„Ich beleidige jeden Tag Leute“, sagte uns der 76-Jährige. „Heute habe ich noch niemanden beleidigt, aber es sind gerade auch keine Gäste da. Manchmal suche ich mir ein Opfer“, so Charles Schumann, den wir an einem Vormittag im August in seiner Münchner Bar „Schumann’s“ besuchten.
Auf dem Papier ist Charles Schumann 78 Jahre alt. Aber sich den Barkeeper-Archetyp als gemütlichen älteren Herrn vorzustellen wäre grundfalsch. Immer noch hat er diesen durchdringenden Blick, mit dem er einem von den Baldessarini-Plakaten entgegenkerlte. Immer noch koordiniert er täglich das Geschehen in seiner Bar „Schumann’s“ am Münchner Odeonsplatz, in der einen Minute herzlich, in der nächsten einmalig grantig. Geht zweimal die Woche zum Boxen. Lernt nachts Japanisch. Reist in der Welt herum, wie für den Dokumentarfilm „Schumanns Bargespräche“. Viel los also, deshalb beginnt er unser Gespräch am hinteren Ecktisch der Bar mit einem Uhrenvergleich.
Jetzt haben wir elf, stimmt das?
10.37 Uhr ist es exakt bei mir. Okay, um elf ist Ende, vielleicht zehn Minuten länger, los geht’s.
Für einen wie Sie, der Interviews eigentlich nicht mag und wenig Persönliches preisgibt – wie fühlt sich das an, auf einmal einen ganzen Kinofilm zu füllen?
Ist mir zu viel, eigentlich. Wobei ich mit der gleichen Regisseurin ja auch diesen Fernsehfilm zu meinem 75. Geburtstag gemacht habe, gegen den ich mich lange gewehrt habe. Den ich dann aber im Nachhinein sehr gut fand. Ich nenne ihn den Heimatfilm.
Sie sind darin in die Oberpfalz gefahren, wo Sie als Bauernjunge Ihre Kindheit verbrachten. Sehnen Sie sich manchmal ins Ländliche zurück?
Ich sehne mich in die Einsamkeit zurück. Aber die Einsamkeit ist am schönsten in einer Stadt.
In welcher besonders?
Wenn ich in Tokio bin, bin ich wirklich glücklich, weil ich mit ganz wenigen Leuten rede.
Und in München?
Da bin ich gar nicht einsam. Aber die Bar ist so groß, dass ich hier sein kann und trotzdem nicht sprechen muss.
Ihr ruppiges Temperament ist legendär, wann haben Sie das letzte Mal jemanden so beleidigt, dass es Ihnen leid getan hat?
Ich beleidige jeden Tag Leute, immer noch!
Heute auch schon?
Heute habe ich noch niemanden beleidigt, aber es sind gerade auch keine Gäste da. Manchmal suche ich mir ein Opfer.
Was ist im Umgang mit Gästen Ihr oberstes Prinzip?
Für mich ist ganz wichtig, dass meine Barkeeper die Gäste nicht abfüllen. Das geht überhaupt nicht. Und ich sage immer: Jungs, verkauft nicht den teuersten Sprit, ohne dass jemand danach verlangt.
Was trinken Sie selbst gern?
Ich bin kein großer Cocktail-Freund, die trinke ich selten. Im Sommer trinke ich vielleicht mal ein Glas Bier. Im Winter etwas, das mich wärmt, einen Whiskey Sour oder einen Sazerac. Eventuell mal ein Glas Champagner. Aber das ist für mich kein Alkohol, den trinke ich auf Eis. Also, mit mir könnte man keine erfolgreiche Bar machen. Und bei der Arbeit trinke ich sowieso so gut wie gar nicht.
War das immer so?
Zu meiner Zeit in „Harry’s New York Bar“ habe ich mal versucht zu trinken. Es aber wieder aufgegeben, als ich gemerkt habe, dass dann nichts mehr funktioniert.
Wann hatten Sie Ihren letzten großen Rausch?
Weiß ich nicht. Große Räusche, die hat man mit 17, 18. Da hat man Alkohol ausprobiert, literweise Bier getrunken. Auf einer Dorfveranstaltung geschaut, wer am meisten schafft.
Wer ist für Sie schwerer zu ertragen, betrunkene Männer oder betrunkene Frauen?
Nachdem ich konservativ bin, finde ich betrunkene Frauen immer schlimm. Männern kann ich sagen, wo es langgeht. Aber wie soll ich einer betrunkenen Frau sagen, jetzt reicht’s, geh mal nach Hause?
Diesen Typ Stammgast, der allein kommt und am immer gleichen Tisch den immer gleichen Drink vor sich stehen hat, gibt es den auch in weiblich?
Weniger, dabei ist es für Frauen hier eigentlich wunderbar. Weil wir auf sie aufpassen.
Welche Gäste sind Ihnen die liebsten?
Für mich ist eigentlich jeder Gast gleich. Es gibt allerdings welche, die jeden Tag kommen, die gehören zur Familie und die sind gleicher. Die wichtigsten Leute sind für mich die, mit denen ich reden kann. Und auch reden will. Alle anderen sind notwendig. Aber es gibt ja nicht mal mehr eine richtige Schickeria wie früher.
