Mi., 06.11.2019
Interviews

„Feministinnen, die mir sagen, dass ich mich zum Objekt mache, sind keine“

Eine Männerfantasie und gleichzeitig Feministin sein? Für Porno-Darstellerin und Frauenrechtlerin Lina Bembe ist das kein Widerspruch. Im Gegenteil. Weil sie mit ihren Filmen die eigene Freiheit zelebriert – auch die Freiheit, sich zu unterwerfen.

Fotos: Dánae Cuesta

Playboy: Frau Bembe, sind Sie Feministin?

Lina Bembe: Ja.

Woran machen Sie das fest?

Für mich hat Feminismus mit Freiheit zu tun: der Freiheit, selbst über meinen Körper zu entscheiden. Es geht aber auch um Solidarität mit Frauen: darum, sich gegenseitig zu unterstützen, egal, welchen Hintergrund man hat oder welchem Beruf man nachgeht. Es gibt Feministinnen, die sagen, Porno und Feminismus schlössen einander aus. Wenn Frauen andere Frauen diskriminieren, kritisieren und ihnen vorschreiben wollen, was sie mit ihrem Körper tun dürfen, hat das nichts mit Feminismus zu tun. Feministinnen, die mir sagen, dass ich mich zum Objekt mache, sind keine. Sie sind wie der Vater, der verbietet, wie der Priester, der verbietet: wie das Patriarchat. Feminismus bedeutet auch körperliche Freiheit. Und wenn man sich dafür entscheidet, Pornos zu drehen, ist das ein Manifest: Ich habe die Kraft, selbst für mich zu entscheiden und das zu zelebrieren. Das kann ich mit Mainstream-Pornos genauso wie mit feministischen.

Sie drehen auch Mainstream-Pornos?

Ja, klar.

Was ist der Unterschied zwischen den beiden?

Das ist nicht ganz einfach. Grob gesagt, setzt sich feministischer Porno dafür ein, die weibliche Lust ins Zentrum zu rücken. Und oft beansprucht er für sich, fair und ethisch korrekt zu sein. So einfach ist das aber nicht.

Sie meinen, feministische Porno-Produktionen laufen nicht immer unter ethisch korrekten Bedingungen ab?

Genau. Man kann nicht pauschal Mainstream als böse und feministischen Porno als gut beurteilen. Sie müssen sich das so wie bei Starbucks oder H&M vorstellen. Nur weil die sagen, wir haben jetzt fairen Kaffee oder Bio-Baumwolle, sind sie nicht gleich ethisch korrekt. Und wenn jemand sagt, er macht feministische Filme, und dann seine Darsteller schlecht behandelt, frage ich mich, was daran gut sein soll.

Credit: Danae Cuesta

Schlecht behandeln heißt zum Beispiel: zu Dingen vor der Kamera nötigen, die eine Darstellerin nicht tun möchte?

Ja, unter anderem. Auch im feministischen Porno stimmen nicht immer alle mit ihren Werten und ihren Vorstellungen über die gedrehten Szenen überein. Wie kann man als Zuschauer dann wissen, dass man fair produzierte, im besten Sinne zwang-lose Filme schaut? Man muss recherchieren, wie transparent die Produktionsfirmen sind. Wie sie Darsteller und Angestellte behandeln und bezahlen. Und wenn man Darsteller hat, die man gut findet, sollte man ihnen folgen. Das ist ja heute dank Social Media kein Problem mehr. Da erfährt man viel darüber, welche Filme unter guten Bedingungen entstanden sind.

Können Sie von den Darsteller-Gagen gut leben?

Nein. Das Porno-Business ist wie das Model-Business. Es ist hart umkämpft, und nach zwei Jahren ist man als Darstellerin meist nicht mehr so gefragt.

Wie lange drehen Sie schon?

Ich habe vor drei Jahren angefangen. Damals war ich beim Pornfilmfestival in Berlin und dachte: Das will ich auch! Ich habe mich mit Produzenten zum Kaffee getroffen, bin meiner Intuition gefolgt und – schwuppdiwupp – hatte ich meinen ersten Film abgedreht.

Sie haben gar nicht viel darüber nachgedacht?

Nein. Ich hatte schon viele Filme gesehen und wusste, was ich mag und was ich nicht mag.

Was mögen Sie? Wollen Sie uns Ihre Vorlieben verraten?

