Interview: Cäcilia Fischer & Philipp Nowotny
Playboy: Herr Lobinger, Sie haben zwei schreckliche Jahre hinter sich: Leukämie-Diagnose, fünf Chemotherapien, Stammzellenspende, Heilung, dann wieder Rückfall, neue Therapie mit kurzzeitigem Leberversagen – wie haben Sie das alles durchgestanden?
Lobinger: Ich hatte familiär und im Freundeskreis einen mega Halt. Gerade als der Rückfall kam, haben viele gesagt: „Ich finde das einfach so unfair, so unglaublich unfair, dass du jetzt wieder kämpfen musst, wann ist die Scheiße vorbei?“ Dass wirklich jemand so mitleidet, gibt dir das Gefühl: Okay, für den muss ich es jetzt auch schaffen. Wenn der schon so leidet, dann kann ich mich hier nicht hängen lassen.
Haben Sie sich diese Kämpfernatur im Sport antrainiert?
Ich hatte auf jeden Fall schon damals den Ehrgeiz, dass man sagen konnte: Vielleicht hat es am Ende nicht geeicht, aber er hat alles ausgereizt.
So haben Sie sich auch im Krankenhaus motiviert?
Absolut. Nicht überlegen, was passiert, wenn die Chemo nicht funktioniert, sondern heute einfach alles probieren. Du darfst kotzen, aber lass dich nicht hängen! Mach Sport, nutz den Tag, jeden Tag aufs Neue! Das Leben ist viel zu wertvoll.
Sie hatten aber auch dunkle Tage...
Klar, davon gibt’s genug. Du hast Momente, wo du weißt, jetzt wird’s eng. Und Momente, wo du denkst, vielleicht wäre es leichter loszulassen. Als Vater von drei Kindern muss man doch fast zerbrechen an der Verzweiflung oder nicht? Ja, das ist das Schlimmste. Ich habe wegen nichts so bitterlich geweint. Je jünger die Kinder, desto schlimmer. Meine erwachsene Tochter würde mich natürlich genauso vermissen wie Okki, aber sein Leben ist mit drei Jahren einfach noch zu unkomplett. Es ist verdammt traurig, ihn vielleicht nicht weiter aufwachsen zu sehen.
Sie sagen, dass Sie den Tod jetzt akzeptieren. Was heißt das für Sie?
as Leben ist irgendwann nun mal vorbei. Aber das wirklich zu verstehen ist harte Arbeit. Ich bin jetzt an dem Punkt, sagen zu können: Auch ein Buch, das vielleicht nur 300 Seiten hat, kann besser sein als eins mit 700 Seiten. Ich hatte ein schönes Leben
Wie haben Sie zu dieser Ruhe gefunden?
Irgendwann hörst du auf zu heulen, das Leben sei so ungerecht, warum ausgerechnet ich, warum diese Krankheit und nicht eine andere, die man heilen kann? Irgendwann kappst du diese Warum-Fragen. Du nimmst es für dich an, dass es jetzt eine vollkommen neue Situation gibt, auf die du dich einstellen musst.
Aber Sie wollen sich noch keinen Grabstein oder ein Beerdigungslied aussuchen.
Genau, das wäre das Zeichen, dass ich aufgebe. Dann machst du dem Tod die Tür auf und sagst: „Komm rein, kannst dich schon mal an den Tisch setzen, dann essen wir noch was zusammen, und dann ist es okay, take me home.“ Das mache ich nicht. Der Tod darf mein Nachbar sein, aber er soll nicht in meine Wohnung kommen.
Ihr Testament ist aber schon geschrieben?
Das schon. Das habe ich geregelt: Wer kriegt meinen Fiat 500 und wer meine Vespa, diese Geschichten. Wobei ich noch nicht beim Notar war. Das ist mir wichtig. Jetzt noch nicht.
Sie haben Ihre Haare verloren, Ihr Gesicht wurde durch das Cortison aufgeschwemmt, durch die Chemotherapie haben Sie in den Füßen kein Gefühl mehr. Hart gefragt: Wie ist das, gerade als Sportler, dem Körper beim Verfall zuzuschauen?
Das ist schon komisch. Aber ich habe das fast als Wettkampf gesehen: Okay, Krebs, jetzt holst du wirklich was aus meinem Körper raus, was für mich immer Kapital war. Mach mich platt, nimm mich! Aber ich erkämpfe es mir wieder zurück!
