Ex-Diktator Fidel Castro (†): "Ich würde sagen, dass ich ein Diktator besonderer Art bin"

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Kubas Ex-Diktator Fidel Castro wurde am 13. August 1926 auf Kuba geboren. 1985 hat der "Máximo Líder" Playboy ein langes Interview gegeben. Über die Macht amerikanischer Präsidenten, sein Lampenfieber vor großen Reden und was ihn mit Don Quichotte verbindet und der’s allen – und ganz besonders Reagan – zeigen wollte.

Nur wenige Staatsmänner mit weltweitem Renommee, lebend oder schon verstorben, haben die Bühne der Geschichte so lange für sich beansprucht wie Fidel Castro, dieser kubanische Candillo, dessen Worte und Taten sieben amerikanische Präsidenten irritierten oder erbosten und dessen Revolution 1959 die Welt aufhorchen ließ. Von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, hat sich der heute 58-jährige Castro zu den vergangenen zwei Jahrzehnten die Presse vom Leibe gehalten. (Eine der Ausnahmen war das erste PLAYBOY-Interview im Jahr 1967 in der deutschen Ausgabe in Heft 12/1974 publiziert, in dem er sich unter anderem über die Anfangszeit der Revolution und die 1962 ausgelöste Kubakrise äußerte).

Aber da sich die Zeiten gewandelt haben, gelangte Castro zu dem Schluss, dass jetzt wohl der Moment für eine Wiederaufnahme des Dialogs vor allem mit der amerikanischen Öffentlichkeit aber auch mit der Weltöffentlichkeit gekommen sei. Doch derlei hat auch seine Tücken. Wer Castros Gesprächigkeit kennt und die Übertragung des längsten Interviews, das Castro je gewährte, mit erarbeitete, kann sich nur schwer vorstellen, dass es jemandem gelingt, einen von Rede und Widerrede geprägten Dialog mit Fidel Castro durchzuhalten. Das heißt nicht, dass er sich den Standpunkt des Gesprächspartners nicht anhört – er tut es und scheint durchaus ein offenes Ohr dafür zu haben, selbst wenn er von seinen politischen Überzeugungen keinen Millimeter abrückt. Aber da seine Erwiderungen zumeist lang ausfallen und Wiederholungen enthalten, kompliziert das den Prozess, das gesprochene Wort für die endgültige Druckfassung aufzuarbeiten.

Die Filmausschnitte, die Castro bei seinen fünfstündigen Ansprachen vor den Mauern in einem Stadion zeigen, zeichnen kein übertriebenes Bild. Selbst bei einem zwanglosen Vorgespräch brachte er es auf Antworten von 20 Minuten Länge. Da noch zu hinterfragen, war sinnlos. Er wehrt jede Unterbrechung ab und fügt seinen Antworten immer neue Gedanken hinzu. Deswegen möchten wir unsere Leser darauf hinweisen, dass das vorliegende „Interview“ zwar wortgetreu gedruckt wird, aber zuvor erheblich gekürzt und mit nachträglichen Zwischenfragen versehen wurde. Die Interviewer bilden diesmal ein ungewöhnliches Team: Befragt wurde Castro in Havanna von Dr. Jeffrey M. Elliot, einem Schriftsteller und Professor der Politikwissenschaft, und dem Mitglied des amerikanischen Repräsentantenhauses Mervyn M. Dymally, der dem Komitee für auswärtige Angelegenheiten angehört und Präsident des Caribbean American Research Institute ist. Solche Referenzen wie auch der ausgezeichnete Ruf der PLAYBOY-Interviewer führten dazu, dass sich Castro auf das längste und ausführlichste Interview einließ, das er je einem amerikanischen Journalisten gewährte.

Castro maß den Gesprächen von insgesamt 25 Stunden Dauer eine so große Bedeutung bei, dass er – sein Englisch ist passabel – nach Abreise der Interviewer ganze Tage mit der Ausarbeitung der Aufzeichnungen verbrachte, um die Genauigkeit der Simultanübersetzung nachzuprüfen. Danach schickte er die Übertragung Dr. Jeffrey M. Elliot, der sie mit dem ihm vorliegenden Text verglich. Das große Interesse, das Castro für das PLAYBOY-Projekt bekundete, mag auffällig erscheinen. Aber Reporter bestätigen, dass er sich gleichermaßen bei anderen Vorhaben engagiert, die er mit einem beträchtlichen Aufwand an Charme und Energie zu fördern sucht, sollte er sich mal darauf eingelassen haben. Und das ist nur eine Facette dieser noch immer rätselhaften Persönlichkeit.

