"Vielen jungen Bands fehlen die Eier“

Credit: Playboy Deutschland

Mit 71 Jahren hat Alice Cooper zwei Pläne: aus seinen Enkeln echte Hartmetaller zu machen, die den weich gespülten Emo-Rock von heute wegfegen. Und selbst noch mal durchzustarten, um „richtig Ärsche zu treten“

Seit 35 Jahren ist Schluss mit Rauschmitteln. Stattdessen hat Alice Cooper, 70, vor dem Interview in seiner Suite im „Hotel de Rome“ ein 20-minütiges Nickerchen eingelegt und erfrischt sich mit reichlich Cola light. Sein Heavy Metal hat dennoch keinen Rost angesetzt, sagen Kritiker über sein neues Album „Paranormal“, zu dessen Sound er auch auf deutschen Konzertbühnen bereits viel Kunstblut vergossenen hat. Aber jetzt erst mal: Cheers mit einer Diät-Cola!

Playboy: Mr Cooper, seit den 70ern lassen Sie sich auf der Bühne enthaupten, in Zwangsjacken stecken und auf einem elektrischen Stuhl grillen. Damals sorgte das für Schnappatmung bei Eltern und Konservativen, heute provoziert das nicht mehr. Macht Sie das manchmal traurig?

Alice Cooper: Nein, die Zeiten haben sich halt geändert. In den 70ern war es einfach, den Leuten Angst einzujagen. Heutzutage sind die Kids abgestumpft durchs Internet, CNN und Videos, in denen Menschen wirklich der Kopf abgeschlagen wird. Die Realität hat unsere kühnsten Vorstellungen von Grausamkeiten übertroffen. Trotzdem gehören die Schockeffekte zu meiner Performance dazu, die Fans lieben es.

Kurz vor Ihrem internationalen Durchbruch mit „School’s Out“ 1972 waren Sie mit der Alice Cooper Band in Deutschland – auch in der Musik-Show „Beat-Club“. Auf YouTube sieht man Sie ziemlich entrückt „I’m Eighteen“ singen. Können Sie sich an den Gig noch erinnern?

Ja, absolut! Der Auftritt in Bremen war wohl der denkwürdigste, den ich jemals in Deutschland hatte. Ich wollte mit der Whiskeyflasche in der Hand auf die Bühne, und die Produzenten des „Beat-Clubs“ flippten total aus. Sie drohten, unseren Auftritt platzen zu lassen, sollte ich während der Show daraus trinken. Ich nahm die Flasche trotzdem mit auf die Bühne und platzierte sie vor dem Schlagzeug, immer in Reichweite. Ich konnte sehen, wie die Produzenten während unserer Show Blut und Wasser schwitzten, weil sie befürchteten, ich könnte mir einen Schluck aus der Pulle genehmigen und die Jugendlichen damit zum Alkoholkonsum animieren. Ich tänzelte extra lässig immer an der Flasche vorbei. Es war einfach zu witzig.

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Hatten Sie’s darauf angelegt, schnell zu leben, früh zu sterben und eine schöne Leiche abzugeben, wie Ihr Freund James Morrison sagte?

Niemand von uns dachte, dass wir älter als 30 werden, weder Paul McCartney noch Pete Townshend oder Mick Jagger. Bier war für uns ein Grundnahrungsmittel. Später kamen härtere Sachen dazu. Trotzdem haben wir sie alle überlebt. Auch David Bowie war einer von uns, nur hat es ihn leider erwischt.

Bowie war Ihr Freund? Es hieß, zwischen Ihnen soll es jahrzehntelang Streitigkeiten gegeben haben über die Frage, wer den einflussreichsten Bühnencharakter der Rock-Geschichte erschaffen hat: Alice Cooper versus Ziggy Stardust.

