Header-Foto: David Koenigsmann
Ein kleines Örtchen vor den Toren Hamburgs. Hier, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen, bastelt einer unermüdlich an Hits: Samy Deluxe. Der erfolgreiche Rapper hat sich mit seiner „KunstWerkstadt“, wie er sein Tonstudio getauft hat, seinen eigenen „Creative Space“ geschaffen. Für uns der passende Ort, um mit ihm über die Entwicklung von Hip Hop, seine Geschäftsfelder und über sein am 31. August erscheinendes „SaMTV Unplugged“-Album zu sprechen.
Playboy: Was war Ihnen bei Ihrem Unplugged besonders wichtig?
Samy Deluxe: Ich habe gegenüber allen Beteiligten immer wieder gesagt: Okay, das Ganze ist ein Film und das Ganze wird zu einer Platte. Aber in erster Linie ist es ein Event. Die Leute – egal ob es das Publikum ist oder befreundete Rapper – sollen sich hier wohlfühlen. Ich wollte nicht, dass man nur an das Endprodukt denkt. Das Endresultat kann für mich nur gelingen, wenn der Moment geil ist.
"Wenn Xavier Naidoos Stimme ertönt, ist es sofort magisch"
Können Sie einen ganz besonderen Moment herausheben?
Nein, das ist unmöglich. Es waren einfach zu viele unterschiedliche Emotionen in alle Richtungen. Wenn zum Beispiel die Stieber Twins auf die Bühne kommen, sind wir wirklich alle wie kleine Fans. Wenn Xavier Naidoos Stimme ertönt, ist es sofort magisch.
Gab es bei dem ganzen Projekt etwas, dass Sie überrascht hat?
Was immer ich vorher gemacht habe, das hier war nochmal eine ganz andere Hausnummer. Das ist so, wie wenn du der Boss einer kleinen Firma bist und denkst: Ich hab schon ein richtig krasses Level und sehr viel Arbeit und dann wirst du auf einmal Präsident von einem ganzen Land. So war der Unterschied für mich, weil du auf einmal merkst, dass es so viele Facetten gibt. Das war mir zwar vorher schon bewusst. Ich hatte Glück, dass ich viele Fehler vermeiden konnte, die ansonsten beim Unplugged passieret wären, weil ich mich öfter mit Max Herre und seinem Team ausgetauscht habe.
"Damals haben uns alle ausgelacht und jetzt haben deutsche Rapper die Macht, den wichtigsten deutschen Musikpreis mal eben so mit einer Zeile zu zerstören"
Sie sind schon seit über 20 Jahren im Rap-Geschäft. Inwiefern hat sich Hip Hop seit den 90er Jahren gewandelt?
Hip Hop ist von einer super kleinen Jugendhaus-Subkultur zu dem kommerziellen Genre in Deutschland geworden. Damals haben uns alle ausgelacht und jetzt haben deutsche Rapper die Macht, den wichtigsten deutschen Musikpreis mal eben so mit einer Zeile zu zerstören. Das ist nicht alles komplett positiv, aber es ist – von dort wo wir hergekommen sind – auf jeden Fall sehr cool zu sehen, dass wir mit Hip Hop so ein Movement geschaffen haben. Eine Zeile in einem neuen Song von mir lautet passend dazu: „Unser Aufstieg in die Hochkultur ist grandios geglückt / Bis Kanye West zum Präsident wird, dann nehme ich das hier wieder zurück“.
Aber steckt hinter vielem nicht einfach nur noch Marketing?
Viele junge Leute fangen noch immer an zu rappen, weil sie diese Kunstform lieben. Die gehen da auch mit dem gleichen Feeling ran, wie wir damals. Viele haben aber auch einen anderen Beweggrund, weil sie sehen wie viel Geld du mittlerweile damit verdienen kannst. Heutzutage ist das natürlich ein wichtiger Faktor, den man den Leuten auch nicht immer übel nehmen kann. Das führt natürlich auch dazu, dass nicht alle, die das jetzt anfangen, es aus purem Idealismus und für die Kunst und Kultur tun. Das Ganze ist eben auch ein Weg, Geld zu verdienen.