Playboy: Was motiviert Fidel Castro nach 26 Jahren im Mahlstrom der Kontroversen und der Geschichte?
Castro: Eine vertrackte Frage. Ich möchte zunächst das aufführen, was mich nicht motiviert. Geld motiviert mich nicht; materieller Besitz motiviert mich nicht. Gleichermaßen motiviert mich auch nicht das Streben nach Ruhm, nach Popularität oder Prestige. Mich motivieren Ideen. Was einen Mann vor allem zum Kampf anspornt, sind Ideen und Überzeugungen. Wenn Sie sich mit aller Kraft für eine Idee einsetzen, werden Überzeugungen und Engagement mit jedem Jahr stärker. Die Selbstlosigkeit wächst, die Opferbereitschaft nimmt zu. Allmählich streift man seinen Stolz ab, seine Eitelkeit ... all die Regungen, die irgendwie in jedem Menschen stecken. Hütet man sich nicht vor solchen Eitelkeiten, lässt man Gefallsucht oder die Vorstellung von der eigenen Unersetzbarkeit oder Unabkömmlichkeit zu, kann man solchen Regungen wie dem Besitzstreben oder der Ruhmsucht verfallen. Ich habe mich stets davor gehütet. Vielleicht deswegen, weil ich mir meine Ansicht über die relative Bedeutung von uns Menschen gebildet habe, über den relativen Wert eines Individuums. Ich bin überzeugt, nicht der einzelne macht Geschichte, sondern das Volk. Ich meine, dass man nicht das Verdienst eines ganzen Volkes für sich beanspruchen kann. Ein Ausspruch von José Marti hat sich mir zutiefst und unvergesslich eingeprägt: „Aller Ruhm dieser Welt passt in ein Getreidekorn.“

Playboy: Dann glauben Sie also nicht, dass manche Menschen für eine historische Rolle ausersehen sind? Alles hängt von der Zeit und den Umständen ab?
Castro: Ja. Das meine ich. Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele geben. Wenn Abraham Lincoln heute lebte, wäre er ein durchschnittlicher Farmer in den Vereinigten Staaten, und niemand wüsste was von ihm. Erst die Zeit und die Gesellschaft, in der er lebte, machten ihn zu dem Lincoln. Wäre George Washington 50 Jahre nach der Unabhängigkeit zur Welt gekommen, hätte niemand groß von ihm Notiz genommen. Das gilt auch, wenn er 50 Jahre davor geboren worden wäre. Auch Lenin wäre trotz all seiner ungewöhnlichen Fähigkeiten wohl ein Unbekannter geblieben, wenn er in einer anderen Epoche zur Welt gekommen wäre. Oder nehmen Sie mich. Welche Rolle hätte ich denn in der Geschichte meines Landes, in der kubanischen Revolution gespielt, wenn es mir nicht vergönnt gewesen wäre, schreiben und lesen zu lernen? In meinem Geburtsort waren meine Geschwister und ich unter Hunderten von Kindern die einzigen, die die Chance hatten, über die Volksschulklassen hinaus weiterzulernen. Wie viele mag es unter den Hunderten von Kindern gegeben haben, die die gleichen oder noch größere Talente hatten, um das zu erreichen, was mir gelang, wenn man ihnen nur die Möglichkeit zur Weiterbildung verschafft hätte? In einem der 100 besten Gedichte spanischer Sprache ist die Rede davon, dass oft ein Genie tief im Innern eines Menschen schlummert und nur auf die Stimme wartet, die ihm zuruft: „Steh auf und wandle!“ So ist es doch. Davon bin ich fest überzeugt. Deswegen meine ich auch, dass ein Anführer keine außergewöhnlichen Fähigkeiten haben muss. Diese findet man auch im Volk. Warum betone ich das so? Ich stelle zumal im Westen die ausgeprägte Tendenz fest, historisch bedeutsame Ereignisse mit bestimmten Persönlichkeiten zu verknüpfen. Das ist die alte Theorie, wonach Männer Geschichte machen. Im Westen trifft man noch auf die Tendenz, in jedem Führer eines Landes der dritten Welt eine Art Stammeshäuptling zu sehen. Es gibt die stereotype Vorstellung, dass so ein Volksführer einem Häuptling gleichzusetzen ist Daher kommt es, dass man die Rolle eines Individuums übersteigert. Das sieht man schon daran, wie beispielsweise von uns geredet wird – Castros Kuba, Castro vollbrachte das, Castro machte jenes. Fast alles, was in Kuba geschieht, wird Castro zugeschrieben, Castros Wirken oder Castros Starrköpfigkeit. Sie ist leider weit verbreitet. Ich halte das für eine irrige Bewertung geschichtlicher oder politischer Ereignisse.
 

