"Ich versuche, nicht mehr zu lügen"

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Kunstberater Helge Achenbach lebte im Luxus und verlor seinen Anstand. Er betrog die Aldi-Familie um viele Millionen – und verlor alles. Jetzt predigt der Bestrafte „radikale Ehrlichkeit“

Einst war Helge Achenbach der „mächtigste Mann im deutschen Kunstmarkt“. In den 70ern erfand er den Beruf des Kunstberaters, in seinem Adressbuch standen die größten Künstler unserer Zeit, darunter Jeff Koons, Gerhard Richter und Andreas Gursky. Er handelte mit neunstelligen Summen – und wurde gierig. Dem Aldi-Miteigentümer Berthold Albrecht vermittelte er Kunstwerke und strich statt der vereinbarten sechs Millionen Euro Provision mehr als 20 Millionen ein. Den Aufschlag kaschierte er durch gefälschte Dokumente. 2014 flog er auf, wurde wegen Betrugs zu sechs Jahren verurteilt – und verlor seine Kunst, seine Häuser und seine Frau.

Playboy: Herr Achenbach, wie haben Sie den Moment erlebt, als Sie 2014 am Düsseldorfer Flughafen verhaftet wurden?

Helge Achenbach: Ich wusste gleich, worum es geht. Und ich wusste gleich, dass mein Leben ab jetzt nicht mehr so sein würde, wie es vorher war.

Manche Verbrecher sollen ja erleichtert sein, wenn sie erwischt werden.

Ich war nicht erleichtert, sondern bestürzt und beschämt. Erinnern Sie sich an den Ratiopharm-Gründer Adolf Merckle?

Der sich in einer Unternehmenskrise vor einen Zug geworfen hat?

Ja. Furchtbar. Im Nachhinein gesehen war das völliger Quatsch. Der hatte unternehmerische Fehler gemacht, aber der hätte niemals seine Ehre davon abhängig machen sollen. Aber wenn du in Panik verfällst und in einer speziellen Stimmung bist, denkst du darüber nach.

Wie konkret?

Sehr konkret. Mir war aber irgendwann klar, dass ich das nicht tun werde, dass ich die Verantwortung übernehme. Ist ja auch für die Kinder das Allerübelste. Für die war es schon schwierig, ihren Vater im Knast zu erleben.

Was war schlimmer: zu wissen, dass die Reputation weg ist oder dass man den eigenen Kindern kein Vorbild war?

Die Kinder sind das Schlimmste. Und deswegen brenne ich heute auch für so eine radikale Ehrlichkeit. Ich glaube, dass wir alle gefährdet sind. Wenn du um dich herum schaust, spürst du überall den Verlust an Integrität. Schau dir die katholische Kirche an, schau dir die Politik an, schau dir die Banken an.

Sie wollen also sagen, Ihre Umgebung hat Sie zum Betrug getrieben?

Nein. Aber ich glaube, dass wir alle in einer Scheißwelt leben. Uns und mir insbesondere fehlen leider die Wertmaßstäbe. Ich habe die verloren, weil es nur noch ums Geld ging. Anfang der 70er-Jahre, als ich als Berater anfing, wurde die Kunst noch von Menschen gekauft, weil sie einfach Kunst geliebt haben. Irgendwann in den 80er-Jahren wurde daraus ein Investment-Thema. Plötzlich kauften die Japaner van Gogh und trieben die Preise nach oben. Plötzlich waren Investmentbanker-Typen Galeristen. Plötzlich ging es immer nur noch höher, wurde das Angebot künstlich verknappt. Da bin ich mitgelaufen. Mich hat das auch angetörnt. Das ist so, als würdest du dir ständig Koks reinziehen. Irgendwann verlierst du den Blick. Deswegen: lieber mit Anstand arm sein.

Sie haben von Ihrer Panik in den ersten Gefängniswochen erzählt. Wie hat sich die gelegt?

In Gesprächen mit dem Anstaltspfarrer, der zum Freund wurde. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Das Verrückte ist ja, dass alles irgendwann schon mal irgendwelchen Menschen passiert ist.

 

Mächtig pleite: Helge Achenbach, 67, sammelte mal die Millionen auf dem Konto und die Werke der teuersten Gegenwartskünstler an der Wand. Heute hat er wohl mehr als 20 Millionen Euro Schulden
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Brauchen wir einen Glauben, um gut handeln zu können?

