Auch nach dem letzten Matchball der Saison ist der Terminkalender von Alexander Zverev, 26, noch immer gut gefüllt: Am Wochenende ist er von den ATP Finals aus Turin angereist, am Montagabend steigt im Allgäuer Hotel „Tannenhof“ die Gala seiner Diabetes-Stiftung, und am Dienstag geht es mit Freundin Sophia Thomalla in den Urlaub auf die Malediven. Zeit für ein Interview nimmt er sich dennoch – klammert ein Thema dabei allerdings ausdrücklich aus: Zum drohenden Prozess um die Körperverletzungs-Vorwürfe der Mutter seiner Tochter dürfen wir weder Antworten erwarten noch Fragen stellen. Zum Glück gibt es auch abseits dieses Themas viel mit ihm zu besprechen.
Herr Zverev, das Comeback-Jahr nach siebenfachem Bänderriss liegt hinter Ihnen. Sie haben sich in der Weltrangliste von Platz 27 auf 7 hochgearbeitet, qualifizierten sich für die ATP-Finals, den großen Saisonabschluss der besten Spieler. Wie zufrieden sind Sie mit sich?
Wer mir vor einem Jahr gesagt hätte: „Du bist bei den ATP-Finals dabei“, dem hätte ich den Vogel gezeigt. Im Großen und Ganzen war es für das erste Jahr nach der Verletzung schon positiv. Ein Jahr, mit dem man zufrieden sein kann. Allerdings finde ich, dass 2024 der interessantere Schritt kommen könnte.
Sie sind jetzt 26 – wie und wohin entwickeln Sie sich noch?
Ich glaube, bei mir haben sich im vergangenen Jahr ein paar Dinge verbessert. Ganz konkret: mein zweiter Aufschlag zum Beispiel.
Der war lange ein Problem trotz Ihrer Größe.
Ja. Das ging 2019 los. Irgendwann hatte ich pro Spiel 20 Doppelfehler. Zwei Jahre lang wusste ich gar nicht, wie man aufschlägt. Allein beim US-Open-Finale! Mit dem Aufschlag von heute hätte ich das nicht verloren. Aus solchen Fehlern muss man lernen. Wenn man das nicht tut, ist man ein Idiot. Und ich hoffe immer noch, dass ich keiner bin.
Das US-Open-Finale 2020: eine der zwei großen Niederlagen in Ihrer Karriere. Sie liegen gegen Dominic Thiem 2 : 0 nach Sätzen vorn, schlagen zum Titelgewinn auf – und verlieren im fünften Satz 6 : 8 im Tiebreak. Wie lange hing Ihnen diese Enttäuschung nach?
Die US Open hingen mir gar nicht so sehr nach wie das French-Open-Halbfinale gegen Nadal …
… die zweite große Niederlage. Sie spielten fulminant, knickten um, rissen sich die Bänder und mussten aufgeben.
Ja. Der Unterschied ist: Gegen Nadal bei den French Open hatte ich wirklich das Gefühl, ich bin bereit vom Kopf her, von meiner Spielweise und auch als Mensch. Ich bin erwachsen genug, reif für die Weltspitze. Bei den US Open zwei Jahre zuvor hatte ich dieses Gefühl nicht. Das war ein komisches Turnier: erst mal Quarantäne, dann spiele ich lange nicht gut – und stehe dennoch plötzlich im Finale, liege 2 : 0-Sätze vorne und bin zwei Punkte vom Grand-Slam-Sieg entfernt. Ich hatte das Gefühl, noch nicht mal 30 Prozent von dem Tennis zu spielen, das ich spielen kann. Ich habe einfach nicht gut genug gespielt, um ein Grand-Slam-Champion zu sein.
Wie geht man nach einem solchen Desaster nach Hause?
Heulend. Völlig am Ende. Gab es jemals ein knapperes Grand-Slam-Finale?
Wie kommt man da wieder raus? Hilft Ihnen ein Mentaltrainer?