Playboy: Es mag schon sein, dass der Westen die Rolle des Individuums überbewertet. Aber werden Sie nicht hier in Kuba auf Schritt und Tritt genau beobachtet? Leben Sie nicht gleichsam in einem Glashaus?
Castro: Das habe ich noch nicht gemerkt. Eine Erklärung dafür ist möglicherweise, dass über meine Aktivitäten in der Presse kaum berichtet wird. Obwohl ich – sagen wir – 15 Tage lang alles Mögliche tue, steht nichts darüber in den Zeitungen. Sie werden sicher schon bemerkt haben, dass es in nahezu sämtlichen Ländern ein sogenanntes Presseamt gibt. Was immer ein Staatsmann im Verlauf eines Tages tut, wird in den Zeitungen veröffentlicht und vom Fernsehen oder Rundfunk verbreitet. Solche Menschen leben in einem Elfenbeinturm oder Glashaus. Ich habe mich nicht in ein Glashaus sperren lassen. Ich besuche Fabriken, Schulen, die einzelnen Provinzen, Städte. Zugegeben, ich habe solche Touren in der Vergangenheit öfter gemacht, weil ich früher mehr Zeit hatte. Aber auch damals wurden meinetwegen keine protokollarischen oder sonstigen Begrüßungszeremonien ausgearbeitet, wie es bei Staatsoberhäuptern in vielen Ländern üblich ist.

Playboy: Wie würden Sie nach all Ihren Reisen durch Kuba die Beziehung zwischen dem Volk und Fidel Castro bezeichnen?
Castro: Meinem Eindruck nach bringen mir die Menschen ein Gefühl der Vertrautheit, der Zuversicht und Achtung entgegen. Es ist eine sehr enge Bindung. Fast eine familiäre Bindung. Die Leute sehen in mir so was wie den Nachbarn, einen Mitmenschen. Ein Staatsamt oder Prominenz schüchtert sie nicht ein. Keiner nennt mich Castro, alle sagen Fidel zu mir. Diese Vertrautheit beruht unter anderem auf der Tatsache, dass wir das Volk nie belogen haben. Wir haben eine ehrliche Revolution durchgeführt. Die Menschen wissen, dass wir unser Wort halten – nicht nur die Kubaner auf Kuba, auch die in Miami. Diese Leute hegen keinerlei Sympathie für uns, aber sie vertrauen unseren Aussagen. Seit der Revolution weiß man, dass wir nicht mit Tricks arbeiten, mit Verrat oder Fallen. Als wir ihnen sagten, sie könnten von Mariel aus (Hafenstadt westlich von Havanna, die Redaktion) das Land verlassen, konnten sie es auch, obwohl einige unsere ärgsten Feinde, obwohl sie Terroristen waren. Wir verhalten uns wie die Beduinen in der Wüste, die einen Feind in ihrem Zelt willkommen heißen und sich hinterher nicht darum kümmern, in welcher Richtung er davonzieht.

Playboy: Haben Sie echte Freunde? Kann ein Mann in Ihrer Stellung überhaupt Freunde haben?
Castro: Ich habe viele Freunde, die nicht mal Kubaner sind, die ich bei den unterschiedlichsten Anlässen kennenlernte. Es sind prominente Persönlichkeiten darunter – Ärzte, Schriftsteller, Filmemacher, Wissenschaftler, Ausländer, mit denen ich befreundet bin. Meine Freunde aus der Revolutionszeit sind zugleich meine Kampfgefährten, die jetzt mit mir zusammen arbeiten, die wichtige Staatsämter innehaben. Uns verbindet eine freundschaftliche Beziehung. Ich habe nicht das, was Sie vielleicht als festen Freundeskreis bezeichnen würden. Ich fasse diesen Begriff weiter. Ich habe nicht die Angewohnheit, mich stets mit derselben Gruppe von acht, zehn Freunden zu treffen. Mal besuche ich diesen Freund, mal jenen. Mit einigen rede ich wegen unserer Arbeitsbeziehungen häufiger. Das ergibt sich eben so. Ich habe es jedoch vermieden – weil es vom Standpunkt meiner Position nicht gut ist –, eine bestimmte Gruppe von Freunden, die man öfters sieht, zu bevorzugen.

