Generationen-Duell

70 Jahre und 370 PS trennen den ersten und den neusten SL
Credit: Mercedes Benz

Mit dem 585 PS starken Mercedes-AMG SL 63 geht die SL-Baureihe jetzt in die achte Generation. Bei einer Testfahrt in Kalifornien ließen wir den Jungspund zum Vergleich mit seinem legendären Urahn, dem 300 SL Roadster, antreten. 

Der SL ist so etwas wie die Quintessenz von Mercedes. Ähnlich wie ein 911er bei Porsche zeigt dieses ikonische Fahrzeug seit nunmehr 70 Jahren, wofür die Marke mit dem Stern heute steht. Nun kommt die mittlerweile achte Generation der SL­Klasse auf die Stra­ße, und wir hatten rund um Los Angeles die Möglichkeit, neben der neuesten auch die historische erste Version auszufahren. So viel sei vorweg verraten: Beide Autos haben ihren ganz besonderen Charme.

Der Mercedes-AMG SL 63: Der Newcomer in der SL-Familie

Genau genommen handelt es sich beim neues­ten Sprössling der SL-Familie nicht mehr um einen Mercedes­-Benz, sondern um einen Mercedes­-AMG. Denn zum ersten Mal in der Geschichte des SL wur­de der Wagen komplett in Affalterbach entwickelt und gebaut. Wobei die günstigste Variante, der SL 43, immer noch von einem 381 PS starken Vierzy­linder angetrieben wird, während unter der Haube der beiden Top-­Modelle SL 55 und SL 63 das Herz eines klassischen V8-­Motors schlägt. Gerüchte sagen, später soll sogar noch ein über 800 PS starker Plug-­in­-Hybrid auf Basis des GT 63 S E Performance folgen. 

S-Klasse-ähnliche Rückleuchten und ausfahrbarer Spoiler: Die Heckpartie des neuen SL konkurriert mit der Skyline von Downtown L.A.
Credit: Mercedes-Benz AG

Für unsere Ausfahrt vom südlich gelegenen New­port Beach durch Los Angeles bis nach Malibu steht uns der SL 63 zur Verfügung. Eine Leistung von 585 PS sollte für die kalifornischen Straßen, auf denen das Tempolimit bei 70 mph – also circa 113 km/h – liegt, mehr als ausreichend sein. Die Höchstge­schwindigkeit von 315 km/h werden wir hier zwar nicht ausfahren können, aber entscheidend für US­ Straßen ist auch vielmehr die Beschleunigung auf 100 km/h in nur 3,6 Sekunden.

Mercedes-AMG SL 63 4-Matic

Geschwindigkeit: 315 km/h
Leistung: 585 PS
0-100 km/h: 3,6 Sekunden
Drehmoment: 800 nm
Hubraum: 3983 ccm
Gewicht (EU): 1970 kg
Preis: 187.089 Euro

Abgesehen von der langen Motorhaube, ähnelt der SL von außen seinem Vorgängermodell kaum. So­ wohl der Grill vorne als auch die hintere Partie mit dem großen Heckdiffusor und den vier trapezförmi­gen Endrohren erinnern mehr an einen Mercedes­ AMG GT. Im Unterschied zu den zwei Vorgänger­modellen gibt es wieder ein klassisches Stoffverdeck, das sich bis Tempo 60 innerhalb von 15 Sekunden öffnen oder schließen lässt. Und schon beim Drü­cken des Startknopfs erhöht das laute Blubbern der 4-­Liter­-Biturbo-­Maschine den Herzschlag jedes Auto­-Fans. Wer mehr Aufregung braucht, der kann per Knopfdruck das Geräusch durchs Öffnen der Auspuffklappen verstärken. Ein kurzer Druck aufs Gas­pedal – und die schiere Kraft der 800 Newtonmeter presst den Piloten in die Schalensitze aus Carbon-Intarsien und Alcantara-Bezügen.

„Really nice Mercedes, man, I like“

Ich bin gerade mal ein paar Meter gefahren, schon will mich ein roter Camaro SS an der nächsten Ampel mit lautem Aufheulen des Motors zum Duell herausfordern. Denke ich zumindest. Doch dann fährt er unerwartet die Scheibe nach unten und sagt so etwas wie „Really nice Mercedes, man, I like“, gibt mir einen Daumen nach oben und biegt in aller Ruhe rechts ab. Die Zeiten von Ampelduellen gehören anscheinend auch in den USA der Vergangenheit an.

Egal. Der neue Mercedes kann ohnehin besser um die Ecken als geradeaus. Auf einer kleinen Serpentinenstraße entlang der Hollywood Hills kann ich mich von seiner Querdynamik überzeugen. Ein speziell für den SL entwickeltes Active-Ride-Control-Fahrwerk mit aktiver Wankstabilisierung sorgt mit einer Hydraulik dafür, dass jedes Dämpfersystem der Alu-Federn einzeln angesteuert wird. Im Bruchteil einer Sekunde passt sich so das Fahrwerk den Gegebenheiten der Straße an – und lässt den Fahrer im „Comfort“- Modus gemütlich cruisen oder im „Sport“- oder „Sport+“-Modus wie in einem reinrassigen Rennwagen am Asphalt kratzen. Verstärkt wird dieser Effekt außerdem noch durch die aktive Hinterachslenkung, ebenfalls ein SL-Novum.