Im Sommer wogen Sie nur noch 70 Kilo . . .
Und jetzt bin ich wieder bei 82 Kilo. Ich habe sogar schon überlegt, noch mal stabhochzuspringen, einfach nur so für mich.
Keine Angst, dass Sie sich verletzen?
Ach, dann verletze ich mich halt. Haben Sie ein Höhenziel? Nee, dafür muss ich das erste Mal gesprungen sein. Ich habe ja, seit ich 2012 bei RB Leipzig unterschrieben habe, keinen einzigen Sprung mehr gemacht.
Aber noch einmal zu den körperlichen Folgen Ihrer Krankheit: Das kratzt doch an der Eitelkeit? Oder sind Sie gar nicht eitel?
Eitel ja, aber nicht so ernst. Ich bin auch mit Glatze in den Supermarkt gegangen, da haben die Leute geguckt, das war mir total egal. Dann sehe ich halt spindeldürr aus, und trotzdem habe ich noch eine Hose angezogen, die enger ist. Ich wollte ja nichts kaschieren, weil die Krankheit bin ich ja auch irgendwie. Das ist so unwichtig im Vergleich dazu, dass ich wieder voll im Geschäft bin, im Tages-Business.
Wo wir gerade beim Thema Business sind: Vor ein paar Monaten wollte ein Anbieter mit Ihnen keinen Handy-Vertrag abschließen. Grund: geringe Lebenserwartung.
Das ist schon eine brutale Diskriminierung, wenn jemand, ohne dass er mit dir redet, denkt, du überlebst die nächsten 24 Monate nicht. Und dir dann noch nicht mal einen Vertrag für 14,95 gibt. Da denkst du schon: „Du Arschloch.“
Apropos Verträge, als selbstständiger Trainer ist eine schwere Erkrankung ja auch eine große finanzielle Belastung, oder? Klar, von jetzt auf gleich hatte ich null Einnahmen, die Kosten laufen aber weiter. Wobei ich ein paar Leute sogar noch mit Mundschutz trainiert habe, da ging es mir aber weniger um das Geld: Ich wollte mir meine Normalität zurückerkämpfen.
Wie viele Kunden haben Sie aktuell?
as schwankt. Zurzeit betreue ich viele Sportler, Feldhockeyspieler, auch aus der Nationalmannschaft, einige Schwimmer und mit Linus Strasser ein großes Skifahrer-Talent. Zu den Fußballern, die ich nennen darf, gehören beim FC Bayern Joshua Kimmich und in Augsburg Martin Hinteregger und Georg Teigl.
Sie mischen sich nach wie vor gern beim Fußball ein. Sie kritisieren zum Beispiel, dass Spieler zur Belohnung freie Tage bekommen.
Weil dadurch das Verletzungsrisiko steigt! Es ist leider so: Fußball-Deutschland ist in der athletischen Betreuung ein Entwicklungsland – gerade im Vergleich zu anderen Sportarten wie Handball. Jürgen Klinsmann hatte eine kleine Athletik-Welle ausgelöst, der hatte sich Know-how aus Amerika geholt. Aber zurzeit gibt es nur wenige Vereine, die systematisch und über die ganze Saison auf hohem Niveau Athletik trainieren – eigentlich sind das nur Leipzig, Hoffenheim und Dortmund.
Was machen diese drei Vereine besser als die anderen?
Sie haben eine längerfristige Trainingsplanung und entwickeln die Spieler individuell weiter. Es werden nicht nur Daten und Werte der Spieler gesammelt, sondern auch zur Belastungssteuerung genutzt. Alles – von der Schlafqualität bis hin zu den täglichen Laufleistungen im Training. Man vertraut der Fachkompetenz von Spezialtrainern. Außerdem wird hier für hauptamtliche Stellen im Nachwuchsbereich viel Geld investiert. Das ist wichtig, denn Sie brauchen viele Trainer für unterschiedliche Aufgaben. Es darf keine Alleinherrschaft geben. Bei den meisten Vereinen – auch bei Bayern – fehlt die individuelle Betreuung der Sportler, das ist katastrophal. Und Scouting ist nicht der Ersatz für eine fehlende individuelle Weiterentwicklung.
Wir sehen, dass Sie immer noch mit viel Leidenschaft dabei sind. Warum haben Sie dann überhaupt 2016 bei RB Leipzig aufgehört?