Das hängt stark von meinem Sexpartner ab. Ich stehe beispielsweise – neben vielen anderen Dingen – total auf Schmerzen beim Sex. Darauf, geschlagen oder gewürgt zu werden. Ich benutze gerne Strapons und Dildos.

Wie bitte – geschlagen?! Ist das immer noch feministisch?

Ja, total! Ich entscheide ja selbst, was ich will und was nicht. Es ist meine Entscheidung, und ich tue es nur mit Menschen, denen ich sehr vertraue, die darin erfahren sind und wissen, wie man es gefahrlos macht. Ich habe die Kontrolle.

Können Sie in den Pornos Ihre Fantasien ausleben?

Das kommt ganz drauf an. Ich habe einen Film gemacht, in dem mich die anderen beiden Frauen erniedrigen. Das alles war abgesprochen. Ich habe ihnen vorher von meinen Wünschen erzählt. Aber man muss auch sagen, dass es am Ende des Tages ein Job ist. Und da mache ich auch Dinge, auf die ich jetzt privat nicht stehe, die aber für mich in Ordnung sind.

Gibt es Dinge, die Sie niemals machen würden? Ja. Das sind Dinge, die ich noch nie vorher gemacht habe und für die mein Körper wahrscheinlich auch nicht gemacht ist. Oder für die ich nicht die Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringe.

Was zum Beispiel? Wenn mich jetzt morgen jemand anruft und fragt, ob ich eine Double Penetration machen will, müsste ich absagen. Das ist eine Form von Hardcore, für die ich nicht genug Erfahrungen habe, um sie gefahrlos umzusetzen.

Haben Sie jemals überlegt auszusteigen?

Nein. Nie. Ich liebe diesen Job und will immer irgendwas mit Sex und Sexualität machen.

Haben Sie noch andere Jobs?

Ich habe internationale Beziehungen studiert, hab den Master gemacht. Aber das hat mich nicht erfüllt. Heute haben alle meine Jobs mit Sex und Sexualität zu tun. Ich bin keine Sexologin, aber ich habe mittlerweile eine Riesenexpertise. Die setzte ich zum Beispiel beim Projekt „Sex School“ ein.

Was hat es damit auf sich?

Dort drehe ich erotische Filme, die aufklären, und manage die Kommunikation. Ich mache aber auch noch andere Dinge. Ich schreibe zum Beispiel für die Berliner Startup-App Clue. Das ist eine App für die Periode. Und gerade arbeite ich an meiner ersten eigenen Produktion. Es ist ein Kurzfilm, der „Ritual Waves“ heißt. Schauen Sie. (Lina Bembe zeigt den Film auf ihrem Smartphone. Sehr kunstvoll: überall Wasser, Tücher, stockender Atem. Sie masturbiert heftig.) Gerade sammle ich Gelder. Es ist schwer, Investoren zu finden. Es ist ja kein traditioneller Film.

Wieso haben Sie ihn gemacht?

Man muss schauen, dass man nicht nur als Darstellerin arbeitet. Davon kann man, wie gesagt, nicht leben. Ab einem gewissen Punkt muss man selbst produzieren. Ich möchte unabhängiger werden, mehr Kontrolle haben und selbst kreativ sein.

Wenn Sie auf einer Weltkonferenz zu allen Männern sprechen könnten, was würden Sie ihnen sagen?

Zuallererst: Wenn du als Mann Feminist sein willst, dann fang an zuzuhören. Fang an zu unterstützen. Sei da, ohne dass sich alles nur um dich dreht.

Denken Sie, Feminist zu sein ist in Mode?

Genau das ist ein Problem. Ich finde es selbst schwer, sich einfach nur als Feministin zu bezeichnen. Man muss dazulernen, anderen helfen, sich selbst verbessern. Es gibt kein „Feminist“-Etikett und fertig. Das gilt für uns alle: Wir müssen uns weiter aufklären. Wir müssen umdenken, uns von veralteten Klischees lösen, die tief in uns verwurzelt sind. Zum Beispiel dass wir Heterosexualität als Norm sehen.

Wir wissen nicht genug über Sex?

Nein, denn alles, was wir wissen, basiert auf diesen heterozentrischen, patriarchalischen, sexistischen Klischees. Wir müssen uns sexuell weiterbilden. Männer sollten das nicht nur für ihre Freundin tun, sondern für sich selbst. Damit sie ihre Männlichkeit besser verstehen lernen.

