fotos BERNHARD HUBER
Der König der Schmierstoffe empfängt seine Gäste in diesen Tagen nicht in der Ulmer Firmenzentrale. Moly-Chef Ernst Prost hat sich seit Wochen coronabedingt in seiner Burg verschanzt, einem historischen Schloss, das sich imposant über das idyllische Städtchen Leipheim erhebt. Der 63-jährige Schlossherr erwartet uns Playboy-Redakteure im Wintergarten seines Anwesens: mit breitem Grinsen, braun gebrannt und lässig gekleidet in Jeans, Hawaiihemd und Cowboyboots.
Playboy: Herr Prost, Sie wurden schon als „Robin Hood der Wirtschaft“ betitelt oder als edler Ölprinz ...
Prost: ... im „Handelsblatt“ stand gerade „der rote Kapitalist“.
Welches Etikett passt denn am besten auf Sie?
Ich hasse Etiketten. Ich hasse Schubladen. Ich hasse Vorurteile. Ich hasse alles, was versucht, Menschen festzunageln. Ich bin ein Mensch mit vielen Seiten. Und darum mag ich überhaupt kein Etikett.
Welche Seite mögen Sie an sich am liebsten?
Die des verantwortungsvollen, empathischen Visionärs mit Träumen, aber auch mit klaren Zielen und einer klaren Strategie. Das ist, was ich am meisten an mir mag. Zu verbinden. Unternehmerische Aktivität mit gesellschaftlichem Nutzen. Geld verdienen ja, aber ohne es anderen Leuten wegzunehmen.
Würden Sie sich als Gutmenschen bezeichnen?
Als Sehrgutmenschen sogar (lacht).
Dennoch: Sie teilen verbal immer wieder mal deftig aus. Sind Sie auch gut im Einstecken?
Nein.
Das überrascht ...
Als junger Mensch war ich sportlich, habe Fußball gespielt, unterste Liga, Absteigen ging nicht. Ich bin auch Marathon gelaufen. Und ich habe geboxt. Und da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben festgestellt, ich bin tausendmal besser im Austeilen als im Einstecken. Andererseits muss man beim Boxen aber auch einstecken können. Ich habe gelernt, dass Offensive und Defensive zwei Seiten einer Münze sind. Man muss beides beherrschen.
Wie oft waren Sie in Ihrer Karriere schon auf den Brettern und mussten dann wieder aufstehen?
Das ist genau der Punkt. Wenn man auf dem Boden ist, muss man wieder aufstehen. Das ist eine Lehre, die ich aus dem Boxen mitgenommen habe. Wir haben mit Liqui-Moly bisher keinen einzigen Niederschlag erlebt, aber wir sind getaumelt, wir haben in den Seilen gehangen. Aber wir standen immer. Und ich persönlich auch. Also auch mal angeschlagen so wie zwölfte Runde gegen Klitschko (lacht). Aber nie aufgeben, nie Handtuch werfen, nie auf den Brettern liegen bleiben. Sondern sich wieder hochkämpfen und weitermachen.
Sie waren schon „Macher des Jahres“, „Automarkt-Manager des Jahres“ oder auch „Mutmacher der Nation“. Welche Auszeichnung bedeutet Ihnen am meisten?
Eigentlich keine. Ruhm und Ehre vergehen. So wie das Geld. Das sind alles Dinge, auf die ich nicht aus bin. Die wirklich entscheidenden Dinge eines Menschen sind nicht seine Titel und seine Auszeichnungen, sondern seine Taten.
Apropos Taten. Wie schon in der Finanzkrise agieren Sie auch diesmal antizyklisch. Während andere Kosten senken und nach staatlicher Hilfe rufen, zahlen Sie an Ihr Team eine sogenannte Erschwerniszulage von 1500 Euro je Mitarbeiter.
Richtig.
Und wollen in diesem Jahr zehn Millionen Euro mehr für Werbung ausgeben als geplant ...
Kennen Sie die Musik des Radiospots? Gut, gell?
Äh, ja ...
Das sind ein bisschen AC/DC-Anleihen.
Klingt wie ein Biker-Soundtrack.
Das bin ich. Die klaren Gitarren- Riffs, das ist gut. Das ist mein Lieblingslied. Gleich nach „Highway To Hell“ (lacht).
Warum kann Ihnen die Krise nichts anhaben? Was machen Sie anders als die anderen?
Was in drei Teufels Namen soll man denn jetzt in so einer Krise anderes machen, als Gas zu geben und anzugreifen? Wenn ich jetzt hier nur zurückziehe, dann verschlimmere ich doch die Auswirkungen dieser Krise noch viel mehr. Jetzt ist Gegenwehr gefragt. Ich muss mich doch jetzt mit aller Kraft in die Schlacht werfen.
Angriff ist also die beste Verteidigung?
Da unten in der Schublade (zeigt auf den Couchtisch) ist meine Blaupause für Krisen. Es ist natürlich auch ein perfekter Zeitpunkt, um die Konkurrenten anzugreifen. Wir leben in einem wettbewerbsintensiven Umfeld. Und nachdem es jetzt meine lieben Wettbewerber vorziehen, zu Hause zu bleiben, Home-Office zu machen, Kurzarbeit anzumelden,die Budgetszustreichen, ist das für mich die Gelegenheit zum Angriff.