Konkreter: Warum funktionieren solche Phänomene wie Money Boy oder Rin?
Bei Money Boy weiß ich es jetzt nicht so genau. Das war für mich immer so ein Gag-Ding. Ich hab nie das Gefühl gehabt, dass er da jetzt wirklich ein ernsthafter Künstler ist und auch so wahrgenommen wird. Bei Rin und dieser Generation ist es einfach so: Die haben Spaß und sind Fan von Autotune und Trap aus den USA und setzen das dann einfach in ihrer Sprache und mit ihrem Verständnis davon um. Mich betrifft das Ganze aber auch nicht, weil ich jetzt nicht auf Partys gehe und Lines auf dem Klo ziehe. Wenn ich das aber machen würde, dann würde mir diese Musik vielleicht schon etwas mehr geben. Es gibt in deren Art von Rap auf jeden Fall verschiedene Hits, aber ich weiß nicht, ob so Kokain-Hymnen in 20 Jahren noch Relevanz haben. Bei „Weck mich auf“ dagegen könnte ich mir gut vorstellen, dass das in 20 Jahren immer noch von Bedeutung ist, weil es eben ein Zeitdokument ist.
Wie halten Sie es selbst mit Autotune?
Ich liebe Autotune. Man muss Autotune ja auch nicht immer so benutzen, dass man es hört. Ich mag es, wenn es gut eingesetzt ist. Das ist mittlerweile für mich ein ganz normales Stilmittel wie Schlagzeug oder Klavier. Das gehört einfach dazu, und wie oder wie oft man es benutzt, bleibt jedem selbst überlassen. Ich bewerte das nicht mehr so krass, Hip Hop darf dies, Hip Hop darf das nicht. Ich bin keiner, der sagt: Ich mag diesen Sound ganz und gar nicht. Nur in Deutschland machen das halt eben relativ wenige gut. Da gibt’s in den USA wesentlich bessere Beispiele, Migos gehört da aktuell zu meinen Favoriten.
"Ich kann kein gutes Vorbild sein, wenn ich irgendetwas promote, was ich nicht bin"
Sie haben eine Entwicklung vom einem überwiegenden Battle-Rapper zu einem gesellschaftskritischen Rapper genommen. Sehen Sie sich damit auch in einer Vorbildfunktion?
Ich finde, dass man einfach echt sein muss. Nur dann kann es funktionieren. Ich kann kein gutes Vorbild sein, wenn ich irgendetwas promote, was ich nicht bin. Deshalb bin ich einfach so transparent mit meinen positiven Seiten, die, glaube ich, meine negativen Seiten überwiegen. Ich vertrete aber auch immer die Meinung: Man darf von Personen beeinflusst sein und man soll sich inspirieren lassen – aber nicht von deren gesamten Sein. Wenn ich mir Jay-Z angucke, dann finde ich manche Facetten an ihm geil, aber trotzdem würde ich nie wirklich alles so machen wollen, wie er es gemacht hat. Man muss da einfach differenzieren können. „Grüne Brille“ habe ich schon lange nicht live gespielt. Aber da ist mir dann auch einfach irgendwann die Zeit und die Entwicklung von Rap zugute gekommen. Ich kann mittlerweile meine härtesten Texte einfach so rappen und bin trotzdem noch ein Chorknabe gegen diese ganzen anderen Rapper.
Warum hört man Sie in Ihren Texten fast nie über Frauen und Liebe rappen?
Ich glaube, bei mir es ist weniger so, dass ich mich nicht traue darüber zu reden. Für mich muss der Blickwinkel darauf einfach der richtige sein. Wenn ich mich mit diesem Thema befasse ist es meistens so, dass ich die Frau nicht kriege. Das Szenario ist mir einfach lieber. Ich hab in Songs auch schon vom Fremdgehen und den harten Seiten der Liebe erzählt. Aber so einen puren Liebessong kann ich eher für jemand anderen schreiben. Ich sehe mich einfach nicht als Leinwand, auf der ich diesen Film sehen will.