Was meinen Sie damit, was ist das Problem?

Ich sehe kein Problem mit der Männlichkeit als solcher. Ich sehe in Problem in den alten Rollenbildern und den Ressentiments gegenüber Männern, die vielleicht ihre weibliche Seite leben, oder gegenüber Frauen, die ihre männliche Seite leben, die sich sexuell verwirklichen. Das ist kein männliches Vorrecht. Der vermeintliche Verlust dieser alten Männlichkeit kann sogar Aggressionen auslösen, übertriebenen Sexismus. Ich denke, Männer müssen ihre Männlichkeit neu definieren.

Haben Sie einen Vorschlag, wie das gehen soll?

Offen sein, zuhören, nicht ängstlich oder aggressiv reagieren. Auch fragen: Was ist eigentlich gut für mich? Männer sollten sich ihre weiche Seite eingestehen – und dass sie nicht auf alles eine Antwort haben. Warum ist das so wichtig? Aggressionen jeder Art, auch die Neigung zu Selbstmorden, sind bei Männern ausgeprägter als bei Frauen. Und das liegt unter anderem daran, dass sich viele Männer in unserer Gesellschaft noch immer keine Probleme eingestehen können. Aber: Männer sind verwundbar! Und es ist keine Schande, nach Hilfe zu fragen oder sich um seine psychische Gesundheit zu kümmern.

Gehört das zum Wertvollsten, das Sie im Porno-Geschäft gelernt haben?

Ja, ich habe sehr viel über Vorurteile und Rollenklischees gelernt. Das Wertvollste war aber, Kontrolle über meinen Körper und meine Bedürfnisse zu erlangen. Und meine Bedürfnisse zu kommunizieren. Sex-Kommunikation ist immens wichtig.

Wie begegnen Sie Vorurteilen?

Ich fühle mich wie eine Anwältin. Ich kläre auf. Den einen oder anderen muss ich auch in die Schranken weisen. Grundsätzlich aber schämen wir alle uns viel zu sehr. Das muss aufhören.

Was meinen Sie damit?

Wir haben keine ehrlichen Gespräche über Sex. Viele Menschen verstecken ihre Sexualität. Und das beeinflusst jeden – besonders die, die mit Sex Geld verdienen. Es gibt eine Zensur in der Gesellschaft.

Die zeigt sich zum Beispiel in den sozialen Medien, richtig?

Ja, Instagram etwa ist total scheinheilig. Egal, ob man alles verdeckt, sie sperren einen immer wieder. Facebook ist noch krasser, da darf man noch nicht einmal das Wort Sex verwenden. Man fühlt sich wie auf einem Abstellgleis. Es gibt keinen Platz für uns Sex-Arbeiter, an dem wir uns richtig zeigen und präsentieren können.

Was ist mit Pornhub & Co.?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Plattformen wie Pornhub können ein großartiges Sprungbrett für neue Talente und Independent-Produzenten sein. Auf der anderen Seite kann man nicht nachvollziehen, woher die Filme kommen. Man weiß nicht einmal, ob die Darsteller schon volljährig sind. Und vor allem aber: Die Inhalte sind in den allermeisten Fällen geklaut.

Was bedeutet das für Sie als Porno-Profi?

Wenn für Pornos nicht bezahlt wird, bedeutet das, dass wir nicht mehr produzieren können. Wir haben keine Sponsoren. Es gibt keinen anderen Weg für uns, Geld zu verdienen. Also: Bezahlt für eure Pornos, Leute! Ihr bezahlt auch für Netflix, Spotify und Amazon.

Es gibt kritische Stimmen, die meinen, dass Pornos eine falsche Vorstellung von Sex vermitteln.

Es ist Quatsch, dass man alles nachmacht, was man sieht. Wenn ich einen „Superman“-Film sehe, denke ich ja auch nicht hinterher, dass ich fliegen kann. Außerdem spiegelt die Art von Porno, die wir gern sehen, auch immer uns selbst wider. Alle Filme haben das Recht, unsere Fantasien zu sein – solange man weiß, dass sie ethisch einwandfrei produziert werden. Wenn wir bessere Porno-Fantasien wollen, muss sich unsere Gesellschaft verändern und mehr Vielfalt in der Industrie zulassen.

Titelbild: Danae_Cuesta