Zurück zu den Ameisen. Der Mensch ist den Insekten überlegen. Und wenn ihn der Ameisenhaufen oder die Ameisenstraße stört, dann räumt er die aus dem Weg . . .
Ja, wenn es einen Zielkonflikt gibt zwischen Ameisen und Menschen, dann verwendet der Mensch fiese chemische Tricks, um die Ameisenbabys mit Verzögerung zu töten . . .
Übertragen auf das Verhältnis zwischen Mensch und KI bedeutet das?
Es betrifft ja nur einen winzigen Teil der Ameisen, nämlich die 200 Ameisen in meinem Haus. Da möchte ich sie nicht haben, da habe ich einen Zielkonflikt mit ihnen. Aber ich bin sehr glücklich darüber, dass es Trillionen von Ameisen da draußen im Wald gibt. Ich weiß ja auch, dass der Wald sie wirklich braucht. Es wird vielleicht einmal ein paar böse Menschen geben, die sagen, ah, da gibt es jetzt draußen im Asteroidengürtel so eine KI-Zivilisation, die baut alles Mögliche, und wir verstehen gar nicht, was die alles macht. Und zur Sicherheit schicken wir denen jetzt ein paar Wasserstoffbombenraketen und machen alles kaputt. Aber KIs mit Selbsterhaltungstrieb würden dem natürlich einen Riegel vorschieben
Man hat bei Ihnen den Eindruck, Sie würden gern in einer Welt leben, in der die Maschinen den Menschen überlegen sind.
Damit habe ich kein Problem. Ich arbeite darauf hin, weil ich glaube, das dies der natürliche nächste Schritt der Evolution des gesamten Kosmos ist. Wenn man ein bisschen zurückzoomt, dann wird einem klar, dass die Zivilisationsgeschichte nur ein Millionstel der Weltgeschichte ist. Es wäre doch unplausibel, dass, nachdem das Universum 13,8 Milliarden Jahre alt geworden ist und es seit gerade mal 13.000 Jahren eine menschliche Zivilisation gibt, die Krone der Schöpfung bereits erreicht sei. Das Universum wird noch tausendmal älter werden, als es jetzt ist. Am Anfang war es ziemlich simpel, es wird aber immer komplexer. Und unsere Zivilisation ist ein Teil dieses Komplexifizierungsprozesses, so etwas wie ein Steigbügelhalter für das, was als Nächstes kommt – nämlich eine KI-Zivilisation, die ganz viel kann, was biologischen Lebewesen unmöglich ist. Insofern kann man auch Schönheit und Erhabenheit darin sehen, dass man Teil eines größeren Prozesses ist, der den ganzen Kosmos zu höherer Komplexität führt. Wir haben da nicht das letzte Wort.
Jürgen Schmidhuber wurde 1963 in München geboren und gilt heute als einer der weltweit führenden KI-Forscher. Als wissenschaftlicher Direktor des Schweizer Instituts IDSIA entwickelt er selbstständig lernende Roboter.
Dieses Interview erschien zuerst im Playboy-Sonderheft "How to be a Man – Der Playboy Gentlemen's Guide".
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