Wir brauchen eine Ethik. Wir brauchen Anstand. Und vor allen Dingen Erziehung.

Hatten Sie denn keine gute Erziehung?

Ich war ein Straßenkind, ein Schlüsselkind. Mein Vater war ein kleiner Beamter, meine Mutter hat immer gearbeitet. Bis heute weiß ich nicht, wer tatsächlich mein Vater ist. Ich hatte eine kalte Kindheit, die mich zum Narzissten hat werden lassen. Wenn du als Kind keine wirkliche Liebe bekommst, fällt es dir später sehr schwer, Liebe weiterzugeben.

Kann man sich mit 67 Jahren noch mit einer schlimmen Kindheit entschuldigen?

Grundsätzlich nein. Trotzdem spielt das eine Rolle. Ich habe immer danach gelechzt, Anerkennung zu kriegen. Mich hat es gestärkt, wenn ich einen Bentley oder einen Ferrari kaufen konnte, mit einem Jet nach Ibiza flog. Trotzdem fühlte ich mich zwischendurch wie in Trance, ohne Seele, betäubt.

Wie war Ihr Verhältnis zu Frauen?

Fürchterlich. Ich war ein Fremdgänger ohne Ende. Ich hab mir immer wieder von Frauen sozusagen auf Zeit Glückshormone geben lassen. Ich war unfähig, demütig und dankbar zu sein, dass ich eine sehr anständige Frau hatte, die einem auch mal widersprach. Kritik wollte ich ja gar nicht hören.

Haben Sie Drogen genommen?

Nein, für mich war das Koks der Erfolg. Ich hatte gigantisch tolle Projekte am Laufen. Das war eine einzige große Party. Ich schwebte von Punkt zu Punkt. Oder stürzte von Punkt zu Punkt. Bei meiner Verhaftung kam ich gerade aus Brasilien, wo ich mit 14 Künstlern das DFB-Fußball-Dorf Campo Bahia gestaltet hatte. Am nächsten Tag wäre ich in Wien verabredet gewesen, wo ich für 150 Millionen eine Sammlung kaufen wollte.

Auf dem Höhepunkt standen 17 Oldtimer in Helge Achenbachs Garage. Er förderte namhafte Künstler und führte in Düsseldorf mehrere Restaurants. In den 90ern war er Präsident der Fortuna Düsseldorf, bei der WM 2014 stattete er das DFB-Quartier Campo Bahia
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Schämen Sie sich heute vor ehemaligen Weggefährten?

Nein. Ich habe ja meine Strafe bekommen.

Wie viele Freunde haben sich abgewandt?

Von 100 sind sicher 60 weg. Übrig geblieben sind vielleicht die wahren Freunde.

Hegen Sie einen Groll?

Nein. Eher eine Dankbarkeit. Mein Leben ist heute viel intensiver, als es jemals war. Ich fahre zum Beispiel einen VW-Bus mit Kühlschrank und Matratze. Damit bin ich jetzt völlig unabhängig. Das ist wundervoll.

Nur ein bisschen holpriger als ein Bentley.

Aber man sitzt höher. Ab und zu, wenn ich nach Düsseldorf reinfahre, stelle ich mich dahin, wo ich früher mit meinem Bentley stand. Dann muss ich immer lächeln, wie die Leute das sehen. Ich bin ja nicht unbekannt.

Wie reagieren die Leute auf Sie?

Ich bekomme alles. Verachtung, Häme, Zorn, Hass, Nachsicht, Liebe. Ein Freund, den ich total geliebt hab, hat mir klar gesagt: „Hör mal zu, Helge, ich möchte mit dir Betrüger nichts mehr zu tun haben, ruf mich nicht mehr an.“ Das muss ich akzeptieren. Das war brutalst, aber das ist die Konsequenz.

Was würden Sie Leuten raten, die wie Sie einen großen Fehler begangen haben?

Man muss zu seinen Taten stehen. Das Törichte kann man nicht entschuldigen. Und auch nicht, dass man nicht integer war. Aber man kann daraus lernen. Ich weiß heute, wie ich mich anständig zu verhalten habe. Mir wird das nicht mehr passieren.

Wie haben Sie – mit dieser Erkenntnis – die Zeit im Gefängnis erlebt?

