Herr Frodeno, Sie haben Ihren Körper ja mal als „Feind“ bezeichnet. Braucht man diese Einstellung, wenn man pro Woche 25 Kilometer schwimmen, 600 Kilometer radeln und 100 Kilometer laufen muss, um zur Weltspitze zu gehören?
Das hat sich in den vergangenen Jahren zum Glück etwas geändert. Mit meinen 37 Jahren habe ich mittlerweile kapiert, dass ich in diesem Leben nur einen Körper habe und sorgsam mit ihm umgehen muss. Ihn jeden Tag im Training voll an die Wand zu fahren war, im Nachhinein gesehen, vielleicht nicht ganz so schlau.
Was haben Sie mit Ihrem Körper denn angestellt?
Nach einem Trainingstag, an dem ich 20 Kilometer gelaufen, fünf Kilometer geschwommen und 120 Kilometer mit dem Rad gefahren war, stand ich zum Beispiel nachts noch auf, um einen schnellen Zehner zu laufen. Aber solche Alibi-Einheiten habe ich nun vom Trainingsplan gestrichen, weil ich mit den Jahren gelernt habe, die ständigen Versagensängste abzulegen.
Was machen Sie heute anders?
Ich versuche, das Training zu genießen. Schließlich habe ich als einer der wenigen Menschen das unfassbare Privileg, jeden Sport machen zu dürfen und dafür sogar noch bezahlt zu werden. Gibt es einen besseren Job auf der Welt? Nein. Auch wenn er manchmal hart, brutal und unmenschlich ist.
Ein Beispiel bitte.
Morgens um halb fünf aufstehen, nichts essen, nur einen schnellen Espresso trinken und dann die erste echt böse und absolut erbarmungslose Einheit absolvieren. Da wäre es manchmal schon schön, stattdessen wie ein Büromensch länger zu schlafen, einen Cappuccino zu trinken und ein Croissant zu essen.
Sie essen nichts zum Frühstück?
Das ist die beste Form der Fettverbrennung. Schauen Sie, wenn ich beim Ironman auf Hawaii acht Stunden lang am Anschlag bin, verbrenne ich etwa 9000 Kalorien. In den acht Stunden kann ich aber gar nicht so viele Kalorien durch Gels und Getränke aufnehmen, wie ich während der Schlacht verbrenne. Deswegen müssen mein Körper und ich im Training lernen, mit dieser chronischen Unterversorgung umzugehen.
Manchmal gehen Sie aber auch zu weit: Sie sind ja schon des Öfteren beim Training ohnmächtig geworden.
Das passiert, wenn man die Alarmsignale des Körpers missachtet. Mittlerweile hat sich aber auch hier ein Lerneffekt eingestellt. Ich merke, wenn sich mein Blickfeld verengt, mir schummrig wird und ich gleich vom Ergometer kippe. Manchmal muss ich aber auch an die Grenze gehen! Wenn ich nur in der Komfortzone trainieren würde, würde ich nichts gewinnen. Gar nichts.
Ohne extremes Leiden geht es nicht?
Es ist die Grundvoraussetzung. Bei einem optimalen Ironman habe ich von Anfang an die Chance, mich kontinuierlich in den Schmerz hineinzusteigern. Das ultimative Leiden ist für mich das Mittel zum Zweck, aber nur, weil mich dieses Leiden meinem Ziel immer wieder näher bringt.
Was treibt Sie an? Die Suche nach Anerkennung?
Das hat mich früher angetrieben, als ich 1988 die Olympischen Spiele in Seoul im Fernseher anschaute. Das war jahrelang mein großer Motivator. Mich hat das total fasziniert, als die Leichtathleten damals durchs Stadion liefen und wie wild von den Zuschauern angefeuert wurden. In dem Moment war mir klar: Da will ich auch hin, das will ich auch erleben, das will ich auch gewinnen.
Heute sind Sie Olympiasieger, Europameister, Weltmeister und gelten als der Superstar im globalen Triathlon-Business. Was soll noch kommen?