Um mit diesem Thema endlich mal reinen Tisch zu machen: Die Fehde wurde von den Medien hochgespielt. Zwischen David und mir war alles fein. Er kam regelmäßig zu unseren Shows, als er noch David Jones hieß, und brachte seine Band mit, die Spiders from Mars, damit sie sich von unseren Auftritten motivieren lassen, so nach dem Motto: Schaut, was die draufhaben! Wir pushten uns gegenseitig. Er kreierte Charaktere wie Ziggy, ich kreierte Alice Cooper, und wir beide schrieben Songs aus der Sicht unserer Geschöpfe. David und ich schätzten einander sehr.

Bowies Tod kam für viele Menschen sehr überraschend. Für Sie auch?

Nein, nicht wirklich. In der Musikszene wusste jeder, dass er bereits einige Herzinfarkte hatte und an irgendeiner Form von Krebs erkrankt war. Viel mehr überraschte mich, wie schnell es dann mit ihm zu Ende ging. Weniger überrascht war ich von Lemmys Tod. Ich traf ihn zwei Wochen davor noch, und er meinte: „Alice, ich habe dem Whiskey abgeschworen. Ich trinke jetzt Wodka.“ Alles klar? Jeder, der Lemmy kannte, wusste, dass er’s nicht mehr ewig machen wird.

Konnte man das auch bei Jim Morrison ahnen?

Dass Jim überhaupt 27 Jahre alt wurde, war ein Wunder. Man konnte ihm förmlich dabei zusehen, wie er sich selbst das Licht ausknipste. In seiner Wohnung standen überall kleine Schalen mit allerlei verschiedenen Pillen herum. Uppers, Downers, Acid, was auch immer. Jim schob sie sich rein, als wären es M&Ms, und spülte sie mit einer Menge Whiskey hinunter. Ich habe ihn nie nüchtern erlebt, aber das war ich damals ja auch nicht oft.

Zu ihrem Freundeskreis zählten neben Morrison auch Janis Joplin, Jimi Hendrix und der The-Who-Schlagzeuger Keith Moon, die allesamt mit 27 und früher das Zeitliche gesegnet haben und dadurch zu Mitgliedern im fiktiven „Club 27“ wurden. Was hat Sie davor bewahrt, ebenfalls in diesen Kreis einzuziehen?

Hendrix, Joplin, Jimi und auch Kurt Cobain sind so früh gestorben, weil sie eins wurden mit ihren übermenschlichen Rock-Alter-Egos. Ich fand einen Weg, das Monster Alice Cooper von meiner Seele fernzuhalten, sonst hätte es mich umgebracht. Ich bin Dr. Jekyll, er ist Mr Hyde. Alice Cooper darf die Bühne niemals verlassen.

Aber die Drogen waren doch trotzdem gefährlich – Alkohol und Kokain waren in den späten 70ern die Betäubungsmittel der Wahl.

Jep, auch meine. Die Mischung aus Alkohol und Kokain verleiht dir ein Gefühl totaler Unbesiegbarkeit. Du glaubst, die Welt gehört dir. Aber ab einem gewissen Punkt zahlst du den Preis dafür. Und das tat ich. Eine ganze Dekade meines Lebens habe ich an die Drogen verloren. Ich kann mich an drei Alben und Tourneen, die in diese Zeit fielen, überhaupt nicht mehr erinnern.

Wie kamen Sie davon los?

Eines Morgens wachte ich auf und spuckte Blut. Wenn du Blut spuckst, blutest du innerlich. Das war der erste Schuss vor den Bug. Mein Arzt meinte, in einem Monat könnte ich meinen Freunden im Himmel Gesellschaft leisten oder mit den Drogen und dem Saufen aufhören. Als mir dann auch noch meine Frau Sheryl wegen der Sauferei mit der Scheidung drohte, war die Sache für mich klar. Ich habe vor 35 Jahren den Drogen und dem Alkohol abgeschworen. Ich bin seit 41 Jahren mit der umwerfendsten Frau dieses Planeten verheiratet. Und ich habe sie nie betrogen.