Playboy: Worauf wir hinaus wollen ist, ob sich die Menschen durch Sie eingeschüchtert fühlen, oder ob sie mit Ihnen auch mal streiten können.
Castro: In der Regel ist es so, dass jeder Genosse, der mit mir in der Staatsmaschinerie oder in der Partei zusammen arbeitet, mich ohne weiteres aufsuchen kann, um mit mir über seine Sorgen oder Probleme zu reden. Ich habe zu den Genossen im Allgemeinen ein unproblematisches Verhältnis. Aber wenn Sie mich schon fragen – es gibt da ein paar Leute, mit denen ich eng zusammen arbeite, die Ihnen sicher sagen könnten, dass ich ihnen manchmal auf die Nerven falle. Genosse Chomy, der hier neben uns sitzt, ist das beste Beispiel. Er hat die undankbare Aufgabe, mir die Liste all jener vorzulegen, die ich unbedingt treffen muss oder die um ein Gespräch gebeten haben .... Bei ihm nörgle ich dann und beschwere mich. (Castro und Chomy lachen. Dann verlässt Chomy das Zimmer. Als Castro weiter reden will, bleibt das Tonbandgerät, das Castros Adjutanten zur Kontrolle mitlaufen lassen, mit einem Klick stehen. Erbost ruft Castro nach Chomy, der sogleich herbei eilt). Aber im Allgemeinen lasse ich mich durch Probleme nicht aus der Ruhe bringen oder durch sie zermürben. Wenn ich keinen Sinn für Humor hätte, wenn ich nicht mit anderen witzeln könnte, auch mit mir selbst, wenn ich mich nicht mal gehen lassen könnte, hätte ich meine Aufgaben nie bewältigt.
 

Playboy: Haben Sie je daran gedacht, zu heiraten, eine Familie zu gründen, sich häuslich niederzulassen, von der politischen Bühne abzutreten?
Castro: Mir ist die Klatschspalten-Publicity über das Privatleben von Leuten mit einem öffentlichen Amt zuwider. Dieser Bereich gehört zu der ohnehin knapp bemessenen Privatsphäre, die einem noch verblieben ist. Deswegen will ich bis auf weiteres nichts darüber sagen. Eines Tages wird das, wonach Sie gefragt haben, schon bekannt werden, aber nicht durch meine Mitwirkung. Ich kann Ihnen nur versichern, dass mein Privatleben völlig ungetrübt ist, dass ich da keinerlei Probleme habe (grinst).

Playboy: Noch eine Frage, die aufs Persönliche abzielt: Sie sind jener der letzten großen Redner und können mit Ihren Ansprachen ein volles Stadium mitreißen. Sie sind bekannt dafür, dass Sie Ihre Ansichten überzeugend darlegen. Gibt es in dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen dem Staats- und Privatmann?
Castro: (lacht): Ich habe einen großen Rivalen, was überzeugende Reden betrifft – und der heißt Reagan. Aber lassen Sie mich Ihnen anvertrauen, was viele Leute nicht glauben werden: Ich habe jedes Mal Lampenfieber. Wann immer ich in der Öffentlichkeit eine Rede halten muss, erlebe ich zuvor eine Phase der Verkrampfung. Ich halte nicht gern Reden. Ich sehe sie mehr als eine Pflicht an, als eine knifflige Aufgabe, als ein Ziel, das ich erreichen muss.