Sie haben einen vorformulierten Krisenplan?
Immer schon. Ich habe auch immer die Kriegskasse gefüllt. Es gibt einen Worst-Case-Plan. Und im Unterschied zur Bundesregierung schaue ich da ab und zu rein und mache dann auch, was da drinsteht. Schauen Sie sich um: Der Einzige, der arbeitet, ist der Anrufbeantworter! Und da heißt es dann: „Aufgrund von Arbeitsüberlastung sind wir gerade nicht in der Lage, Ihre Anfrage zu beantworten, rufen Sie doch nächste Woche noch mal an“ – oder nach der Krise. Was ist das für eine Gegenwehr? Jetzt heißt es kämpfen und arbeiten!
Was unterscheidet die Corona-Krise von der damaligen Finanzkrise?
Vieles. Bei der Finanzkrise damals ging es um wirtschaftlichen K. o., also nur um Geld schlussendlich. Aber jetzt geht’s um Leben und Tod.
Sie sind Anfang 60. Wovor haben Sie mehr Angst: sich mit dem Virus zu infizieren oder vor den wirtschaftlichen Folgen?
Ja, ich bin in der Risikogruppe. Und meine Lunge gehört jetzt nicht gerade zu meinen stärksten Bauteilen. Das ist auch ein Grund, warum ich schon seit zehn Wochen hier das Haus nicht mehr verlassen habe.
Sie sprechen bei Ihren Mitarbeitern immer von Mitunternehmern. Warum beteiligen Sie eigentlich Ihre Angestellten nicht auch wirtschaftlich am Unternehmen?
Das wollen die nicht. Dann müssten sie ja auch das Kapitalrisiko tragen. So, wie es jetzt ausschaut, werden wir heuer womöglich Verlust machen, zumindest aber keinen großen Gewinn. Und das wäre für manche Leute persönlich dann nicht so leicht zu schultern. Es ist noch nicht jeder bereit, Unternehmer zu sein mit eigenem Investment. In Deutschland haben wir, glaube ich, insgesamt nur noch drei Prozent der Hochschulabgänger, die sich selbstständig machen wollen.
Woran liegt das?
An unserer Mentalität. Anders als in den USA. In Deutschland hat man ja auch starke Absicherungssysteme. Rentenanspruch, Krankenkasse oder Arbeitslosengeld. Die mag man nicht so gern verlieren.
Laut „Spiegel“ waren Sie 2001 der Unternehmer mit den meisten TV- Auftritten. Nach dem 2012 vom „Stern“ enthüllten E-Mail-Skandal (in einer Rundmail an die gesamte Belegschaft beschuldigte Prost einen leitenden Mitarbeiter, die Firma betrogen zu haben, d. Red.) sagten Sie, dass Sie sich künftig komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehen wollen: keine Talkshows mehr und auch keine Werbung mehr. Warum haben Sie sich jetzt dazu entschlossen, wieder persönlich in den Medien präsent zu sein?
In einer Krise ist persönliches Leadership dringend notwendig. Deshalb gehe ich wieder voran, deshalb mach ich mich auch wieder nackig in der Öffentlichkeit. Ich bin dadurch natürlich auch wieder angreifbarer. Ich habe damals nach dem Ärger gesagt, ich will lieber meinen Frieden als den Trubel der Talkshows. Und das hatte ich dann von einem Tag auf den anderen. Ruhe und Frieden anstatt Ruhm und Ehre. Aber jetzt in der Krise sehe ich halt deutlich, wie sich die Leute wieder nach einem Anführer umschauen und sagen, Mensch, was machen wir denn jetzt bloß? Die Ängste sind groß. Da ist es gut, wenn der Kapitän auf der Brücke steht und sagt, wo es langgeht.
Sie haben 2018 Ihre Firmenanteile an die Unternehmensgruppe Würth verkauft ...
Da geht es um eine langfristige Absicherungsstrategie. Egal, was mir passiert, der Firma passiert nichts.
Warum Würth?
Wir hatten Angebote von Shell, von Esso, von Mobil, von BP, alle wollten uns kaufen. Und dann aussaugen und filetieren. Das kam für mich nicht infrage. Würth ist eine Stiftung. Die Firma ist also geschützt vom Zugriff von außen. Und da hab ich gesagt, in diesen Firmenverbund von 400, 500 Unternehmen passen wir mit Liqui-Moly super rein. In der Eigenständigkeit mit unserer eigenen Unternehmenskultur, gewachsen in 60 Jahren, sind wir in dem Flottenverband Würth tausendmal besser aufgehoben als in irgendeinem großen Laden, der uns entmannen, entseelen und entbeinen will.
Sie haben im Rahmen des Verkaufs jedem Ihrer 835 Mitarbeiter je 11.000 Euro Prämie gezahlt.