Ich bin jemand, der bei sich bleibt. Ich weiß, dass viele Sportler mit Psychologen arbeiten, aber ich glaube, dass man selbst in so einer Situation gewesen sein muss, um wirklich zu wissen, was da in einem Sportler vorgeht. Jeder Mensch ist da anders, aber ich glaube: Man muss das selbst mit sich klären, selbst aus diesen Situationen lernen.
Wie zufrieden sind Sie gerade ganz grundsätzlich mit Ihrem Leben?
Ich kann mich nicht beschweren. Ich lebe das, was ich immer machen wollte. Habe ich Fehler gemacht? Natürlich. Jeder, der jung ist, macht Fehler. Ich habe Riesen-fehler gemacht und daraus gelernt. Aber: Ich wollte mein ganzes Leben lang Tennisprofi werden, wollte in den größten Stadien der Welt spielen, und das tue ich nun. Natürlich möchte ich die Nummer eins der Welt sein und zehn Grand-Slam-Titel gewinnen. Dennoch glaube ich, dass alles relativ gut läuft.
Haben Sie eine Strategie, mit der Sie sich von außersportlichen Belastungen befreien? Man sagt, ohne klaren Kopf gehe nichts im Tennis.
Das Problem ist eher, dass es kaum Pausen für den Körper gibt. Unser Jahr ist so lang wie in keinem anderen Profi-Sport. Wir spielen durchgehend von Anfang Januar bis Mitte November, haben gar keine Off-Season, keine Zeit, uns physisch vorzubereiten. Während der Saison eine Trainingsphase finden? Schwierig. Da gehen wir als ATP-Tour in die falsche Richtung. Ich bin seit zehn Jahren auf der Tour, und seitdem heißt es immer: Wie können wir die Saison kürzen? Jetzt spielen wir mit dem Davis Cup sogar bis Dezember. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist.
Wie viele Tage im Jahr haben Sie keinen Schläger in der Hand?
Vergangenes Jahr habe ich mal gezählt: Bis zum letzten Turnier, den ATP Finals Mitte November, waren es zwölf Tage. Aber das war ein Comeback-Jahr, in dem ich wohl so viele Turniere gespielt habe wie sonst niemand. Ich wollte unbedingt wieder dahin, wo ich hingehöre: in die Top Ten.
Bleibt bei Ihrem Nomadenleben Zeit für Freundschaften außerhalb des Tennisplatzes?
In Monte-Carlo habe ich viele Freunde, da gibt es eine gute deutsche Gruppe. Wenn wir da sind, unternehmen wir eigentlich immer was. Es ist nicht so, dass ich gar keine Freunde habe. Ich bin auch ein relativ sozialer Typ.
Im vergangenen Jahr haben Sie die Alexander Zverev Foundation gegründet und sammeln Spenden zugunsten an Diabetes erkrankter Kinder. Sie waren dreieinhalb Jahre alt, als bei Ihnen Diabetes Typ 1 festgestellt wurde. Wann haben Sie sich zum ersten Mal selbst gespritzt?
Ab der Schulzeit, weil man da ja länger ohne die Eltern ist. Die Lehrer wussten von meiner Krankheit und haben immer mit kontrolliert. Aber mit dieser Krankheit musste ich schon schneller erwachsen werden und Disziplin lernen.
Sie haben mal erzählt, dass Sie vor ersten Dates immer auf die Toilette gegangen sind, um sich zu spritzen. Wie sehr hat die Krankheit Sie als Heranwachsender beschäftigt?