Wie hat sich seit diesen Schickeria-Jahren in den 80ern und 90ern die Barkultur generell verändert?
Das Publikum ist jünger geworden. Sowohl die Gäste als auch die Barkeeper wissen besser darüber Bescheid, was sie trinken und machen. Aber zu meinem Bedauern muss ich feststellen, dass es heute viel weniger gut angezogene Leute gibt als damals.
Sie wünschen sich von Ihren Gästen mehr Sorgfalt bei der Garderobenauswahl?
Es wäre schon schön, wenn wir hin und wieder ein paar schicke Leute hier hätten. Im Sommer ist das natürlich eklatant. Da laufen manche genau so, wie sie aus dem Englischen Garten kommen, in die Bar hinein. Aber wir sind ja nicht neben dem Campingplatz.
Woran erkennt man eine gute Bar, egal, wo auf der Welt?
Das merkt man bereits, wenn man die Tür öffnet. Und zwar daran, ob man wahrgenommen wird, das ist ganz wichtig. Eine gute Bar hängt von ihren Mitarbeitern ab und davon, wie sie arbeiten.
Was ist das Wichtigste, das ein Barkeeper können muss?
Das ist jetzt natürlich so eine halbschlaue Antwort, aber: Er muss da sein und doch nicht da sein. Er muss zuhören und doch nicht zuhören. Und er muss selbstverständlich seinen Beruf beherrschen.
Wie dringend braucht ein Mann heute noch eine Stamm-Bar?
Ein Mann braucht einen Platz, wo er hinkann, wenn er zu Hause nicht bleiben will. Wo er allerdings jederzeit auch wieder gehen kann, wenn es ihm nicht gefällt.
Wenn man Münchner über Sie reden hört, sind Sie immer „der Charles“. Wer darf Sie so nennen?
Es nennen mich alle so, was anderes könnte ich mir gar nicht vorstellen. Eigentlich würde es mir besser gefallen, wenn die Leute mich Karl nennen. Wobei, das klingt dann vielleicht zu bayerisch.
Wann ist aus Karl Georg der Charles geworden?
In meinen Jahren in Frankreich. Die Franzosen nennen mich allerdings Charlie.
Sie haben in Südfrankreich studiert, eine Diskothek und einen Stripclub geleitet, seither sprechen Sie fließend Französisch. Welche Sprachen eigentlich noch? Im Film sind Sie in den meisten Ländern ohne Dolmetscher unterwegs.
Italienisch kommt dazu, wenn man länger in der Gastronomie arbeitet, und Spanisch. Japanisch spreche ich ein bisschen besser. Und endlich auch Englisch. Das war früher die Sprache, die ich am schlechtesten gesprochen habe. Aber über meine Rede in New Orleans zum Preis für mein Lebenswerk bei den Spirited Awards hat „Forbes“ gerade geschrieben: „Best speech of the night“. Ist doch wunderbar, oder?
War es eigentlich ein finanziell rentabler Lebensweg, kann man mit einer Bar reich werden?
Man kann sehr gut leben. Natürlich brauchst du immer Leute, die kommen, sonst wirst du gar nichts, dann gehst du pleite. Aber es muss eine kleinere Bar sein, diese große Bar hier ist ein Moloch. Hier haben wir viel zu viele Leute, die in irgendeiner Weise davon leben, dazu eine sehr hohe Miete, und der Sommer ist besonders anstrengend, weil du ja vorne und hinten auch noch Leute sitzen hast.
Aber warum machen Sie das alles hier dann noch?
Viele Mitarbeiter sind schon über 20 Jahre hier. Wenn ich die Bar zumache, sind sie arbeitslos, und das wäre verantwortungslos.
Und wenn jemand anders die Bar weiterführen würde?
Alle, die das wollen und ein bisschen Ahnung haben, möchten, dass ich dann bleibe. Und allen anderen würde ich die Bar sowieso nicht geben. Aber für jemand anders zu arbeiten, das brauche ich nicht.
Könnten Sie das überhaupt: alles hinter sich lassen?
Ich würde das „Schumann’s“ nicht vermissen, nicht einen Tag. Ich würde reisen. Ein Jahr da leben, ein Jahr dort.
Eine andere große Leidenschaft von Ihnen ist das Boxen. Ist das wirklich eine geeignete Sportart fürs Alter?
Nein, das können wirklich nur ganz wenige in meinem Alter noch machen. Ich habe das Glück, dass ich fit bin. Aber ich habe auch immer was dafür getan, auch heute gehe ich noch zweimal die Woche zum Boxen. Nicht weil ich jemanden umhauen möchte, es macht mich frei.
Womit wird zuerst Schluss sein, mit der Bar oder mit dem Boxen?
Mit der Bar. Wenn ich sagen würde, hier ist jetzt Schluss, ich gehe ein Jahr nach Barcelona oder nach New York, dann würde ich mir auch nicht als Erstes eine Bar suchen, sondern einen Boxclub.
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