Ich nenne die Zeit auch die goldenen Fünfziger. Da hatten wir drei Jahre hintereinander immer 50 Millionen Gewinn vor Steuern gemacht. Und dann gibt es eben fette Prämien. Ich habe das deshalb auch „fette Beute“ genannt. Und die zu verteilen heißt eben, auch den Soldaten etwas zu geben.
Wie lange wollen Sie noch Mr Liqui Moly sein?
Das ist eine gute Frage. Ich fürchte, ich werde irgendwann mal in meinen Cowboystiefeln sterben, und der Schädel wird auf die Schreibtischplatte knallen. Weil ich halt nicht loslassen kann. Liqui Moly, das ist schon wie eine Droge. Für mich ist die Arbeit ein Lebenselixier.
Woran sollen sich die Menschen einmal bei dem Namen Ernst Prost erinnern?
Ich möchte nicht als Arschloch sterben. Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen an das erinnern, was ich verkörpere: schaffen und Gutes tun.
Sie sind ein religiöser Mensch und sprechen sehr viel über Werte. Ist an Ihnen nicht ein Pfarrer verloren gegangen?
Ein Priester muss das Zölibat beachten. Das wäre jetzt wieder nichts für mich (lacht). Ich möchte mir aber auch nicht anmaßen, von der Kanzel runter zu predigen wie die Leute zu sein haben. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass man durch Vorleben mehr bewegen kann. Mir gefällt die Arbeit mit unseren Stiftungen. Darum kümmert sich ja meine Kerstin, ich gebe nur das Geld dazu.
Wer wird mal Ihr ganzes Vermögen erben?
Ich habe vor 30 Jahren ein Testament verfasst. Das muss ich allerdings immer wieder umschreiben (lacht). Wir haben eine große Familie mit einem Haufen Kinder. Auch meine Stiftungen sind bedacht. Und ein paar gemeinnützige und wohltätige Organisationen.
Was war der wichtigste Rat, den Sie bekommen haben in Ihrem Leben?
Ich glaube, ich habe etwa 775 Leitsätze, an denen ich mich festhalte. Aber ich zitiere immer gern meine Großmutter, die hat ja mehr zu meiner Erziehung beigetragen als meine Eltern.
Sie haben sich als Kind mit Ihrer Großmutter lange Zeit sogar ein Zimmer geteilt.
Na klar, das war damals halt so. Da hat nicht jedes Kind ein Kinderzimmer gehabt. Diese heutigen Corona-Quarantäne-Zustände haben wir früher ganz normal gehabt.
Auf welche Erfahrung hätten Sie gerne verzichtet in Ihrem Leben?
Auf nichts. Schauen Sie, ich habe als Jugendlicher eine schlimme Akne bekommen. Da stand ich schon kurz vorm Selbstmord, weil ich es psychisch nicht mehr ertragen habe. Ich sah aus wie ein Schwein mit dieser Akne. Da gab es in München einen Professor, eine Koryphäe auf dem Gebiet. Da hatte ich dann das Vergnügen als Musterexempel für ganz schlimme Akne im Hörsaal vor den Studenten zu stehen. Man hat mir Eigenblut gespritzt, ich hab die Antibabypille nehmen müssen. Meine Haut hat sich geschält, ich habe sechs Wochen in der Dermatologischen gelegen. Und wäre beinahe gestorben, weil ich hohe Dosen Erythromycin bekam, ein Antibiotikum.
Klingt fürchterlich ...
Ich denke heute, dass diese Akne dennoch auch was Gutes hatte. Ich bin durch sie als Mensch gereift, und sie hat in mir Mitgefühl und Empathie erzeugt. Und ich hab auch gelernt, mich zurückzukämpfen nach diesen Niederschlägen. Ich denke, solche Prüfungen im Leben sind sogar ganz wichtig.
Zu den schöneren Dingen im Le-ben: Sie sind seit Mai 2004 als Playboy-Abonnent geführt. Können Sie sich an Ihren allerersten Playboy erinnern?
Leider nicht. Das ist durchaus etwas, das mich quält (lacht). Ich denke, ich habe den Playboy seit 45 Jahren abonniert. Und ich hatte in meiner ersten eigenen Wohnung die Wände tapeziert mit den Centerfolds.
Was haben Ernst Prost und der Playboy gemein?
Das klingt jetzt vielleicht doof, aber ich liebe das Interview. Wenn die neue Ausgabe kommt, lese ich das als Erstes. Gespräche mit interessanten Leuten, die auch nichts mehr zu verlieren haben, so wie ich. Ist doch echt klasse, wenn man sagen kann, hey, ich bin 63, ich sage jetzt einfach, was ich denke. Und ich fand den Playboy immer schon politisch, eine klassenkämpferische Zeitschrift. Der Herr Hefner hat immer gegen Rassismus und für Emanzipation gekämpft. Und er hat den Spagat beherrscht zwischen den schönen und ernsthaften Dingen des Lebens. Man muss auch nicht immer einer Meinung sein, darum geht es gar nicht. Sondern dass man auch mal kritisch Dinge hinterfragt, sich gegen Missstände wehrt. Aber auch sagt, wofür man ist. Dass man für etwas eintritt und damit was bewegt. Ich denke, das haben Playboy und ich gemeinsam.
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