Als Land Rover im Januar 2016 den Bau des beliebten Defenders einstellte, war der Schock unter Off-Road-Fans groß. Bis auf den Klassiker gab es in diesem Bereich keinen Geländewagen mehr, der wirklich für Fahrten abseits befestigter Straßen geeignet war. Bei einer Person saß die Enttäuschung besonders tief: Jim Ratcliffe – seines Zeichens britischer Multimilliardär, Eigentümer des Chemiekonzerns Ineos und Defender-Ultra. Er wollte das Aus seines Lieblingsautos zunächst nicht akzeptieren und Land Rover die Rechte abkaufen. Als der britische Autohersteller dies ablehnte, beschloss Ratcliffe Gerüchten zufolge beim Feierabendbier in einem Londoner Pub kurzum, selbst einen Geländewagen zu bauen. Der Name der Bar: Grenadier.
Ratcliffe gründete daraufhin Ineos Automotive und tat sich mit Magna in Graz zusammen, dem führenden Entwickler von Geländewagen, um mit dem Ineos Grenadier den ultimativen Off-Roader zu kreieren. Fünf Jahre später dürfen wir den Protoypen in einer Kiesgrube im Nordosten von München Probe fahren – als Beifahrer. Doch das mindert den Spaß und die Begeisterung keineswegs. Denn schon nach wenigen Minuten Fahrt wird klar: Der Ineos Grenadier kann und hat alles, was ein Geländewagen können und haben muss – als hätten die Hersteller eine Checkliste für den perfekten Off-Roader abgearbeitet.
Die Testfahrt: Darum ist der Ineos Grenadier der perfekte Geländewagen
Die Testfahrt mit der Diesel-Variante (249 PS) beginnt mit einem kurzen Sprint über eine hügelige Schotterpiste. Bei der Beschleunigung merkt man dank eines Drehmoments von 550 Nm des Dreiliter-Sechszylinder-BMW-Motors und der ZF-Achtgangautomatik keinerlei Ruckler beim Schalten. Das Fahrwerk gleicht jede Unebenheit des Bodens spielerisch aus, den Rest schluckt der Sitz.
Richtig abenteuerlich wird die Strecke über die schlammige Hügellandschaft in der Kiesgrube. Der Grenadier bohrt sich mit seinem permanenten Allradantrieb souverän die steilen Hügel nach oben und bahnt sich mühelos seinen Weg durch eine morastige Wiese, in der das Gras mannshoch steht. Dabei sind die Vorder- und Hinterachssperre noch nicht einmal aktiviert.
Plötzlich geht es einen steilen Abhang hinunter. Wir Insassen hängen in den Sitzen wie in der ersten Reihe einer Achterbahn, kurz bevor sie in die Tiefe stürzt. Als wir uns wieder der Horizontalen nähern, wartet man nur darauf, dass der Grenadier vorne aufsetzt. Doch das bleibt aus – dafür ist der Überhangwinkel des 2,7 Tonnen schweren Geländewagens zu hoch. Mindestens genauso beeindruckend ist der Neigungswinkel, der anschließend an einer steilen Schräge getestet wird. Spätestens hier wird einem klar: So weit wäre die G-Klasse von Mercedes niemals gekommen.
Zurück zum Ausgangspunkt der kurzen Rundfahrt legt der Fahrer erneut einen seidenweichen Spurt über eine hügelige Kiesfläche hin, als wäre sie eine Teerstraße. Während links uns rechts Matsch und Wasser meterhoch und -weit spritzt, spürt man im Inneren des Grenadier nichts von dem unebenen Boden.
Das Design des Ineos Grenadier: Damit bestechen Aussehen und Cockpit
Die Robustheit, mit der der Grenadier bei der Testfahrt überzeugt, wird sich sich auch in seinem Design widerspiegeln. Im ersten Moment eifert er mit seinem Aussehen definitiv dem Land Rover Defender nach. Speziell mit seiner beeindruckenden Länge von knapp fünf Metern und den hohen Aufbau mit großen Fenster erinnert der Grenadier stark an Defender-Modelle wie den 110 Station Wagon. Auf der hinteren Dachkante fallen die Utility Rails auf – hat man bei anderen Geländewägen schon lange nicht mehr gesehen.
Das Cockpit ähnelt auf den ersten Blick einer Pilotenkanzel in einem Flugzeug. Auf der Mittelkonsole befindet sich neben dem Wählhebel der Schaltknüppel für den Allradantrieb. Der große Touchscreen ist eines der wenigen elektronischen Elemente im Innenraum. Auf der Schalttafel im Dachhimmel lassen sich verschiedene Geländefunktionen bequem aktivieren, beispielsweise für Fahrten durch Wasser.
Grundsätzlich wurde beim Innenraum darauf geachtet, alles so robust und geländetauglich wie möglich zu gestalten. So sind die Sitzbezüge schmutzabweisend und die Bodenbeläge pflegeleicht. Wer will, wird den Grenadier aber auch mit Ledersitzen und anderem Schnickschnack ausrüsten können. Der kantige Laderaum ist groß genug, damit eine Palette Platz hat. Auch hier ist der Bodenbelag sehr robust, mittig befindet sich eine Airline-Schiene für Zurrhaken. Die Heckklappe ist zweigeteilt.
Ineos Grenadier: Modelle, Preis und Produktionsstart
Neben der Nutzfahrzeugvariante (N1), die wir getestet haben, wird es auch eine PKW-Version (P1) geben. Unter der Haube ist immer ein Dreiliter-Sechszylinder-Motor von BMW mit einer ZF-Achtstufenautomatik verbaut – egal ob man sich für den Diesel oder den Benziner mit 285 PS und 450 Nm entscheidet. Neben der Basisversion außerdem geplant: Ein extralanger Siebensitzer sowie ein Pick-Up. Einen Zweitürer wird es nach dem jetzigen Stand wohl nicht geben.
Um den Defender-Klon auf und neben die Straßen zu bringen, kaufte Ineos Automotive das Smart-Werk im französischen Hambach von Daimler auf. Dort soll der Ineos Grenadier ab Sommer 2022 hergestellt werden – und dann für schätzungsweise 50.000 bis 60.000 Euro zu kaufen sein. Ein genauer Preis ist noch nicht bekannt – im Vergleich zur G-Klasse wäre das aber ein Schnäppchen.
Alle Artikel