Dave Gahan lässt die Sonnenbrille am Revers seines Anzugs hängen. Dafür sind die Fenster im Berliner "Hotel de Rome" verdunkelt. Sein Dreitagebart, die Schläfen: grau. Statt Whiskey gibt's Wasser. Wir trafen den unverwüstlichen 55-jährigen Popmillionär 2013 zum Gespräch über wilde Zeiten.
Playboy: Wie kam es überhaupt zu Ihrem Absturz?
Gahan: Ich war irgendwann nur noch ein Produkt und hatte jeden Kontakt zu Dave Gahan verloren. Als ich dann anfing, nach ihm zu suchen, war es schon zu spät. Darum habe ich auch einen Selbstmordversuch unternommen.
Playboy: Aber warum dieser Schritt, wenn man doch alles hat?
Gahan: Weil dieses ganze Rockstar-Ding eine Illusion ist. Viel entscheidender ist, dass du dich selbst findest und entwickelst. Aber das ist unmöglich, wenn du dich um nichts mehr kümmern musst und nur von Konzert zu Konzert geleitet wirst.
Playboy: Wir dachten, das sei vor allem ein großer Spaß?
Gahan: Klar ist es toll, bejubelt zu werden, aber wenn du so eine schwache Persönlichkeit hast wie ich, verlierst du den Bezug zur Realität. Ich habe mich ständig unter Zombies bewegt, die nur Partys feierten, Drogen nahmen, Sex hatten und soffen.
Playboy: Hat die Band Sie nie zu einem Kurswechsel angehalten?
Gahan: Doch, und ich habe es auch oft versucht. Mal hat es für ein paar Wochen geklappt, bis ich wieder rückfällig wurde. Ich war das nächste potenzielle Drogenopfer nach Kurt Cobain. Zum Glück wurde ich vom Heroin irgendwann nicht mehr high, damit wuchs die Furcht, einen Punkt überschritten zu haben.
Playboy: Nach der Überdosis im Mai 96 waren Sie für Minuten klinisch tot.
Gahan: Das ist definitiv nichts, worauf ich stolz bin. Alles, was ich erinnere, sind Dunkelheit, Kopfschmerzen, und ich musste feststellen, dass meine Hände ans Bettgestell gefesselt waren.
Playboy: Seitdem nennt man Sie auch "The Cat", "die Katze" . . .
Gahan: Richtig. Und zwei oder drei von meinen neun Leben habe ich ja auch schon verbraucht.
Playboy: Haben Sie Ihren Kindern von all dem erzählt?
Gahan: Aber natürlich!
Playboy: Demnach ist Ihnen das nicht peinlich?
Gahan: Nicht wirklich. Und meine Kinder haben einen starken Charakter - wahrscheinlich von ihrer Mutter.
Playboy: Einer gebürtigen Griechin?
Gahan: Ja, definitiv eine starke Frau. Vor unserer Hochzeit musste ich zum griechisch-orthodoxen Glauben konvertieren. Das war wie im Film! Jemand taucht dich in ein Becken, ein anderer reibt dich mit Öl ein, und dann musst du auf den Teufel spucken. Ich habe jetzt eine richtige Familie, was enorm wichtig ist. Denn daraus resultiert die nötige Energie für alles - etwa um sechs Uhr morgens aufzustehen und Frühstück zu machen.
Playboy: Ihre Überlebensstrategie heute?
Gahan: Ich lebe von Tag zu Tag und versuche, meinen Frieden in mir selbst zu finden.
Playboy: Das klingt, als wären Sie noch nicht am Ziel?
Gahan: Noch lange nicht. Ich bin nur besser darin geworden, mich etwas zurückzuhalten.
Playboy: Völliger Abstinenzler sind Sie aber nicht - Sie rauchen Zigarillos . . .
Gahan: Ja, leider. Ich versuche, nicht mehr als fünf am Tag zu rauchen, und jogge jeden Tag. Danach bin ich immer ziemlich platt. Dafür bekommt man vom Sport keinen Kater (lacht).
Playboy: Als Jugendlicher waren Sie kleinkriminell und fast im Knast?
Gahan: Ich habe als Teenager immer nur den Kick gesucht. Ich war maßlos - oder einfach nur jung.
Playboy: Wie haben Sie es trotz all dem zum Weltstar geschafft?
Gahan: Ich bin der lebende Beweis, dass man es mit Kreativität - ich rede nicht von musikalischem Talent - weit bringen kann. Sofern man Glück hat. Und eine Band wie Depeche Mode.
Playboy: Gehen Sie auf Tour eigentlich noch viel aus und vor die Hoteltür?
Gahan: Nun, so eine Show verlangt viel Vorbereitung, und ehe du es mitkriegst, ist es schon wieder Zeit, auf die Bühne zu gehen.
Playboy: Klingt nicht wirklich spannend . . .
Gahan: Ist es auch nicht. Aber hey: Das ist Teil des Jobs. Das sind die Leiden eines Rockstars.
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