Was mich total genervt hat, waren all die Ärzte, die gesagt haben: Mit Diabetes kann man keinen Leistungssport betreiben! Erst recht nicht in einer physisch so schweren Sportart wie Tennis. Da hast du keine Chance! Das hat mich gestört, ich wollte immer das Gegenteil beweisen. Aus diesem Grund ist auch meine Stiftung entstanden: um Kindern und Eltern Mut zu machen, dass das wirklich geht mit dem Leistungssport. Dass man keine Träume aufgeben sollte, nur weil es heißt, mit Diabetes gehe das nicht. Außerdem geht es mir darum, die Verfügbarkeit von Insulin und Teststreifen zu verbessern. Diabetes ist auch ein Business, und das macht mich wütend. Nicht jeder lebt in Deutschland, wo es genügend Insulin gibt und man sich keine Sorgen machen muss. Anders ist die Situation in Entwicklungsländern, wo viele ums Überleben kämpfen müssen. Das möchte ich verhindern.
Alexander Zverev im Playboy-Interview: „Tennis hat mir das Leben gegeben, das ich jetzt habe“
Sie sind in einer Tennisfamilie aufgewachsen: Vater Alexander, Mutter Irina und Bruder Mischa waren alle Profis. Wann war bei Ihnen der Wille, die Nummer eins zu werden, mehr als ein naiver Kindertraum?
Eigentlich schon immer. Ich wollte immer besser als mein Bruder werden. Tennis kam immer an Nummer eins, Fußball und Hockey dahinter. Meine Eltern wollten eher, dass ich eine andere Sportart mache. Die hatten keine Lust mehr auf das Tennisleben, ständig herumzureisen, um überall dabei zu sein. Die wollten ein etwas ruhigeres Leben.
Hat nicht geklappt.
Nee, weil ich auch sehr stur bin. Wenn mir jemand sagt: „Das schaffst du nicht!“, dann muss ich das Gegenteil beweisen. Ich bin froh, dass ich stur geblieben bin. Tennis hat mir das Leben gegeben, das ich jetzt habe.
Sie waren schon sehr früh sehr gut. Die Experten sagten: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er die Nummer eins ist. Bei den US Open 2020 und den French Open 2022 waren Sie verdammt nahe dran. Aber danach rückte das große Ziel immer weiter weg. Wie sind Sie mit dem geplatzten Traum umgegangen?
Das ist Teil des Lebens. Jeder erlebt Rückschläge, egal, in welchem Job. Ich hätte 2022 innerhalb von drei Monaten nur ein Match gewinnen müssen, um die Nummer eins zu werden. Doch dann kam die Verletzung, und ich hatte gar nicht die Möglichkeit, dieses eine Match zu gewinnen. Es lag einfach nicht mehr in meiner Hand. Und die Verletzung ist ja nicht bei einem dummen Unfall oder beim Snowboarden passiert, sondern im Halbfinale der French Open gegen Rafael Nadal …
… im womöglich besten Spiel Ihrer Karriere.
Wenn ich gewonnen hätte, wäre es das wohl gewesen. Aber es ist, wie es ist. Ich bin jetzt wieder zurück in den Top Ten, die Nummer sieben der Welt – was spricht dagegen, dass ich dieses Jahr oder irgendwann doch noch die Nummer eins werde?
Die Konkurrenz vielleicht? In Ihrer Verletzungspause sind jüngere Spieler wie Carlos Alcaraz und Jannik Sinner an Ihnen vorbeigerauscht und haben sich ganz vorne neben Novak Djokovic festgesetzt. Damit muss man ja auch erst mal umgehen!
Ich habe damit kein Problem. Das war eine Zeit, in der es viele Chancen gab. Ende 2021 hat sich die Tennis-Welt verschoben: Djokovic, Medwedew und ich haben dominiert, haben die großen Turniere gewonnen, ich Olympia und die ATP-Finals. 2022 verletzt sich Medwedew am Rücken und muss operiert werden, Djokovic darf einige Grand Slams wegen der fehlenden Corona-Impfung nicht spielen, und ich verletzte mich am Fuß. Wenn die drei besten Spieler nicht da sind, ist das eine Chance für viele andere, und da haben sich viele junge durchgesetzt. Alcaraz hat als 19-Jähriger die US Open gewonnen – das gab es auch schon lange nicht mehr. Und ich konnte nur Zuschauer sein.
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