Playboy: Es ist kein Geheimnis, dass sich Washingtons Haltung in letzter Zeit weiter verhärtet hat. Präsident Reagan charakterisierte Sie als einen rücksichtslosen militärischen Diktator, der Kuba mit eiserner Faust regiert. Viele Amerikaner pflichten ihm bei. Was sagen Sie dazu?
Castro: Sehen wir uns mal Ihre Frage genauer an. Ein Diktator ist doch jemand, der eigenmächtig Entscheidungen fällt, der über allen Institutionen steht, auch über dem Gesetz, der keiner anderen Kontrolle als seinem Willen oder seinen Vorstellungen unterworfen ist. Wenn Diktator bedeutet, dass so ein Mensch mit Verordnungen regiert, könnte man doch auch dem Papst vorhalten, er sei ein Diktator. Seine erheblichen Vorrechte bei der Führung des Vatikans und der katholischen Kirche sind ja allgemein bekannt. Ich habe nicht solche Vorrechte. Trotzdem würde niemand den Papst einen Diktator nennen. Demgegenüber kann Präsident Reagan schreckliche Entscheidungen fällen, ohne jemanden zu konsultieren. Er könnte sogar den Code verwenden, den er immer in einem Aktenköfferchen mit sich herumträgt, und so einen Atomkrieg auslösen, der wohl das Ende der Menschheit bedeuten würde.

Playboy: Aber, Herr Präsident, Sie regieren doch auch durch persönliche Anordnungen? Entscheiden nicht Sie über alle wichtigen Staatsangelegenheiten?
Castro: Nein. Ich entscheide nicht allein. Ich spiele die Rolle des Vorsitzenden in einem Gremium. Auf Kuba gibt es keine Position, die dem Amt des Präsidenten in den USA entspricht. Ich habe zweifellos eine gewisse Macht, ich habe Einfluss. Aber mein einziges Vorrecht besteht darin, vor dem Zentralkomitee, der Nationalversammlung und in der Öffentlichkeit Reden zu halten. Meine Macht besteht hauptsächlich darin. Nach mehr strebe ich nicht. Ich möchte und brauche keine andere.

Playboy: Aber es gibt doch wesentliche Unterschiede im Bereich der persönlichen Freiheiten, zwischen dem, was der einzelne in den Staaten des Westens darf und in Kuba.
Castro: Die Vorstellungen, was Freiheit beinhaltet, sind in den USA und Kuba sehr verschieden. Die Amerikaner sprechen immer von Freiheiten, seit der Unabhängigkeitserklärung. Wir sind auch der Meinung, dass alle Menschen gleich geboren werden. Aber als George Washington und seine Mitstreiter die Unabhängigkeit proklamierten, befreiten sie die Sklaven nicht; es ist nicht lange her, da konnten schwarze US-Sportler nicht mal Baseball in einer Oberliga-Mannschaft spielen. Und trotzdem sprechen sie von der freiesten Nation der Welt. Die freieste Nation hat die Indianer ausgerottet. Amerika tötete mehr Indianer als Buffalo Bill Büffel. Seitdem machen die USA Gewaltherrscher in Argentinien und Chile zu ihren Verbündeten, unterstützen die Politik von Südafrika und setzen brutale Killer ein, um die Konterrevolution zu organisieren. Und das soll das Land der Freiheit sein? Mal angenommen, man lebt als Kommunist in den Staaten, welche Freiheiten besitzt man denn? Darf man im Außenministerium arbeiten, bekommt man überhaupt vom Staat Arbeit? Kann man offen im Fernsehen seine Meinung sagen? In welchen Zeitungen darf man schreiben? Sie können Kuba kritisieren, wie Sie wollen, letztlich stehen wir doch mit einer saubereren Weste da als Amerika. Unser System ist sauberer, weil wir einfach nicht behaupten, die beste der möglichen Freiheiten zu bieten.

Playboy: Tatsache ist doch, Kommunisten dürfen in den USA ihre Ansichten äußern.
Castro: Wie Sie es auch drehen, die Leute finden kein Sprachrohr – es sei denn, sie können es sich finanziell leisten. Wenn man keine Zeitung oder keinen Medienkonzern besitzt, nimmt keiner Notiz von einer Meinung.

