Im Backstage-Bereich des Metropol in Berlin, wenige Stunden vor Konzertbeginn, begrüßt mich Frédéric Lo, mit dem Pete Doherty gerade ein von der Kritik wohlwollend aufgenommenes Album herausgebracht hat. Lo ist Jahrgang 64, skandalfrei und ein fleißiger Produzent, der andere mit seinen Kompositionen in den Mittelpunkt stellt. Kurz darauf kommt sein Gegenpart in den Raum, bekannt als Pete Doherty, und Lo steht auf: „Peter, darf ich dir David vom Playboy vorstellen? Er führt das Interview mit uns.“ Peter reicht die Hand, wirkt aber etwas schlaftrunken und widmet sich seinen Hunden (Gladys, ein Ridgeback-Labrador-Mischling, und Zeus, ein Husky). Dann erst realisiert er, dass ich der angekündigte „Playboy guy“ bin, und wendet sich mit finsterem Blick zu Lo: „Get the fuckin’ journalist out of the room!“ Er lacht, „just jokin’“, und stellt er eine weiße Kaffeetasse und eine Flasche Rum auf den kleinen Tisch vor uns. Er schenkt ein, und ich frage, ob ich eine zweite Tasse holen soll. „Nein, es waren keine mehr da“, sagt er. „Wir trinken aus einer Tasse.“ Und so ist ausgerechnet Peter Doherty der Erste seit Corona, mit dem ich aus demselben Gefäß trinke. Klar, dass wir uns duzen, sobald das Gespräch am Rande mal ins Deutsche wechselt.
Heute Abend spielt ihr hier eure dritte Show der neuen Tour. Wie läuft es bisher?
DOHERTY: Wir haben bisher ein paar kleinere Gigs gespielt, sehr intime Shows. Aber jetzt geht es richtig los.
LO: Ich bin so glücklich, dieses gemeinsame Album mit Peter live spielen zu können. Es ist ein Traum!
Peter, du lebst seit zweieinhalb Jahren mit deiner Frau in Frankreich. Wie gut ist dein Französisch?
(Grinsend und auf Deutsch) Mein Französisch ist sehr gut!
LO: Ja, es ist gut, und es wird immer besser.
Euer Album kommt bei den Fans und der Presse gut an. Wie kam es zustande?
LO: Peter und ich haben sehr unterschiedliche Herangehensweisen, Musik zu machen. Peter ist immer unterwegs, er liebt es, auf der Bühne zu stehen. Ich mag das auch, aber ich liebe es, im Studio zu sein.
DOHERTY: Yeah, das ist eine gute Kombi!
Das Album hat viele Leute überrascht. Es ist ruhiger und poppiger als das meiste, was du vorher gemacht hast, Peter.
DOHERTY: Das stimmt. Es ist poppig, hat diesen Sixties-Spirit, und ich glaube auch, es ist sehr kommerziell. Das ist einfach so passiert. Ich plane so was nicht. Ich war von einigen Songs selbst überrascht.
LO: Das ist seltsam, ich habe einen ganz anderen Blick darauf. Wir haben etwas sehr Reines geschaffen in dieser ganz besonderen Stimmung.
DOHERTY: Aber genau das ist doch der Traum, etwas Reines und Schönes zu machen. Ich meinte „kommerziell“ nicht negativ.
LO: Du hast recht. Die Musik, die wir beide mögen, die Beatles oder The Clash, das ist ja eigentlich auch kommerzielle Musik. DOHERTY: Die Beatles waren money-mad!
Frederic, wann haben Sie zum ersten Mal von Peters Musik gehört?
DOHERTY: Ja, Fred, erzähl es! Er mochte meine Musik nicht ...
LO: Nein, das ist nicht wahr! Als Peter mit den Libertines das erste Album veröffentlichte, habe ich gerade mit Daniel Darc an dessen Album „Crève cœur“ gearbeitet. Ich war damals in einer ganz anderen Stimmung, hörte viel klassische Musik und Leonard Cohen. Das Erste von Peter, was ich wirklich geliebt habe, war „Grace/ Wastelands“. Die CD ist heute noch in meinem Auto! Ich bin stolz, heute neben ihm zu stehen und Songs mit ihm zu spielen.
Wie würdet ihr eure Beziehung beschreiben?
