Zu Beginn seiner mittlerweile 60-jährigen Karriere galt Michael Caine als Inbegriff des smarten Proleten. Typen wie er, als Sohn eines Fischmarkt-Arbeiters und einer Putzfrau in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, waren im britischen Kino die absolute Ausnahme. Erst in den Swinging Sixties änderte sich das. Der Londoner wurde mit Filmen wie „Der Verführer lässt grüßen“ oder „Charlie staubt Millionen ab“ ein Vorreiter der modernen Nonchalance. Heute kommt er als distinguierter Gentleman im Anzug zum nachmittäglichen Interview ins noble Londoner „Corinthia Hotel“. Ein harter Arbeiter ist er aber immer noch. Während er für seinen neuen Film „Ein letzter Job“ (ab 25. April im Kino) wirbt, stehen schon die Dreharbeiten für seinen nächsten Kino-Coup an.
PLAYBOY: Mr. Caine, in Ihrem neuen Film „Ein letzter Job“ spielen Sie den Anführer einer Gruppe nicht mehr ganz junger Bankräuber. Täuscht der Eindruck, oder hat Ihnen diese Rolle im wahrsten Sinne des Wortes diebischen Spaß gemacht?
Michael Caine: Nein, da haben Sie Recht. Wir älteren Herren hatten wirklich verdammt großen Spaß an den Dreharbeiten. Schon allein weil sich die meisten von uns seit Ewigkeiten kennen und auch schon miteinander gearbeitet haben. Mir persönlich gefiel außerdem gut, dass wir zu Hause in London gedreht haben. Bei „Ein letzter Job“ konnte ich sogar das Londoner East End für mich wiederentdecken. In diesem Viertel habe ich mich zuletzt in meiner Kindheit herumgetrieben.
PLAYBOY: Das damalige London war ein kriminelles Pflaster, oder?
Michael Caine: Absolut, gerade das East End war eine sehr gefährliche Gegend. Wirklich aufgewachsen bin ich allerdings anderswo, südlich der Themse in Elephant and Castle. Da gab es ebenfalls ziemlich viele Diebstähle und Überfälle.
PLAYBOY: Haben Sie jemals selbst etwas geklaut?
Michael Caine: Oh nein, das kam für mich nie infrage. Wenn meine Mutter uns eines eingetrichtert hat, dann dass man anderen niemals ihr Eigentum wegnimmt – weil es Unrecht ist und weil man sich alles, was man besitzt, selbst erarbeiten muss.
PLAYBOY: Welche Prinzipien haben Sie sonst noch von Ihrer Mutter übernommen?
Michael Caine: Ich werde nie vergessen, wie damals der Krieg ausbrach und mein Vater zur Armee musste. Ich war sechs Jahre alt, mein Bruder drei, und gemeinsam sahen wir dabei zu, wie er abgeholt wurde. Das Militärfahrzeug war kaum um die Ecke gebogen, da sagte meine Mutter: „Jetzt, da euer Vater weg ist, müsst ihr für mich sorgen.“ Für mich war es damals eine Selbstverständlichkeit, dass ich diese Verantwortung übernehme. Und sie hat sich mir eingebrannt wie wenig anderes im Leben. Seit jenem Tag ist es für mich die wichtigste Pflicht, aber auch die größte Freude, dafür zu sorgen, dass es meiner Familie gut geht und alle genug zum Leben haben.
PLAYBOY: Haben Sie Ihren eigenen Kindern das auch vermittelt?
Michael Caine: Sicher, wobei ich zwei Töchter habe. Und diese Pflicht zum Verdienen des Lebensunterhalts für die Familie, das ist ja doch in erster Linie Männersache. Zumindest ist es in meiner Generation so gewesen.
PLAYBOY: In kleinen Rückblenden sehen wir in „Ein letzter Job“ noch mal den jungen coolen Michael Caine der 60er-Jahre. Vermissen Sie diese Zeiten, in denen Sie damals zum Star wurden?