Siege! Siege! Siege! Wenn Sie einmal in Hawaii auf dem Podium stehen, dann wollen Sie das immer und immer wieder haben, dieses unfassbar geile Gefühl. Dieser Impuls, immer der Beste sein zu müssen, war schon immer ganz tief in mir drin. Und das treibt mich in jeder Einheit an. Dieser Gedanke, mir jeden Tag den Hintern aufzureißen und das Maximale aus meinem Körper herauszuholen.
Haben Sie eine besondere mentale Stärke?
Mein Motto stammt von Muhammad Ali. „If my mind can conceive it and my heart can believe it, then I can achieve it.“ Auf Deutsch etwa: Wenn ich ein Ziel begreifen und daran glauben kann, dann kann ich es auch erreichen. Bis heute motiviert mich dieser Spruch. Glaub an dich, träum von dem, was möglich sein kann, und folg deinen Träumen. „Conceive“, „believe“ und „achieve“ steht auch auf meinem Rad.
Einer Ihrer Lehrer soll in der Schule gesagt haben: „Jan, du bist einfach eine sportliche Niete. Aus dir wird nie etwas!“ Sie haben trotzdem immer an sich geglaubt?
Der legendäre Satz kam aus dem Mund des guten Herrn Angrick, der immerhin auch Trainer in der Handball-Bundesliga war. Im Nachhinein vielleicht eine klitzekleine Fehleinschätzung. Womöglich kam er aber auch kurz nach einer unserer Fußball-Einheiten zu dieser Analyse. Und wenn das so war, kann ich ihn wiederum verstehen. Bei allem, was mit Bällen zu tun hatte, war ich ein reiner Bewegungs-Legastheniker. Ich wurde auch immer als Letzter in die Fußball-Mannschaft gewählt. Verlieren wollte ich trotzdem nie. Ich hasse es zu verlieren.
War das schon immer so?
Als Kind bin ich früher schnell jähzornig geworden. Oft bin ich völlig ausgerastet, wenn ich verloren habe. Wenn ich beim „Mensch ärgere Dich nicht“-Spiel gegen meine Eltern nicht gewann, habe ich das Spiel durchs Zimmer gepfeffert. Mittlerweile ist es besser geworden.
Inwiefern?
In den vergangenen Jahren habe ich so oft verloren, so oft eine aufs Maul bekommen, dass ich gelernt habe zu verlieren. Wenn ich aber weiß, dass ich im Training und im Wettkampf ans Limit und vielleicht darüber hinaus gegangen bin, dann komme ich damit klar. Dann respektiere ich das. Aber auch nur dann.
Entscheidet letztlich der Kopf über Sieg oder Niederlage?
Wettkämpfe werden generell nur im Kopf gewonnen. Wenn wir uns im Wasser oder auf der Straße batteln, entscheidet nur die Psyche das Rennen. Körperlich sind wir alle ja fast auf dem gleichen Level. Die Frage, die sich bei jedem Wettkampf stellt, ist: Wer von uns Eisenmännern kann heute am meisten und längsten leiden? Für mich bedeutet ein zweiter Platz schon immer Demütigung. Und wenn man ehrlich ist, zählt in der Öffentlichkeit auch nur der erste Platz. Sonst nichts. Wenn ich also mal eine auf den Sack bekomme, spiele ich einfach Memory.
Memory?
Ich habe in den vergangenen Jahren viel Memory-Training gemacht. Das bedeutet: Wenn es mal nicht so lief, habe ich mir einfach die schönen und erfolgreichen Bilder der Vergangenheit ins Gedächtnis gerufen. Oder ich stelle mir eine startende Rakete in Cape Canaveral vor. Die Euphorie, die das freisetzt, hilft mir unfassbar weiter.
Werden Sie diese Methode auch anwenden, um nach der aktuellen Verletzung zurückzukehren?
Natürlich. Ich will 2019 meinen dritten Titel auf Hawaii holen. Die Konkurrenz soll sich dieses Jahr austoben. Im nächsten komme ich zurück. Und dann werde ich alle fressen!
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