Sie sollen für Sheryl 1976 sogar Raquel Welch den Laufpass gegeben haben, damals ein absolutes Sexsymbol. Wie widersteht man den Avancen einer solchen Traumfrau?

Raquel war die Angelina Jolie ihrer Zeit, jeder wollte mit ihr anbändeln, und es schmeichelte mir, dass sie ausgerechnet an mir Interesse hatte. Das Problem war nur, dass ich mich kurz vorher in Sheryl verliebt hatte. Sheryl war eine 40-Kilo-Ballerina, keine Sexbombe wie Raquel, aber ich war hin und weg von ihr. Wenn du in jemanden verliebt bist, bist du verliebt. Und je mehr ich versuchte, mich von Raquel fernzuhalten, desto mehr war sie hinter mir her! (Lacht) Niemand hatte Raquel bis dahin von der Bettkante gestoßen, aber ich war einfach nicht interessiert. Mein Herz gehörte einem anderen Mädchen.

Credit: Action Press

Mit Ihrer Einstellung dürften Sie eine Rarität in der Rock-Welt sein. Kollegen wie Mötley Crüe gingen weniger zimperlich mit ihren Frauen um. Nikki Sixx erwähnte mal in einem Interview, wie neidisch er auf Ihre Ehe sei. Er hätte eine Menge Energie und Geld gespart, wenn er eine Frau wie Sheryl getroffen hätte.

Mit Rockstars anzubandeln ist für Frauen immer ein Tanz mit dem Teufel. Mötley Crüe sind dafür ein gutes Beispiel. In ihrer Drogen-Hochphase rissen sie reihenweise Frauen mit in den Abgrund. Nikki war in den 80ern mit einer wahnsinnig scharfen Brünetten namens Brandi Brandt verheiratet. Sie war Playmate (US-Miss Oktober 1987, d. Red.), eine spektakuläre Frau, jeder auf dem Sunset Strip wollte sie flachlegen. Ich kannte sie schon etwas länger, und sie hatte mit Drogen nie etwas zu tun – bis sie Nikki traf. Ihre Ehe ging natürlich den Bach runter, und einige Jahre später wurde Brandi in Australien wegen eines Kokaindelikts zu sechs Jahren Haft verurteilt. Ich war in meiner exzessiven Phase weiß Gott kein Unschuldsengel. Aber ich habe Frauen immer mit Respekt behandelt.

Dann verraten Sie uns doch bitte das Geheimnis Ihrer Ehe.

Sei spontan, sei kreativ! Du darfst die Romantik nicht von der Ehe verdrängen lassen. Und warum sollen nur Frauen romantisch sein dürfen? Sheryl und ich halten noch immer Händchen. Ich behandle sie, als ob sie meine Freundin wäre und wir uns noch in der Dating-Phase befänden. Manchmal brennen wir durch, fahren einfach los und checken spontan in einem Motel ein, so wie wir es schon vor 40 Jahren gemacht haben. Ich muss mich dazu nicht überwinden. Haben Sie meine Frau Sheryl gesehen? Sie ist heiß. Ich weiß nicht, wie sie mich sieht, aber ich finde sie extrem sexy.

Sie sind gläubiger Christ. Hilft Ihnen das dabei, treu zu sein und keine Dummheiten mehr zu machen?

Absolut. Ich bin bestimmt nicht in jeder Hinsicht Mister Holy Holy, aber versuche, so zu leben, wie ich denke, dass es Gott gefallen würde.

Könnte der Glaube auch Ihrem Freund Johnny Depp, mit dem Sie als Hollywood Vampires getourt sind, bei seinen Problemen helfen?

Wir haben unser einziges Deutschland-Konzert mit den Hollywood Vampires genau an dem Tag gespielt, an dem es mit den schlimmen Schlagzeilen über Johnny und seine Ehe mit Amber Heard losging. Johnny sagte nur: „Ich bin so froh, gerade auf Tour zu sein.“ 99 Prozent der Vorwürfe waren eh Bullshit. Johnny könnte keiner Fliege was zuleide tun. Er ist der freundlichste Typ der Welt und wie mein kleiner Bruder. Wir passen aufeinander auf. Für Johnny ist die Band eh die beste Therapie.