Und nun zu der Legende unter den Autos: dem  300 SL Roadster

Der erste SL war übrigens kein Serienfahrzeug, sondern ein Rennwagen, mit dem das Mercedes-Werksteam im Jahr 1952 sowohl das 24-Stunden- Rennen von Le Mans als auch die Carrera Panamericana in Mexiko gewann. Darauf basierend, brachte man zwei Jahre später mit dem Mercedes-Benz 300 SL (das SL steht für „Super Leicht“) die erste Generation für die Straße heraus, zunächst als Coupé mit den legendären Flügeltüren, drei Jahre später folgte die offene Roadster-Version, die uns heute ebenfalls zur Verfügung steht. Auf einem Parkplatz wechsle ich in das historische Fahrzeug – und noch bevor ich überhaupt losfahren kann, steht bereits eine riesige Traube neugieriger Passanten um mich herum. 

Kein Wunder, gerade einmal rund 3200 Exemplare des 300 SL wurden von 1954 bis 1963 gebaut. Prominente wie Tony Curtis, Clark Gable, Romy Schneider oder der König von Jordanien zählen zu den Ersteigentümern. Gut erhaltene Modelle erzielen heute Preise von nicht weniger als 1,5 Millionen Euro. Beim Starten des Motors geht ein ehrfürchtiges Raunen durch die Menge, dann lege ich den ersten Gang ein und lasse die Kupplung ganz vorsichtig kommen. Zu meiner Beruhigung erfordern das Fahren und Schalten kein größeres Können, schon damals verbaute Mercedes ein synchronisiertes Getriebe. Zwar ist die Beschleunigung nicht mit jener des neuen SL zu vergleichen, aber mit seinen 215 PS, bei einem Gewicht von nur 1,4 Tonnen, gibt auch dieser Wagen überraschend ordentlich Schub. Eine Beschleunigung von 9,3 Sekunden auf 100 bei einer Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h wären zumindest auf dem Papier möglich, aber mit so einer Rarität fährt man eher gemütlich. Reine Respektsache.

Mercedes-Benz 300 SL Roadster

Geschwindigkeit: 240 km/h
Leistung: 215 PS
0-100 km/h: 9,3 Sekunden
Gewicht: 1400 kg
Neupreis 1957: 32.500 DM
Wert heute: 900.000 bis 1,6 Mio. Euro

Sonnenschein sei Dank: Gut, dass Playboy-Autor Micheal Brunnbauer den 300 SL Roadster noch im perfekten Wetter kennenlernen durfte.
Credit: Mercedes-Benz AG

Als sich am Himmel ein nahender Wolkenbruch abzeichnet, wechsle ich wieder in den modernen SL, damit die Mechaniker von Mercedes Classic den Oldtimer irgendwo sicher vor der Nässe unterstellen können. Und tatsächlich: Als ich eine halbe Stunde später wieder den Ozean erreiche, fängt es in Strömen an zu regnen. Und zwar so extrem, dass ich selbst innerhalb der 15 Sekunden, die das Dach zum Schließen benötigt, klatschnass werde. Ich mache das Beste aus der Situation und teste den Mercedes auf einem leer stehenden Parkplatz auf seine Drift-Fähigkeiten. Bei ausgeschalteten Stabilitätsprogrammen bekomme ich tatsächlich ein paar schöne Drehungen hin. Das wäre ohne nassen Asphalt kaum möglich, denn zum ersten Mal in der Geschichte des SL hat dieser Allradantrieb. Noch so ein Novum.

Der Regen fällt so stark, dass der Pacific Coast Highway wegen Überflutungen gesperrt werden muss. Überall fallen Palmenblätter und Kokosnüsse auf den Boden, an manchen Stellen hat der Wind sogar die großen Mülltonnen vom Straßenrand auf die Fahrbahn geweht. Die gesamte Strecke erinnert an einen Hindernisparcours aus „Super Mario Kart“. Nach über einer Stunde mit höchster Konzentration in mühsamer Slalomfahrt schaffe ich es trotzdem, ohne Unfall im eigentlich sonst sehr sonnigen Malibu anzukommen.

Da kam die Sintflut: Ein nahezu biblischer Regenschauer, abgerissene Palmenblätter und verwehrter Müll verwandelte Los Angeles in einen gigantischen Hindernisparcours.
Credit: Mercedes-Benz AG

Am Ende dieses Tages bleibt festzuhalten: Das Comeback des legendären SL ist Mercedes sehr gut gelungen. Vor allem weil er dank der AMG-Gene wieder einen richtigen Rennwagen nach Art des ursprünglichen Fahrzeugs von 1952 darstellt. Das wurde mir beim Fahrerlebnis am Steuer des historischen 300 SL Roadster klar. Bei den extremen Witterungsbedingungen auf dem letzten Teil der Strecke war ich dann aber doch sehr froh, in einem modernen Fahrzeug mit Allradantrieb und hilfreichen Stabilitätsprogrammen zu sitzen. Auch wenn ich daheim in meiner Garage – gar keine Frage – am liebsten beide Fahrzeuge stehen hätte.

70 Jahre Mercedes SL-Klasse

Der Autor testete den Wagen auf Einladung des Herstellers.