Playboy: Die Beziehungen zwischen Kuba und den USA sind ein düsteres Kapitel; wie viel schlechter sind sie geworden, seit Reagan im Amt ist?
Castro: Beträchtlich. Denn der Präsident hat die Blockade, das Embargo verschärft. Dann verbot er Privatreisen nach Kuba – eine Sache, die schon wieder einige Jahre lief. Und er verlangte, dass all unsere wirtschaftlichen Operationen mehr und mehr erschwert werden. Ich weiß nicht, wie viele Leute in den Staaten Informationen über unsere Handelsbeziehungen mit dem Westen sammeln, um Kuba daran zu hindern, seine Erzeugnisse zu verkaufen. Die Vereinigten Staaten lassen bei ihrem Handelsembargo gegen Kuba keine Ausnahme zu – darunter fällt sogar die Lieferung von Medikamenten –, und das ist eine Schande. Nicht mal Aspirin dürfen wir aus den Staaten beziehen. Lebensrettende Arzneimittel fallen auch unter das Verbot, medizinische Geräte ebenfalls. Und die Staaten weiten ihre Blockade weltweit aus, als Teil ihrer Politik, der kubanischen Wirtschaft, wo immer es nur möglich ist, zu schaden.

Playboy: Würden Sie sich denn ohne ein zuvor festgelegtes Konferenzkonzept mit Präsident Reagan treffen?
Castro: (setzt mehrmals zum Sprechen an und formuliert dann vorsichtig): Diese Frage sollten Sie zunächst mal dem Präsidenten der Vereinigten Staaten stellen. Ich möchte nicht, dass es heißt, ich hätte ein Treffen mit Reagan vorgeschlagen. Aber wenn Sie schon meine Meinung hören wollen – ich glaube nicht, dass so was machbar ist. Wenn jedoch die amerikanische Regierung ein solches Treffen, so eine Kontaktaufnahme vorschlagen sollte, würden wir uns nicht dagegen sperren.

Playboy: Kommen wir auf das Kubabild in den Vereinigten Staaten zu sprechen ...
Castro: Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, wie viele Zeitungsspalten, wie viel Papier, wie viele Medien sich feindlich mit Kuba auseinandergesetzt haben. Aber trotz der riesigen technologischen Mittel, trotz der Massenmedien gehören die Amerikaner – das muss ich leider sagen – zu den politisch am wenigsten gebildeten und am schlechtesten informierten Völkern, was die Realität in der dritten Welt, in Asien, Afrika und Lateinamerika anbelangt. All das liegt der gegen Kuba, gegen Castro gerichteten Einstellung, der Castro-Verteufelung zugrunde. Andererseits muss ich zugeben, dass es in den Vereinigten Staaten eine ansehnliche Minderheit gibt, die denken kann, die kulturell und politisch gebildet ist, die weiß, was in der Welt gespielt wird. Aber diese Leute zählen nicht zu den Durchschnittsamerikanern. Ich weiß außerdem, dass sich viele Amerikaner von diesen Vorurteilen, dieser Anti-Kuba-Stimmung nicht haben anstecken lassen.

Playboy: Wie ließe sich Ihr Image als böser Kommunist in das eines guten Kommunisten verwandeln?
Castro: Wenn der Wandel von einem bösen zu einem guten Kommunisten bedeutet, dass wir die Dinge, die wir als falsch ansehen, nicht mehr anprangern dürfen, unserer Meinung nach gerechtfertigte Ziele nicht mehr unterstützen dürfen, unsere freundschaftlichen Beziehungen zu den Sowjets abbrechen müssen, dass wir eine antisowjetische Haltung einzunehmen haben, um „gute Kommunisten“ zu sein, die die Vereinigten Staaten akzeptieren und belobigen, dann werden wir uns nie darauf einlassen. Sollten die Vereinigten Staaten eines Tages ihr Verhältnis zu Kuba ändern, sollte die amerikanische Öffentlichkeit die Chance erhalten, die Wahrheit zu erfahren, dann müssen die Amerikaner zuerst zu der Einsicht gelangen, dass weder Castro noch Kuba Opportunisten sind, dass wir unsere Fahne nicht nach dem Wind drehen, nicht käuflich sind.

Playboy: Und Sie meinen, dass die Vereinigten Staaten mit den übrigen lateinamerikanischen Ländern so verfahren, als seien diese käuflich?
Castro: Die Politik der USA gegenüber Lateinamerika, der Besitzanspruch auf die Völker dieser Hemisphäre, die Missachtung der Völker dieser Hemisphäre manifestiert sich doch überall – in so simplen Dingen wie öffentlichen Reden, Anekdoten, Histörchen, Trinksprüchen, in den Kontakten mit lateinamerikanischen Politikern. Ich bin überzeugt, dass eines Tages diese Politik, sich in die Belange aller lateinamerikanischen Staaten einzumengen, Verhaltensregeln aufzustellen, die Regierungsform vorzuschreiben, die gesellschaftlichen Wandlungen zu bestimmen, versagen und zu einer Krise führen wird. Und dieser Zeitpunkt rückt meiner Ansicht nach immer näher.