DOHERTY: Wir leben zurzeit gemeinsam im selben Tourbus, und ich glaube, ich bin nicht die einfachste Person, mit der man zusammenleben kann. Er hat Glück, dass er mich in einer guten Phase erwischt hat. Ich schlafe viel. Aber um ehrlich zu sein, ich mag es nicht, Beziehungen zu beschreiben. Ich war darin nie gut.
LO: Was ich cool finde: Wir waren von Beginn an wie gute Freunde, geben uns aber auch unseren Freiraum. Wir führen zwei unterschiedliche Leben, sogar im selben Tourbus. (Peters Manager Jai kommt herein: „Sorry für die Störung. Peter, der Kerl von gestern wartet unten.“)
DOHERTY: (Schaut mich an) Komm mit! Gestern beim Konzert in Köln stand dieser Typ vor mir und wollte mir seine Gedichte zeigen. Ich meinte, er soll heute nach Berlin kommen, dann darf er die Sachen auf der Bühne vortragen.
Doherty, etwa 1,90 groß, trägt einen schicken Anzug und Hut, dazu knallrote Socken und Adiletten, in der Hand einen eleganten Gehstock. Auf dem Weg Richtung Bühne kommt uns seine Frau, die Keyboarderin Katia de Vidas, entgegen. „Willst du so gehen?“, fragt sie. „Ja, und ich werde definitiv diese Schuhe anbehalten“, sagt er. Einige Doherty-Anhänger haben sich schon im Metropol eingefunden. Doherty begrüßt den Kölner Fan vom Vortag, der gleich seinen großen Auftritt haben soll, und geht mit ihm auf die Bühne. Er greift sich das Mikrofon, begrüßt die etwa 40 Leute, die bereits im Saal sind, und kündigt „einen ganz besonderen Act“ an. Der glückliche Fan auf der Bühne zittert, trägt dann aber zwei passable Eigenkompositionen und anschließend sein Gedicht vor. „Not bad“, sagt Doherty zu mir und wirkt glücklich, jemandem einen solchen Moment beschert zu haben. Dann geht es zurück in den Backstage-Bereich, wo Frédéric Lo wartet und auf einem Keyboard eine Melodie spielt. Wir setzen uns und hören zu, als Doherty sich zu mir dreht und fragt:
Lebst du hier in Berlin?
Nein, in München.
Ah, da war ich schon sehr, sehr oft! Als Kind war ich oft in Bayern.
Du hast als Kind eine Zeit in Deutschland gelebt, in Krefeld, richtig?
Ja, aber auch als wir in England gelebt haben, waren wir oft in Bayern. Mein Vater hat Bayern sehr geliebt. Er mochte es, durch die Natur zu wandern und all das.
Auch Doherty junior scheint die Natur gutzutun. Schon als Kind war er es gewohnt, viel zu reisen. Sein Vater war als Offizier des britischen Militärs viel unterwegs, weshalb die Familie zeitweise auch in Belfast und auf Zypern lebte. Seit seinem jüngsten Umzug in das französische Küstenstädtchen Étretat sieht der Musiker zwar fülliger, aber auch gesünder aus. Nach unzähligen Entzugsversuchen ist er nach eigenen Aussagen seit rund zweieinhalb Jahren clean. So lange hielt Doherty es sonst selten aus. Harte Drogen wie Heroin und Crack waren dem Briten nicht fremd. Eine Zeit lang schien es so, als könne man dem Rockstar beim Sterben zusehen, wie es bei Dohertys guter Freundin Amy Winehouse der Fall war.
„Aktuell sind die Drogen für mich wie ein alter Freund, an den du noch denkst, aber du weisst, dass du ihn nicht treffen solltest” – Peter Doherty
Jetzt lebst du in der Normandie auf dem Land. Es wirkt so, als hätten die letzten beiden Jahre einen positiven Effekt auf dich gehabt. Wie hast du dein Leben in den Griff bekommen?
Yeah ... Ich weiß es nicht wirklich. Es hat viele Anläufe gebraucht. Ich nehme kein Heroin mehr. Aber es ist nicht leicht. Die Besessenheit ist noch in mir. Ich habe allerdings keine große Lust, es zu nehmen. Es ist im Moment ein wilder Ritt. Es wird sich zeigen, ob ich in dieser Welt ohne das Zeug existieren kann. Mit Drogen kann man sich seine eigene Realität schaffen, weißt du. Drogen sind eine einfache, kurzfristige Lösung für viele Probleme, aber sie machen langfristig alles nur viel schlimmer. Aktuell sind die Drogen für mich wie ein alter Freund, an den du noch denkst, aber du weißt, dass du ihn nicht treffen solltest, weil er zu viel Ärger und Schmerz bereitet.