Michael Caine: Kein bisschen. Nicht, dass ich das damals nicht genossen hätte, aber ich beschäftige mich einfach nicht sonderlich mit der Vergangenheit. Auch zu meinen Kindern und Enkelkindern sage ich: „Blickt nach vorne, nicht zurück, sonst stolpert ihr nur.“
PLAYBOY: Ist es Ihnen eigentlich leicht gefallen, älter zu werden?
Michael Caine: Was heißt schon leicht? Es ist ja nichts, was sich verhindern ließe. Aber gerade als Schauspieler verändert sich eine Karriere grundlegend, wenn man ein gewisses Alter erreicht. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich mal ein Drehbuch bekam, das ich dem Produzenten empört zurückschickte, weil ich die Rolle viel zu klein und uninteressant fand. Worauf ich die Antwort bekam: Du sollst doch gar nicht den Liebhaber spielen, sondern wir wollen dich als Vater der Heldin. Da wusste ich schlagartig: Die Zeiten sind vorbei, in denen ich auf der Leinwand das Mädchen abbekomme.
PLAYBOY: Eine frustrierende Erfahrung?
Michael Caine: Ach, ich habe dann einfach eine neue Richtung eingeschlagen und wurde zum sogenannten Charakterdarsteller. Und gewann den Oscar als bester Nebendarsteller für „Gottes Werk und Teufels Beitrag“. Noch einige Jahre später hatte ich das unglaubliche Glück, bei „Batman Begins“ Christopher Nolan zu begegnen, und habe mit ihm auf meine alten Tage sechs der besten Filme meines Lebens gedreht. Obwohl ich schon über 70 Jahre alt war! Übers Älterwerden kann ich mich also tatsächlich nicht beschweren.
PLAYBOY: Inzwischen sind Sie 85, und von Ruhestand kann immer noch keine Rede sein ...
Michael Caine: Bloß nicht! Ich habe immer noch Spaß an der Arbeit und würde mich wirklich langweilen, wenn ich die ganze Zeit nur zu Hause auf dem Sofa sitzen und Fernsehen gucken würde.
PLAYBOY: Woher nehmen Sie Ihre Energie?
Michael Caine: Ich lebe mittlerweile sehr gesund. Mit dem Rauchen habe ich schon vor Jahrzehnten aufgehört, und seit ich vor ungefähr zehn Jahren Großvater wurde, achte ich noch mehr auf meine Gesundheit. Von meinen Enkeln möchte ich noch so lange wie möglich etwas haben und so alt wie möglich werden. Und nebenbei ein bisschen arbeiten.
PLAYBOY: Dass Sie irgendwann in Rente gehen, werden wir also nie erleben?
Michael Caine: Ich glaube, als Schauspieler geht man nicht in Rente, sondern wird in Rente geschickt. Wenn irgendwann einfach keine Drehbücher mehr eintrudeln. Oder die angebotenen Rollen so schlecht bezahlt sind, dass es sich nicht lohnt, dafür vom Sofa aufzustehen. Warum aufhören, bevor es so weit ist?
PLAYBOY: Lassen Sie uns noch mal über die 60er-Jahre sprechen. Über diese Zeit haben Sie einen Dokumentarfilm mit dem Titel „My Generation“ produziert. Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an damals denken?
Michael Caine: Noch viel wichtiger als alles, was in meinem Leben passierte, waren die kulturellen, politischen und sozialen Veränderungen, die damals die britische Gesellschaft durchmachte. Denken Sie zum Beispiel an den Siegeszug der Popmusik. Oder das Thema Essen! Bis dahin gab es Fish-and-Chips-Läden, im Pub gab es Aal oder Pasteten und ansonsten nur piekfeine und sauteure britische Restaurants, in die man ohne Anzug und mit meinem Arbeiterklasse-Dialekt nicht reinkam. Bis dann italienische Restaurants eröffneten, in denen man Pizza und Pasta bekam – und das bis spät in die Nacht. Von der Kultur ganz zu schweigen. Alle spannenden britischen Theater- und Filmemacher starteten in den 60ern durch.
PLAYBOY: Und Sie mittendrin!