Wobei Sie mehr harten als emotionalen Rock spielen. Fällt Ihnen in diesem Zusammenhang eigentlich auch auf, dass es im jungen Hardrock kaum spektakuläre Star-Charaktere wie Ihren oder den Ozzy Osbournes gibt? Woran könnte das liegen?

Ich frage mich: Wo ist das Testosteron hin? Vielen jungen Bands fehlen die Eier! Sie sind introvertiert, und ihre Lieder handeln von schwermütigem Kram. Was soll das? Singt doch mal darüber, wie scharf eure Freundinnen sind und was die alles im Bett draufhaben. Das ist doch viel motivierender als ständig dieses Emo-Zeug! (Lacht) Die Generation, aus der ich komme, war sehr extrovertiert. Wir wollten richtige Rockstars sein, die auf der Bühne auf die Kacke hauen. Wir wollten Sex, wir wollten angehimmelt werden. Vielen von den jüngeren Bands fehlt irgendwie die nötige Energie. Die können gar nicht richtig rocken und haben vergessen, wie es ist, ein Outlaw zu sein.

Credit: Andy Gotts/Picture Press/Camera Press

Was bedeutet das für die Rock-Zukunft?

Ich glaube, in fünf bis zehn Jahren sehen wir eine Renaissance an jungen, hungrigen Bands, die sich an Ur-Rockern wie Mick Jagger, Axl Rose oder Alice Cooper orientieren werden. Es wird wieder genauso glamourös und ausufernd sein wie in den 70er- und 80er-Jahren. Weil diese Ära einfach zu gut war, um sie nicht wieder aufleben zu lassen.

Ihr Sohn Dash hat Sie zum zweifachen Großvater gemacht. Sollen aus Ihren Enkelkindern Rock-Outlaws werden?

Aus denen mache ich garantiert Rock ’n’ Roller! (Lacht) Meine Enkel Falcon und Riot sind erst drei Jahre alt, rennen aber schon im Haus herum und tun so, als ob sie Gitarre spielen würden. Sollten sie später den Wunsch äußern, Musiker zu werden, werde ich ihnen Starthilfe geben und sie musikalisch erziehen: Hier sind Jimi Hendrix, Led Zeppelin und Alice Cooper. Hört euch die Alben an, spielt euch die Ärsche ab, und lasst euch von niemandem beirren. Wenn ihr rocken wollt, dann rockt hart. Ich möchte keinen Softrock von euch hören!

Alles klar. Das klingt nicht so, als planten Sie, in den nächsten Jahren kürzerzutreten. Warum eigentlich nicht? Warum tun Sie sich den Tournee-Stress mit 69 noch an?

Zwei Dinge lassen einen Menschen rapide altern: Stress und Zigaretten. Ich habe keinen Stress, weil ich meinen Beruf liebe und trotz allem anderen Unfug immer die Finger von den Zigaretten gelassen habe. Ich weiß gar nicht mehr, welche Rolle das Alter überhaupt noch spielt. 70 ist das neue 40. Mick Jagger ist 73 und tritt noch immer richtig Ärsche mit den Stones. Ich bin 69 und spiele auf Tournee fünf Shows die Woche. Ich habe mich noch nie besser gefühlt. Solange mich die Fans sehen wollen und ich fit bin und Freude an der Sache habe, werde ich auftreten.

Wir halten fest: Alice Cooper ist nicht bereit für die Rock-Rente!

Ganz im Gegenteil. Ich lebe nicht in der Vergangenheit, sondern denke immer daran, was als Nächstes kommt. Ich habe schon Ideen für den Nachfolger von „Paranormal“ und möchte auch mit den Hollywood Vampires weiter Musik machen. Ich glaube, meine besten Songs habe ich noch nicht geschrieben, und meine beste Show kommt erst noch.