Playboy: Unlängst wurde berichtet, dass Kuba in letzter Zeit seine militärische Schlagkraft beträchtlich erhöht hat. Befürchten Sie denn nach all den Jahren noch immer einen Angriff oder eine Invasion seitens der USA? Halten Sie so was für wahrscheinlich?
Castro: (mit eindringlicher Stimme): Es ist kein Geheimnis, dass wir unsere Verteidigungsbereitschaft in den vergangenen vier Jahren erheblich verstärkten. Und nicht nur das – wir haben auch unser Verteidigungskonzept revolutioniert. In den vier Jahren haben wir über anderthalb Millionen Männer und Frauen zur Landesverteidigung herangezogen, abgesehen von der Armee und der Reserve. Wir haben Zehntausende von Kadern ausgebildet. Wir sind auf alle nur denkbaren Aggressionsszenarien gegen Kuba vorbereitet, mögen sie auch unter für uns noch so ungünstigen Bedingungen durchgeführt werden. Selbst in den abgelegensten Teilen Kubas ist die Bevölkerung auf einen Kampf unter allen Umständen, selbst bei einer Besetzung, vorbereitet. Und warum haben wir das alles getan? Gewiss nicht zum Zeitvertreib, nicht aus Spaß oder Waffenbegeisterung. Ich würde gern den „Waffen lebewohl“ sagen, wie Hemingway einen seiner Romane (Farewell To Arms, die Redaktion) genannt hat. Diese Maßnahmen waren unsere Reaktion auf die unverhohlene, auch ausgesprochene Politik der Gewalt und Einschüchterung der Vereinigten Staaten gegen Kuba.

Playboy: Meinen Sie, dass die USA in Nicaragua militärisch intervenieren werden?
Castro: Ich schließe eine militärische Intervention nicht aus. Es ist doch nicht zu übersehen, dass die Reagan-Regierung von Nicaragua geradezu besessen ist. Oder um es genauer auszudrücken: Der Präsident der Vereinigten Staaten nimmt eine starrköpfige Haltung ein und hat sich an diesem Problem festgebissen. Das könnte irgendwann zu einer direkten Intervention führen. Es ist doch unverkennbar, dass die amerikanische Regierung auf dieses Ziel hinarbeitet: In ihrem Auftrag wurden in Honduras neue Flughäfen angelegt und drei bereits vorhandene modernisiert und erweitert. Zudem hat man militärische Anlagen für Land- und Seestreitkräfte gebaut, Ausbildungslager eingerichtet und zahlreiche Truppenverbände zusammengezogen. Die militärische Ausbildung und die Manöver sind offensichtlich auf eine Invasion in Nicaragua ausgerichtet, sollte diese beschlossen werden. Möglich ist sie schon – Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und weiteres Kriegsmaterial, die ganze Kriegsmaschinerie steht in Bereitschaft.

Playboy: Sie glauben also nicht, dass Präsident Reagan in Nicaragua eine friedliche Lösung anstrebt?

Playboy: Das Ziel der Reagan-Regierung ist die Ausschaltung der sandinistischen Revolution in Nicaragua, die Vernichtung der Revolutionäre in El Salvador bis zum letzten Mann, ist ganz allgemein die endgültige Ausmerzung des Geistes der Rebellion in diesen mittelamerikanischen Völkern. Es scheint so, als wolle die Reagan-Regierung ein Exempel statuieren, damit niemand mehr in Mittel- oder Lateinamerika jemals daran denkt, gegen die Tyrannei im Interesse der USA zu rebellieren, gegen den Hunger, die Ausbeutung, so dass niemand mehr nochmals den Kampf um Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit wagt.