Mit Ihrer „KunstWerkstadt“ haben Sie sich ein riesiges Areal zum Musikmachen geschaffen. Braucht jeder Mann so eine Art „Abenteuerspielplatz“?
Auf jeden Fall. Ich finde, so eine Spielwiese für den Mann ist einfach das Beste, was es gibt. Als ich vor ca. zehn Jahren hier eingezogen bin, hatte ich großes Loch in meinem Leben zu füllen, das durch den Umzug meines Sohns nach Amerika entstanden ist. Ich hab mir dann vieles selbst beigebracht, also wie man richtig aufnimmt oder Beats produziert. Ich male auch wieder vermehrt. Als Künstler ist es mir wichtig, dieses Ding hier permanent nutzen zu können. Jeder Tag könnte der Tag sein, an dem du deinen größten Song schreibst oder den fettesten Beat produzierst. Heutzutage ist nichts ist mehr unmöglich. Das kommt alles durch diesen Ort, der mir sehr viel Kreativität verleiht.
"Rap ist meine Bibliothek, was Sprache angeht"
In einem Deutschrap-Quartett wird Ihr Wortschatz auf 9142 Wörter (der zweitgrößte nach Kollegah) bezeichnet. Welcher Lehrmeister ist dafür verantwortlich?
Ich hatte den Vorteil, dass ich mit 14 Jahren, als ich von der Schule geflogen bin, ein halbes Jahr nach England ging. Dort habe ich fließend Englisch gelernt, was mir auch den Einstieg in den Rap erleichtert hat. Den Haupteinfluss meiner rhetorischen Fitness hatte aber meine Mutter. Bei uns zu Hause wurde immer viel geredet, ich hab mir auch immer vieles angehört. Ansonsten ist Rap natürlich meine Bibliothek, was Sprache angeht.
Ihre Mutter kümmert sich schon seit vielen Jahren um Ihr Management. Wie schön ist es für Sie, dass Ihre Mutter Sie durch einen Großteil Ihrer Karriere begleitet?
Ich saß vor kurzem mit ihr in einer Fernseh-Talkshow. Das war so krass, weil ich mich so sicher gefühlt habe. Es hätte ja auch sein können, dass man denkt: Hoffentlich verkackt sie es nicht. Es war aber derbe cool, weil sie wusste sie kann nichts falsch machen. Ich hab diese Souveränität auf jeden Fall von ihr. Eine moralische Instanz dabei zu haben, ist immer gut. Und wenn Mama die Finanzen macht, dann ist das ein Bonus, der unbezahlbar ist. Vor allem, wenn man die Kreditkarte in der Hand hat und sich so denkt: Mama wird sehen, was ich hier mache. Das ist schon gut und hat mich schon vor manchen schlimmen Sachen bewahrt.
Sagt Ihre Mutter Ihnen manchmal: Samy, an dieser Zeile musst du aber nochmal ein bisschen arbeiten?
Ne, so konkret nicht. Aber manchmal ist es schon so, dass sie einzelne Songs heraushebt und mir sagt, dass sie es richtig poetisch findet. Aus meinen Battle-Tracks zieht sie natürlich nicht so viel raus, aber sie checkt schon auch, was ein Wortwitz ist und nimmt nicht jedes Wort für bare Münze.
Ihr Sohn lebt in den USA, sie sehen ihn nur alle paar Monate. Sie sind selbst auch ohne Vater aufgewachsen. Ist das vielleicht Ihre größte Niederlage?
Es ist auf jeden Fall ein emotional sehr wunder Punkt. Es ist einfach krass, wenn dein Leben von heute auf morgen anders ist. Du hast so viel Zeit mit diesem Menschen verbracht und dann ist auf einmal diese Distanz da. Ich bin aber auch nicht so ein Typ, der sagt: Ich hätte mir das alles anders vorgestellt. Alles hat seinen Grund. Es hatte seinen Grund, warum ich mit seiner Mutter zusammen war und es hatte seinen Grund, warum wir ihn gezeugt haben. Ich bin ja auch mehr für ihn da, als es mein Vater für mich war. Und ich glaube einfach, unsere gemeinsame Zeit wird noch kommen.
Was mussten Sie in Ihrer Karriere besonders lernen?
