Die schwedische Regisseurin ERIKA LUST dreht Sexfilme, die vor allem für Frauen gemacht sind – aber auch sehr vielen Männern gefallen. Ein offenes Gespräch mit der Botschafterin der weiblichen Sexfantasie

 

 

Bevor Erika Lust wusste, was sie beruflich wollte, wusste sie, was sie privat nicht mehr wollte: konventionelle Pornos ansehen. Die fand sie zwar körperlich antörnend, aber emotional abstoßend. Also drehte sie, einen Hochschulabschluss in Politikwissenschaften (Schwerpunkt Feminismus) in der Tasche, im Jahr 2004 ihren ersten eigenen Porno. Er hieß „The Good Girl“ und handelte von einer Frau, die den Pizzaboten vernascht. So weit, so gewöhnlich. Das Besondere daran: Im Mittelpunkt stand die Lust der Frau, ihre Begierde, ihr Vergnügen. Der Film ging viral, erreichte zwei Millionen Downloads allein im ersten Monat. Und Erika Lust, die eigentlich Erika Hallqvist heißt, wurde zu einer der Pionierinnen des feministischen Pornos. Abseits von Pseudo-Storys und kitschiger Musik, dreht die heute 40-jährige Stockholmerin Sexfilme mit anspruchsvoller Ästhetik und baut um ihre Darsteller komplexe Geschichten, in denen auch eine selbstbewusste Frau mal eine devote Rolle einnehmen darf. Lust sieht darin keinen Widerspruch, genauso wenig wie sie einen zwischen Pornografie und Feminismus sieht. „Viele Feministinnen merken, dass Sexualität ein wichtiger Teil von uns ist“, hat sie mal gesagt. „Und dass wir das Recht haben, unsere eigene Pornografie zu machen, etwas, das wir sehen wollen.“ Wenn man so will, ist Lust also eine Botschafterin der weiblichen Sexfantasie. Angesichts von 7,5 Millionen Zusehern, die ihre Filme jeden Monat erreichen, kommt diese Botschaft offenbar gut an.

Playboy: Frau Lust, wie erklären Sie sich, dass so viele Zuschauer bereit sind, Geld für Ihre Filme auszugeben, wenn es doch unzählige kostenlose Alternativen gibt?

Erika Lust: Meine Darsteller spielen Charaktere, die wie der Typ oder das Mädchen auf der Straße aussehen. Sie sind natürlich, individuell und auf ihre eigene Art und Weise attraktiv. Die Schauplätze sind Orte, die man besucht hat oder besuchen könnte. Der Sex ist echt. Du kannst das Vergnügen sehen. Den Schweiß. Die Berührung. Und du hörst die Geräusche. Die Darsteller streicheln sich, genießen und vergnügen sich. Die Zuschauer können sich selbst in meinen Filmen sehen. Sie fühlen, dass sie das selbst erleben könnten. Das ist es, was es befriedigender und erotischer macht und warum sie Spaß daran haben.

Sie verfilmen Fantasien, die von Ihren Zuschauern eingereicht wurden. Reagieren Männer und Frauen gleichermaßen darauf?

Tatsächlich ist das Verhältnis von Frauen und Männern auf XConfessions (Erika Lusts Porno-Plattform im Internet; Anm. d. Red.) etwa 50 : 50. Beide Seiten reagieren sehr positiv auf meine Arbeit. Ich mache meine Filme für alle. Auch für Menschen, die nach einer Alternative zu Mainstream-Pornos suchen und Filme wollen, die beide Geschlechter und ihre Vorlieben, Bedürfnisse und Wünsche als sexuell Gleichgestellte berücksichtigen. Ich stelle mir mein Publikum modern vor, aufgeschlossen und Sex gegenüber – in all seinen Spielarten – positiv eingestellt.

Ihre Filme präsentieren eine Vielfalt an Körpern und sorgfältig ausgewählten Schauplätzen. Nach welchen Kriterien wählen Sie Drehorte und Darsteller aus?

Das ist eine meiner größten Prioritäten in den Filmen. Ich versuche in jeglicher Hinsicht, eine glaubwürdige Umgebung zu schaffen, in der der Sex echt ist und der Kontext nachvollziehbar. Bei den Darstellern suche ich nach einzigartigen Menschen, und ich zeige eine Vielzahl an Körpertypen. Das kann schwierig sein in der Porno-Industrie, die viele unbehaarte, muskulöse Klone produziert.

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen natürlich und Muskelklon?

Wir haben auch einige glatt rasierte und muskulöse Darsteller. Ich ziehe die Grenze bei Schönheitsoperationen. Ich bemühe mich, natürliche Schönheiten zu finden, Darsteller, die ihre Arbeit lieben, die Sex lieben und eine ähnliche Sichtweise wie ich haben.

Amerikaner attestieren Ihren Filmen eine sehr europäische Optik.

Der Look jedes Films wird immer passend zum jeweiligen Drehbuch konzipiert. Das ist einer der großen Unterschiede zwischen XConfessions und vielen anderen Porno-Websites. Deshalb findet jeder unsere erotischen Kurzfilme so künstlerisch: weil ich ein Team von jungen, spezialisierten Kreativen leite, das direkt in jedes einzelnen Stück involviert ist.

Sie können mittlerweile gut vom Sex leben. Was macht etwas überhaupt sexy?

Ich habe gelernt, da sehr offen zu bleiben. Alles kann sexy sein, je nach Person. Alles ist erlaubt beim Sex, solange es einvernehmlich zwischen den Beteiligten geschieht und natürlich nicht illegal ist. Manche Leute mögen Füße. Manche mögen Strumpfhosen. Andere mögen Latex, BDSM oder dass sich jemand als Tier verkleidet. Sexyness steht immer im individuellen Kontext. Du weißt nie, was dich vielleicht anmacht, und es könnte dich überraschen.

Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder. Wie vereinbaren Sie Ihr Leben als erotische Filmemacherin mit Ihrem Leben als Mutter, in dem Sie auf Eltern anderer Kinder treffen?

Dass ich Mutter bin, ändert nichts daran, wer ich bin und welche Überzeugungen ich habe. Mutterschaft und Sexualität hängen natürlich zusammen. In meinem alltäglichen Leben habe ich festgestellt, dass die Menschen sehr offen für meine Arbeit und meine Ideen sind. Einmal haben wir die Eltern der Freunde unserer Kinder in unsere Büroräume eingeladen. Sie konnten es kaum erwarten, das zu sehen. Ich denke, das ist wirklich positiv und bedeutet, dass sie offen dafür sind, mit ihren Kindern ein Gespräch über Sex zu führen.

Sind Sie nie angeeckt?

Klar. Ich musste das, was ich tue, im Lauf meiner Karriere viele Male verteidigen. Als uns Banken kein Konto eröffnen lassen wollten. Als jemand unsere Visitenkarte nicht annehmen wollte. Oder als wir an Orten nicht drehen durften. Aber Probleme ergeben sich eher mit Leuten, die ein Unternehmen repräsentieren, als mit Einzelpersonen.

Wird die Welt der Pornografie gegenüber offener?

Die Leute werden immer weniger ablehnend. Sie werden neugieriger, kreativer, wollen ihre Sexualität erkunden. Sex war immer ein großes Thema in den Medien, aber jetzt erhalten Sex und Porno eine zunehmend positive Form von Aufmerksamkeit. Das geht hoffentlich so weit, dass die Generationen nach uns so liberal mit Sex umgehen können, wie sie möchten.