Wie wirkt sich die Abstinenz aus?
Gestern habe ich nach dem Konzert mit einer Frau gesprochen, die meinte, sie habe mich schon unzählige Male live gesehen. Sie freute sich darüber, wie klar meine Stimme jetzt klingt. Es ist schön, dass es den Menschen auf fällt, dass es mir besser geht. Aber gerade in Deutschland zu spielen war immer auch ein Abenteuer.
Warum?
In Städten wie Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart gibt es jede Menge Subkultur. Es ist nicht schwer, sich hier zu verlieren. Und gleichzeitig ist die Polizei sehr streng. Gerade Hamburg, wo ich einige Zeit gelebt habe, war ein bisschen wie der Wilde Westen. Dort habe ich sehr viele Drogen genommen. Deutschland ist für mich ein Land, das mich sehr an regt. Ich mag die Geschichte, ich bin regelrecht davon besessen.
Die Platte „The Fantasy Life Of Poetry & Crime“ ist die erste, die du ohne Drogen aufgenommen hast – ziemlich genau 20 Jahre nachdem du mit den Libertines die erste Platte veröffentlicht hast. Das Album „Up the Bracket“ galt damals für viele als Wiedergeburt des Rock ’n’ Roll.
Happy Days waren das! Glaube ich. Ich kann mich nicht mehr gut daran erinnern (lacht). Aber es ist gar nicht so wichtig, ob man clean ist oder nicht. Wichtig ist, dass man sich fokussieren kann. Das fällt mir aber generell schwer, weshalb ich das Aufnehmen im Studio nicht wirklich genießen kann.
Fällt es dir leichter, Songs zu schreiben, wenn du gut drauf bist oder wenn du schlecht drauf bist?
„Ich glaube, ich habe einige wirklich gute Sachen über die Jahre geschrieben. Aber das Ding ist, ich bin nie wirklich fokussiert” – Peter Doherty im Playboy
Seltsame Frage. Ich würde es so sagen: Musik machen, Lieder schreiben kann mich in eine bestimmte Stimmung bringen. Du kannst Songs genießen, die eher traurig sind und die dich trotzdem glücklich machen. Sorry, ich bin gerade etwas müde. Ich war gestern so spät im Bett. Das mit den Drogen bekomme ich hin, aber ich glaube, das ist der nächste Kampf: Ich muss mit dem Alkohol vorsichtig sein, und ich bleibe zu lange wach. Gestern im Tourbus habe ich bis in die Nacht Filme geschaut. Eigentlich schaue ich selten moderne Filme, aber gestern habe ich „Dr. Strange“ gesehen. Kennst du den? Ich war dann in so einer guten Stimmung und habe ein paar Song Ideen auf der Gitarre gespielt.
Ich habe gelesen, dass du statt harter Drogen jetzt gerne französischen Käse isst.
(Doherty klopft sich auf den stattlichen Bauch.) Yeah, was soll man machen?
Du warst früher immer sehr schlank.
Ja, als wir mit den Libertines an gefangen haben, waren wir alle dürre Kerle. Wir wollten so sein, bloß nicht muskulös! Aber Carl (Barât, Mitgründer der Libertines, d. Red.) ist heute sehr sportlich und hat auch die Drogen aufgegeben. Er geht joggen, macht Mixed Martial Arts, er fühlt sich jetzt wie ein Cage Fighter. Glaube mir, lass dich niemals auf einen Kampf mit Carl Barât ein!
Ist es für dich ein Problem, dass du zugenommen hast?
Nein, für mich nicht. Ich fand auch Orson Welles immer cool, als er älter wurde. Er wurde wirklich fett. Aber meine Frau hätte gerne, dass ich fitter werde.
Du bist jetzt 43. Wie denkst du übers Älterwerden?
Das passiert einfach. Ich habe diesen ewig jungen Geist, aber mein Körper altert, das ist ein Naturgesetz. Ich sollte mehr Wasser trinken. Aber ich mache nicht wirklich Sport, ich bin kein Typ fürs Fitness-Studio. Ich gehe sehr viel mit den Hunden spazieren, gehe schwimmen. Neulich habe ich jemanden auf Rollschuhen gesehen in einer Folge von „Columbo“. Da dachte ich, das will ich ausprobieren, und meine Frau hat mir ein Paar fantastische Rollschuhe zum Geburtstag geschenkt. Aber das ist wirklich schwer! Ich weiß, wie man Schlittschuh läuft, ich kann Segway fahren, aber Rollschuhlaufen ist fucking difficult ... Nein, warte! Es war nicht bei „Columbo“, es war bei den „Simpsons“, es war Moe!