Ich finde, du solltest Ahnung davon haben, was dein Job ist. Mein Job ist eben anders als der eines Anwalts, bei dem fast alles einfach klar definiert ist. Ich kann mir mittlerweile aussuchen, ob ich ein Album, ein Buch oder eine TV-Show mache. Um so etwas zu machen, muss man sich selbst gut kennen, man muss selbstreflektiert sein, man muss ein gutes Bauchgefühl haben und natürlich auch ein gutes Team, deren Meinung man sich immer anhören sollte. Letztendlich sollte man seine Entscheidungen aber alleine treffen, sonst kann man sich sein Paradies nicht aufbauen.
Sie sind nicht nur Musiker, sondern auch Geschäftsmann, haben in Hamburg ein eigenes Restaurant. Kluge Investition in die Zukunft oder sind Sie ein leidenschaftlicher Foodie?
Eigentlich weder noch. Klar mag ich es gerne zu essen, aber es ist nicht meine krasseste Leidenschaft. Oft ist da mein Gedanke einfach: Fuck, ich muss jetzt essen, ich will aber am liebsten einfach Musik machen. „Gefundenes Fressen“ ist eher so entstanden, dass ich öfter in der Location war, vorher war dort ein Café drin. Als die Besitzerin das dann aufgegeben hat, hatte ich zufällig gerade einen Koch kennengelernt und dann hat sich das so entwickelt. Ich hatte am meisten Spaß in der Bauphase, da konnte ich meine eigenen Vorstellungen super miteinbringen. Der coole Ort war für mich vor allem ein Grund das zu machen. Ich wollte etwas kleines intimes haben, wo auch mal Konzerte oder Lesungen stattfinden können.
Für welches Gericht sind Sie in der Küche berühmt?
Immer wenn wir grillen, mache ich einen vollmundigen Bohnen-Mais-Salat. Wenn ich Bock habe einzukaufen, kann ich schon ein paar Sachen auf einem ganz guten Level machen. Aber ich habe so selten Bock dazu.
Ihr letztes Studioalbum hieß „Berühmte letzte Worte“. Steht ein baldiger musikalischer Abschied von Ihnen bevor?
Ich brauche immer so einen Leitfaden für ein Album. Dieses Statement „Berühmte letzte Worte“ ist einfach so interessant zu hinterfragen. Gerade nach all den Jahren, in denen ich einen sehr hohen Output hatte, habe ich die 16 Songs auf eine Platte gepackt, die ich einfach auf ein letztes Album packen würde. Aber ich habe noch viel geplant. Ich arbeite zurzeit an einem neuen Kollabo-Projekt und an einer weiteren Herr Sorge-Platte.
Zum Schluss unseres Interviews noch ein kleines Frage-Antwort-Spiel:
Ihre Verbindung zum Playboy:
Ich war immer ein Fan und hab über die Jahrzehnte gesehen, dass der Playboy einen niveauvollen Aspekt hat. Die Bilder waren ja nie Porno und die Artikel immer gut geschrieben.
Stadt oder Land?
Landleben und Stadt zum Inspirieren.
40 Jahre ist ein gutes Alter, weil...
...Samy Deluxe so alt ist. Daran sollte sich jeder messen.
Mit diesem Künstler würde ich gerne noch zusammenarbeiten:
Anderson .Paak.
Malen, Zeichnen und Graffiti ist für mich...
...ein super Ausgleich zur Musik.
Die neue Hamburger Hip Hop-Szene rund um die 187 Straßenbande ist für mich...
...die neue Hamburger Hip Hop-Szene rund um die 187 Straßenbande.
Sie produzieren und texten auch für Nena. Ist daraus eine echte Freundschaft entstanden?
Ja, wir hatten schon super tiefe Gespräche zusammen und es fühlt sich schon sehr familiär an mit ihr.
Welche Frage können Sie nicht mehr hören?
Ich finde, es geht nicht darum was gefragt wird, sondern von wem und in welchem Kontext. Du könntest mich fast alles fragen und es nervt nicht, aber von manchen Leuten nerven mich einfach jegliche Fragen.
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