Die vier Jahre in Leipzig mit 80-Stunden-Woche waren echt hart. Ich brauchte einen Cut, eine Auszeit, um mich auch mal anderen Sportarten zu nähern und mir von links und rechts neuen Input zu holen. Mit diesem Rückenwind wollte ich weitermachen, dazu kam es dann nur leider nicht.
Wie weit schauen Sie jetzt nach vorn?
Ich blende komplett aus, nur einen Zeitraum x zu haben. Ich stelle jetzt die Weichen für eine ganz normale Zukunft – egal, ob die nun zwei, fünf oder zehn Jahre dauert. Die Frage, wie lange ich noch lebe, habe ich den Ärzten nie gestellt, weil ich keine ehrliche Antwort bekommen werde.
Welche konkreten Pläne haben Sie?
Ich möchte eine Festanstellung und zusätzlich selbstständig arbeiten. Ich möchte eine Sicherheit für mich, die ist mir extrem wichtig, das ist mein Ziel für 2019. Ich bin gesund, und ich kann jungen wie älteren Spielern was vermitteln. Respekt haben die meisten Spieler vor mir allein durch die Tatsache, was ich schon durchgemacht habe.
Führen Sie schon Gespräche mit Vereinen?
Ich habe schon einige geführt, werde das jetzt aber mal vorantreiben. Viele scheinen zu zögern. Das ist ganz, ganz komisch, da ist so etwas Unausgesprochenes. Ich weiß nicht, ob sie Angst haben, dass man noch mal neu krank wird. Oder dass sie das Gefühl haben, der hat so viele Ecken und Kanten durch das, was er durchlebt hat, das greift meine Kompetenz an. Auch viele andere Krebspatienten haben Ähnliches erlebt.
Das klingt fast wie eine Gefängnisstrafe, die man verschweigen muss.
Könnte man jetzt provokant sagen: Krebs ist wie vorbestraft. Vielleicht darf man das aber auch nicht zu negativ interpretieren. Vielleicht ist es so, dass die Leute einfach Panik haben, ein ähnliches Schicksal zu durchleben.
Sie konfrontieren die Menschen mit dem Tod, darüber wollen die meisten ungern nachdenken.
Mit Sicherheit. Auch für mich war es immer eine Selbstverständlichkeit, auf jeden Fall 70 zu werden. Und über den Tod nachzudenken hat mich mitgenommen. Das hat mich schlapp gemacht. Als Sportler wollte ich aber nie Schwäche zulassen, sondern einfach nur physisch und psychisch funktionieren. Eine Verletzung war schon eine Katastrophe.
Würden Sie Sportlern raten, damit anders umzugehen?
Schwer zu sagen. Aber wer als Profi-Sportler über diese Dinge reden will, kann ja zu einem Psychologen gehen. Auch wenn das in Deutschland noch so ein bisschen verpönt ist. Schaden tut es nicht, das kann man auch in Energie und eigene Stärke umwandeln. Dann kannst du auch mal sagen: „Ich habe heute kein gutes Spiel gemacht und konnte meine Mannschaft mit meiner Leistung nicht tragen, die Enttäuschung muss ich erst mal verarbeiten.“ Das wäre ein Statement. Aber zu sagen: „Es haben heute alle Fehler gemacht.“ Was ist denn das für eine Aussage?
Für Ihre radikal offene Art waren Sie schon als Stabhochspringer bekannt. Einmal haben Sie sich beim Jubel die Hose heruntergezogen, wofür Sie eine hohe Geldstrafe bekamen.
Ich habe Sport einfach gelebt. Und nicht nur ich! Mein Gott, John McEnroe im Tennis, den konntest du nicht zähmen! Das war einfach Leidenschaft! Wenn ich Instagram zur Verfügung gehabt hätte, ich wäre wahrscheinlich ausgetickt. Den Verband zum Beispiel, den hätte ich rundgemacht. Rund um die Uhr.
Aber Sie kennen ja die heutige Medienöffentlichkeit, das kann auch nach hinten losgehen.
Damit musste ich ja auch leben. Erst war ich der Sonnyboy, plötzlich das Enfant terrible. Wenn dir mal was entgleitet, dann musst du damit leben oder versuchen, es wieder zu kitten. Aber was wäre das für ein Scheißleben, wenn alles nur so vor sich hin plätschert und immer nur an der Oberfläche kratzt. Furchtbar!