Als ich dich zuletzt live sah, warst du mit den Libertines in München. Das war im November 2019, ein richtig wildes Rock-’n’-Roll-Konzert. Du hast deine Gitarre durch die Gegend geworfen, hast beim Crowdsurfing deinen Hut verloren und am Ende des Konzerts deine Hotelzimmernummer im „Bayerischen Hof“ in die Menge gerufen. Wird es wieder so sein, wenn ihr wieder auf Tour geht?
Hab ich das?! Oh nein! Das war, kurz bevor ich clean wurde. Danach wurde ich innerhalb kürzester Zeit zweimal festgenommen. Das hatte kein gutes Ende.
Stimmt es, dass du seit zwei Jahren ohne Smartphone lebst?
Ja, ich habe kein Handy mehr seit ungefähr November 2019.
Wie klappt das?
Fucking great! Meine Frau hat eins. Wenn meine Mum anrufen will oder mein Manager mit mir sprechen will, dann funktioniert das.
Wenn du den jüngeren Peter von vor 15 Jahren mit dir heute vergleichst, was hat sich verändert?
(Denkt lange nach) Das klingt wie eine wichtige Frage, aber ich weiß es nicht. Ich habe kürzlich alte Texte von mir gelesen, die ich nie aufgenommen habe. Die hatte ich irgendwann mitten in der Nacht geschrieben. Ich habe das lange nicht gelesen, aber es hat mich beeindruckt. Ich glaube, ich habe einige wirklich gute Sachen über die Jahre geschrieben. Aber das Ding ist, ich bin nie wirklich fokussiert. Ich konnte mich nicht wirklich disziplinieren, das hat sich bis heute nicht geändert. Ich kann einen Song schreiben, ich kann ihn aufnehmen, verkaufen und auf Tour gehen. Aber ich suche noch immer nach der künstlerischen Erfüllung, dem perfekten Song, der perfekten Melodie.
Gibt es etwas von dir, was der Perfektion nahekommt?
„Ballad Of“ vom neuen Album. Aber ich habe nur den Text geschrieben, die Melodie ist von Fred.
In der Öffentlichkeit schien es immer zwei Dohertys zu geben: den sensiblen Künstler, der von Fans und Kritikern geliebt wird, und einen für die Schlagzeilen.
Der zweite existiert nicht mehr, er ist gegangen, „dust in the wind“.
In Kürze veröffentlichst du ein Buch über dein Leben.
Ja, ich habe dafür ungefähr 60 oder sogar 90 Stunden mit dem Autor Simon Spence gesprochen.
Was hattest du über die Zeit zu sagen, als du fast täglich in den Schlagzeilen warst?
Ich denke darüber eigentlich nicht nach. Es war eine seltsame Zeit für mich, ich hatte keine Kontrolle darüber, was berichtet wurde. Es ist eine komische Sache, berühmt zu sein. Ich habe viel Respekt von Leuten bekommen, die meine Musik mochten. Und dann war da ein anderes Publikum, dem meine Musik egal war. Ich war für diese Leute nur eine Figur in den Zeitungen. Es ist heute ganz anders. Wenn wir damals schon Twitter, Instagram und Sachen wie TikTok gehabt hätten, wäre es anders gewesen. Ich hätte der Welt zeigen können, dass nicht alles wahr ist, was geschrieben wurde. Heute hat man viel mehr Macht über das eigene Image. (Doherty steht auf, geht durch den Raum und singt die Melodie eines unveröffentlichten Songs, den Frédéric Lo vorher im Hintergrund auf dem Keyboard gespielt hat.) Das ist wirklich in meinem Kopf hängen geblieben! So ist Fred! Ich glaube, das könnte ein neuer Song von uns werden.
Glaubt ihr, dass ihr ein zweites Album zusammen aufnehmen werdet?
LO: Ja, das könnte passieren. Mich würde es freuen!
DOHERTY: Well ... Ich weiß, dass es mit uns funktioniert. Damit wir ein weiteres Album machen, müssten wir aber zwölf weitere brillante Songs aufnehmen. Wenn wir das schaffen, klar, warum nicht?
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