Ich hab das Beste aus dieser Scheißsituation gemacht. Ich hab viel gelesen, viel gemalt, Gedichte geschrieben. Ich war in einem Bibelkreis, im Chor, wurde Sportwart und hab Kunstgeschichte unterrichtet.

Kunstunterricht im Knast?

Ja, immer donnerstags. Da saßen zehn Knackis, denen ich die Geschichte der Frau in der Kunst erklärt hab. Die waren völlig fasziniert von Marilyn Monroe und der „Mona Lisa“.

Was für Leute waren das?

Mörder, Bankräuber, Hochstapler, arme Drogenabhängige.

Ein anderes Klientel als in einer Kunstauktion, oder?

Manchmal waren die Charaktere schon vergleichbar.

Haben Sie Gewalt erlebt?

Ja, klar. Aber mit den Rockern hatte ich nie ein Problem. Die haben mich akzeptiert. Als Persönlichkeit und weil ich älter war. Und die fanden es natürlich imponierend, dass einer so einen 20-Millionen- Euro-Fall macht.

Zeitgleich mit Ihnen saß auch der Top-Manager Thomas Middelhoff ein.

Middelhoff und ich waren die Promis. Wir standen im Ranking relativ weit oben. Auf der unteren Ebene gab’s auch komische Sachen, Erpressung und alles Mögliche. Es gibt im Knast viele Schmocks. Ich würde behaupten, dass kaum einer im Knast sitzt, der es nicht verdient hat.

Sie haben im Gefängnis angefangen, Ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Wollten Sie sie von Anfang an veröffentlichen?

Eigentlich ja. Nach dem Motto „Pass schön auf, was dir alles passieren kann“. Die Verführung lauert immer und ewig. Ich glaube, wir haben da auch eine Verantwortung gegenüber der nächsten Generation.

Inwiefern?

Wir müssen vermitteln, dass es nicht immer nur um den materiellen Vorteil geht, sondern auch um Liebe, Würde und Respekt. Es geht darum, den anderen anzuerkennen: Ich würdige deine Meinung. Wenn ich eine andere Meinung hab, diskutiere ich ehrlich. Und man darf Nein sagen. Ich lerne das auch erst gerade.

Fällt Ihnen das schwer?

Ja. Wenn du nicht aufpasst, kommst du wieder in die alten Mechanismen rein. Mut zur radikalen Wahrheit, das ist meine Devise heute. Ich versuche, nicht mehr zu lügen. Das ist schwer. Wahnsinnig schwer.

Lebensbeichte: Der Aufstieg und Fall des Helge Achenbach, von ihm selbst verfasst mit Einblicken in den deutschen Kunstbetrieb („Selbstzerstörung. Bekenntnisse eines Kunsthändlers“, Riva Verlag, 19,99 Euro)
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Zurzeit kümmern Sie sich um verfolgte Künstler, richtig?

Ja, ich habe da einen Verein initiiert. Weil ich nicht wieder in dieses alte Fahrwasser zurückkommen möchte. Was natürlich irgendwie verlockend ist, das muss ich schon sagen. Aber ich habe gesagt, nein, ich möchte der Kunst und den Künstlern dienen. Ich möchte denen helfen, denen es schlecht geht.

Wie helfen Sie konkret?

Wir haben einen alten Bauernhof bei Düsseldorf umgebaut. Dort leben gerade drei Künstler, darunter ein syrischer Karikaturist, auf den das Assad-Regime vier Attentate verübt hat.

Sie selbst haben bei Günter Wallraff Asyl bekommen.

Da habe ich so eine Dachstube, er ist quasi mein Bewährungshelfer.

Was verdienen Sie heute mit dem Künstler-Projekt?

Ungefähr 1200 Euro brutto.

Wie hoch sind die Forderungen an Sie?

Ich vermute mal, ich lande irgendwo zwischen 20 und 25 Millionen.

Wie viel dürfen Sie auf dem Konto haben, ohne dass gepfändet wird?

1040 Euro.

Wie viel war es einst zu Rekordzeiten?

Etwas mehr als 50 Millionen.

Können Sie die 20 bis 25 Millionen Euro jemals zurückzahlen?

Ich weiß nicht, ob ich noch mal die Kraft habe, etwas anderes zu machen als das, was ich heute mache. Ich bin 67. Ich spüre in mir ein Bedürfnis nach mehr Ruhe.