Playboy: Bleiben wir bei El Salvador. Ihre Kritiker behaupten, Kuba betreibe durch Waffenlieferungen an die Aufständischen den Sturz der erst vor kurzem in El Salvador gewählten Regierung unter Präsident José Napoleón Duarte. Stimmt das?
Castro: Ich weiß nicht, worauf sich die Vorstellung, diese Regierung sei legal, gründet. Alle Welt hat doch mitbekommen, dass da ein Bürgerkrieg geführt wurde, dass in den letzten sechs Jahren über 50.000 Menschen durch die Todesschwadronen und die salvadorianische Armee ermordet worden sind, dass da ein wahrer Völkermord stattfindet, dass Duarte dazu beigetragen hat. Als Mitverschwörer hat er zu den Verbrechen beigetragen. Er kann nicht die Verantwortung für das abschütteln, was in den vergangenen fünf Jahren in El Salvador geschehen ist.

Playboy: Aber stimmt es nicht, dass Duarte in einer offenen, freien Wahl zum Präsidenten von El Salvador gewählt wurde?
Castro: Nein. (Schlägt mit der Faust auf den Tisch.) Jedermann weiß doch, unter welchen Umständen die Wahl stattfand: Es herrschte rücksichtslose Unterdrückung, Terror, Krieg. Jedermann weiß, dass die Vereinigten Staaten die Wahlkampagne gesteuert haben, dass die politischen Parteien von den Vereinigten Staaten manipuliert wurden, dass die CIA die Wahlkampagnen finanzierte. Die jetzige Regierung und die übrigen, angeblich gesetzlichen, Körperschaften sind das Ergebnis dieser Manipulation und der sonstigen Machenschaften der Vereinigten Staaten.

Playboy: Haben Sie denn Beweise dafür, dass die CIA die Präsidentenwahl in El Salvador manipuliert hat? Wurde sie denn nicht ebenso genau beobachtet wie die Wahlen in Nicaragua, die Ihrer Ansicht nach fair verliefen?
Castro: Diese Information wurde in den USA veröffentlicht. Auch die CIA gab öffentlich zu, dass sie nicht nur die Christdemokraten, sondern auch die übrigen Parteien unterstützte und die Wahlkampfkosten trug. Angesichts eines Geständnisses sind doch keine Beweise nötig.

Playboy: Sie vergleichen die „beschämende“ Invasion auf Grenada mit den Taten Nazideutschlands. Man könnte dem entgegenhalten, dass das Vorgehen der Sowjet-Truppen in Afghanistan eher damit zu vergleichen sei. Ist denn das durch den russischen Einmarsch in Afghanistan ausgelöste Blutvergießen für die sozialistischen Länder kein Grund zur Scham und zu Gewissenskonflikten?
Castro: Afghanistan ist eines der rückständigsten Länder der Welt. Bis zum April 1978 herrschte da ein Feudalregime. Das Land hatte eine Analphabetenrate von 90 Prozent. Die Kindersterblichkeit lag bei 235 bezogen auf 1000 Lebendgeburten. Das ist eine der höchsten Raten der Welt. 2000 Familien besaßen 80 Prozent des Bodens. Die Bevölkerung zerfiel in rund 1500 Stämme. Meiner Ansicht nach war Afghanistan eines der Länder, wo eine Revolution geradezu unausweichlich war. Als dann die Revolution ausbrach – und sie musste kommen –, setzten all die subversiven CIA-Machenschaften ein, wie man sie jetzt in Nicaragua praktiziert. Seit Beginn der Revolution haben die Vereinigten Staaten eine Milliarde Dollar für die Unterstützung der konterrevolutionären Banden ausgegeben. Die Revolution in Afghanistan führte zu Spannungen in dieser Region. Kuba hat sich um Lösungen bemüht und deshalb 1979 die sechste Gipfelkonferenz der blockfreien Staaten in Havanna ausgerichtet. Ich sprach damals mit dem afghanischen Präsidenten Taraki. Ich traf auch den Mann, der ihn später stürzen und ermorden lassen sollte: Amin. Dieser Mann war Pol Pot nicht unähnlich, dem Anstifter des Völkermordes in Kambodscha. Sie können sich nicht vorstellen, was für ein umgänglicher Mensch das war! Mir war es vergönnt, ein paar Politiker kennenzulernen, die auch Sie liebenswürdig, kultiviert gefunden hätten, die in Europa oder den Vereinigten Staaten studiert haben. Später musste ich hören, dass sie Greueltaten verübt hatten. Anscheinend verlieren solche Menschen in einer bestimmten Phase den Verstand