Herr Schneider, Sie arbeiteten früher als Marketing- und Business-Executive für weltbekannte Konzerne. Inzwischen haben Sie sich von dieser Unternehmensseite verabschiedet.
Ich habe fast 20 Jahre in Marketing-Leadership-Positionen in großen Konzernen wie Unilever, Coca-Cola oder L’Oréal gearbeitet. Irgendwann fiel mir auf, dass mich dabei stets der Druck, mich in stereotype Alpha-Männlichkeits-Muster zu pressen, begleitet hat. Damit meine ich eine Art Schablone, in die Leader passen müssen: Sie müssen stark sein, dürfen keine Gefühle zeigen, müssen im Meeting immer die schlauesten Kommentare geben und idealerweise Einzelkämpfer sein. Heute weiß ich, dass das zwar kurzfristig erfolgreich war, ich dabei aber nicht ich selbst sein konnte und mir das auch nicht gutgetan hat. Das beobachte ich bei vielen Männern. Umgekehrt tut es auch der Produktivität von Unternehmen nicht gut, wenn Männer im Meeting mit Gorilla-Ritualen, wie ich das nenne, deutlich machen müssen, wer der Beste im Raum ist, anstatt direkt über Sachthemen zu sprechen.
Heute arbeiten Sie als Leadership-Coach. Wen oder was coachen Sie? Und vor allem: in was?
Ich arbeite auf Grundlage der Beobachtung, und das kann man ruhig so zugespitzt sagen, dass die Zeiten, in denen Männer selbstverständlich Karriere gemacht haben, zu Ende gehen. Das Leadership von Morgen ist nicht mehr mit den klassischen Attributen wie Härte, Stärke und Durchsetzungsvermögen besetzt. Um Männer für diese Veränderung zu sensibilisieren, spreche ich mit männlichen Leadern in Unternehmen, halte Vorträge oder gebe Workshops, um das Thema zu platzieren. Aber ich führe auch Einzelgespräche mit Männern, die ihre eigenen Muster und Denkmuster reflektieren und die sehen wollen, ob da nicht noch mehr in ihnen steckt als dieses omnipotente Alpha und der laute, dominante Leader.
Leadership-Coach Dominik Schneider: „Das Leadership von Morgen ist nicht mehr mit den klassischen Attributen wie Härte, Stärke und Durchsetzungsvermögen besetzt“
Wieso sollten Sie das herausfinden wollen, wenn Sie mit Ihrer Art erfolgreich sind?
Dieser Alpha-Modus war in einer Welt erfolgreich, die nach männlichen Regeln gestaltet und sehr hierarchisch war. Diese Welt geht zu Ende. Das erkennt man im gesellschaftlichen Diskurs, der schon seit vielen Jahren stattfindet. Das Business war dagegen lange immun – bis jetzt. Nicht erst seit Corona wird das Business immer virtueller und diverser. Es wird an männlichen Privilegien gerüttelt und für mich wird immer klarer, dass dieser Modus, den wir Männer über viele Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte, kultiviert haben, unter Druck und in Veränderungsnot gerät.
Wie meinen Sie das?
Ich vergleiche das gerne mit dem „Innovator‘s Dilemma“ von Clayton Christensen. Es beschreibt, wie es Unternehmen wie Kodak und Nokia, die einfach aus Gewohnheit groß waren, es nicht geschafft haben, ihren Modus zu innovieren. Das kann man auch auf männliche Führungskräfte übertragen. Sie haben es sich lange bequem gemacht und nicht verstanden, dass sich Zeiten ändern. Und wer sich dem Wandel verschließt, der wird auf kurz oder lang an Wirkungskraft verlieren.
Was müssen männliche Leader also tun, damit das nicht passiert?
Sie müssen sich und ihr Bild von Männlichkeit, in dem ihre Denk- und Handlungsmuster festsitzen, reflektieren. Wenn man mit Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern spricht und einschlägige Journals liest, dann ist sofort klar, dass die klassischen männlichen Führungseigenschaften wie Durchsetzungskraft und Härte am Aussterben sind. Stattdessen braucht es jetzt Mitgefühl, Selbstreflektion und People Skills. Das sind alles Eigenschaften – und ich sage das bewusst in Anführungszeichen – die als „klassisch weiblich“ normiert werden. Eigentlich sind es aber menschliche Eigenschaften. Mit meinem Coaching möchte ich Männer dazu aufrufen, diese Fähigkeiten wiederzufinden und herauszufinden, was, abseits dieser Alpha-Stereotype, in ihnen steckt.
Leadership-Coach Dominik Schneider: „Wer jetzt erfolgreich ist, will es sicher auch bleiben“
An wen richtet sich Ihr Coaching-Ansatz: An aufstrebende Leader und solche, die es werden wollen oder doch an solche, die bereits in ihrer Position gefestigt sind?
Natürlich ist es nicht so einfach, einen Leader, der 30 Jahre mit seinem Modus gut gefahren ist, zur Reflexion zu bringen. Aber hier greift der Performance-Begriff dann doch gut. Denn wer jetzt erfolgreich ist, will es ja sicher auch bleiben. Und weil die ganze Veränderung keine Mode ist, ist jetzt der Moment, sich zu fragen, wie man in Zukunft agieren möchte. Die jüngere Generation hat ganz generell eine größere Offenheit für Themen rund um Selbstreflexion. Die kommt allein schon aus dem Privaten, wo seit einiger Zeit etwa die Care-Arbeit neu verteilt wird. Und auch wenn es oft so scheint, dass die junge Generation nicht mehr so von Macht und Hierarchie angesprochen wird: In der Start-Up- oder Tech-Szene, in der viele junge Gründer um Venture Capital pitchen, sind Alphastereotype noch erstaunlich vital.
Bringt dieser neue Leadership-Ansatz auch eine neue Definition von Erfolg mit sich?
Definitiv. Die Definition von Erfolg war einmal sehr eindimensional. Sie richtete sich nach Karriere, Gehalt, Titel, Teamgröße. Mit dem veränderten Leadership fächert sich das auf: Wie kann man für sich authentisch und gesund agieren? Wie schafft man ein angstfreies Umfeld, in dem alle ihre Stärken einbringen können? Welchen Beitrag kann man für die Gesellschaft leisten?
Was macht einen Mann 2023 zum Vorbild?
Dass er nicht versucht, sich in alte Rollenbilder zu pressen, sondern, dass er mutig genug ist, herauszufinden, wer er wirklich ist und wo seine ganz individuellen Stärken liegen.
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