Michael Caine: Ganz genau. Damals kreuzten unglaublich viele Menschen meinen Weg, die später berühmt wurden. Schon 1959 war ich die Zweitbesetzung für Peter O’Toole bei einem Theaterstück im West End. Als O’Toole dann nach Hollywood ging, um „Lawrence von Arabien“ zu drehen, kam ich zum Zug und spielte vier Monate die Hauptrolle. Ein anderer Schauspielkollege fand Gefallen am Schreiben und gab mir eine Rolle in seinem ersten Theaterstück. Das war Harold Pinter, der später den Literaturnobelpreis bekam. Und einer meiner Mitbewohner war der Schauspieler Terence Stamp, dessen kleiner Bruder Chris, der manchmal aus dem East End zu uns kam, um in die Disco zu gehen, eines Tages erzählte, er wolle jetzt Musikmanager werden, weil er in einem Pub eine Band entdeckt habe, die man vielleicht groß rausbringen könne. Das waren The Who! Als Chris vor einigen Jahren in Los Angeles starb, war er Multimillionär.
PLAYBOY: Auch Sie zogen irgendwann nach L.A. und folgten dem Ruf Hollywoods ...
Michael Caine: Das war später, nicht schon in den 60ern. Beruflich hatte ich den Sprung über den Teich schon recht früh gemacht, dazu gehörte nicht viel. Britische Schauspieler zog es ja immer in die USA, denken Sie nur an Cary Grant. Dass ich irgendwann nach L.A. gezogen bin, hatte nichts mit meiner Karriere zu tun.
PLAYBOY: Sondern?
Michael Caine: Das lag daran, dass 1974 in Großbritannien die Einkommensteuer auf 83 Prozent angehoben wurde. Das war mir zu viel. Ich war kein Kommunist und wollte nicht ausschließlich für unsere Regierung arbeiten. Also bin ich in die USA gezogen. Zehn Jahre habe ich dort gelebt, aber als zu Hause die Steuer wieder runtergesetzt wurde, ging ich wieder zurück.
PLAYBOY: Weil Sie Heimweh hatten?
Michael Caine: Ich hatte eine wunderbare Zeit in Beverly Hills. Allein wenn ich an meine Bekanntschaft mit Frank Sinatra denke, der immer nur in Restaurants essen ging, die höchstens 20 Minuten von seiner Haustür entfernt waren. Aber meine große Leidenschaft war immer das Gärtnern – und als englischer Gärtner vermisst man nicht zuletzt den Regen. Dass ich in Kalifornien einen Angestellten brauchte, der täglich alles wässert, war nicht mein Ding.
PLAYBOY: Eine Ihrer ersten Kino-Hauptrollen war 1965 der Geheimagent Harry Palmer in „Ipcress – Streng geheim“. Wären Sie nicht lieber James Bond gewesen?
Michael Caine: Undenkbar. Ich war doch der Arbeiterjunge mit dem Cockney-Dialekt! Aber tatsächlich bekam ich die „Ipcress“-Rolle genau deshalb. Der Bond-Produzent Harry Saltzman wollte parallel eine Art Gegenmodell auf den Markt bringen. Wo es bei Bond um Glamour und schöne Frauen ging, suchte er einen Spion, der pleite ist und in einem winzigen Apartment wohnt. Dafür war ich genau der Richtige.
PLAYBOY: Eine gewisse Nähe zu James Bond gab es später trotzdem, oder?
Michael Caine: Sie meinen, weil Sean Connery und Roger Moore zu meinen besten Freunden gehörten? Das stimmt.
PLAYBOY: Demnächst wird ja wieder ein neuer 007 gesucht. Wen würden Sie gern in dieser Rolle sehen?
Michael Caine: Wenn James Bond zur Abwechslung mal schwarz wäre, würde ich Idris Elba super finden. Und wenn es ein Weißer wird, dann wäre Tom Hardy mein Favorit ...
PLAYBOY: ... weil Sie sich in ihm möglicherweise wiedererkennen?
Michael Caine: Ich bin mir nicht sicher, ob Tom das als Kompliment auffassen würde (lacht). Nein, ich finde einfach, dass Tom ein wunderbarer Schauspieler ist. Und er ist ein tougher Typ. Ich habe ja schon mehrmals mit ihm gearbeitet und bin überzeugt davon, dass er sich super als James Bond machen würde.
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