Schluss mit dem ständigen Alarm-Modus!

Credit: Playboy Deutschland

Weil jeder ständig erreichbar sein will und die schlechten die besten Nachrichten sind, machen Smartphone & Co. uns süchtig nach gefährlichem Stress, warnt unsere Autorin.

In Zeiten von Säbelzahntigern und Mammuts war die Welt noch in Ordnung. Da wusste jeder zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Stand das Mammut vor der Höhle, wurden die Speere gepackt, und los ging’s. Ein echter Mann kämpfte todesmutig und heldenhaft, notfalls bis zum bitteren Ende. Nein, hier soll es nicht um Männlichkeit und Grillgut gehen. Es geht auch nicht um eine romantisierte Version der Vergangenheit oder gar um die verhassten Früher-war-alles-besser- Geschichten. Vielmehr soll uns die kleine Zeitreise daran erinnern, dass wir schlechte Nachrichten damals besser nicht verpassten. Schließlich bezahlten wir eine ignorierte Warnung möglicherweise mit dem Leben.

Das Steinzeithirn des 21. Jahrhunderts

Eine verpasste positive Nachricht hingegen, wie die Aussicht auf einen sicheren Schlafplatz oder eine gute Mahlzeit, war zwar ärgerlich, aber keinesfalls lebensbedrohlich. Auch wenn sich der eine oder andere Nostalgiker, Patriarch oder Speerkämpfer ab und an gern in die „gute alte Zeit“ versetzt wünscht, ist wohl auch jedem klar: Im 21. Jahrhundert gehen keine Gefahren mehr von Säbelzahntigern aus. Dumm nur, dass unser Gehirn auch heute noch sehr ähnlich funktioniert wie das unserer Vorfahren von damals. Der Weglaufreflex scheint tief in uns verankert. Nur dass uns heute die Krisen der Welt jagen. Und egal, wie viele Lifestyle-Magazine uns an den Bahnhofskiosken mit Modetipps oder Anleitungen zu mehr Achtsamkeit locken wollen: Vor die Wahl gestellt, bevorzugt unser Steinzeithirn noch immer die negativen Nachrichten.

Hauptsache, Krise

Insgesamt ist das durchaus sinnvoll, schließlich ist ein ausgeprägter – fest im Hirn verankerter – Überlebenswille ja nicht das Schlechteste, was sich die Natur ausgedacht hat. Das Problem liegt in der Omnipräsenz dieses modernen Säbelzahntigers: Terror, Tote und Triebtäter dominieren die Titelseiten und tagesaktuellen Nachrichten. Hauptsache, Krise. Also potenzielle Gefahren, wohin Augen, Ohren und Finger auch immer schweifen und swipen. Die Welt ist böse, schlecht und droht unterzugehen. Und wir? Wir können nicht nur wenig bis gar nichts dagegen tun, weil „die da oben“ das Zepter ja fest in der Hand haben, sondern bleiben nachweislich mit einem viel zu negativen Weltbild zurück.

 

Credit: Playboy Deutschland

 

Dabei sinkt – entgegen verbreiteten Annahmen – weltweit die Rate der Analphabeten, die Kindersterblichkeit geht rapide zurück, und wir haben nur noch halb so viele Tote durch Naturkatastrophen wie noch vor 50 Jahren. Aber Neues speichern wir eben viel lieber im Gedächtnis ab, wenn es in unser Weltbild passt. Und später erinnern wir uns nur noch sehr selektiv an Wahrgenommenes. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir Informationen objektiv auswählen und verarbeiten könnten. Gleichzeitig versetzt unser moderner Medienkonsum, der von negativen bis apokalyptischen Schlagzeilen dominiert wird, unseren Körper in einen chronischen Stresszustand. Denn in Zeiten von Smartphone, mobilem Internet in allen Lebenslagen und Push-Nachrichten greift der Säbelzahntiger im Minutentakt an.

 

"Wir müssen die ewige Schleife aus Reiz, Routine und Belohnung neu programmieren"

 

Jeder „Angriff“ sorgt für Stress, der im Körper durch einen bunten Hormoncocktail gesteuert wird, der die stressüblichen Reaktionen einleitet: Unser Herz schlägt schneller, die Lungen weiten sich, wir atmen intensiver, Hungergefühle sind unterdrückt, und die Leber sorgt in Form von Glukose für zusätzliche Energie. Wer kennt nicht das erhabene Gefühl, unbesiegbar zu sein? Kurzzeitiger Stress ist gut und sogar gesund. Doch Dauerstress macht uns krank, weil unser körpereigenes Abwehrsystem nicht genug Zeit zum Regenerieren bekommt. Dabei sorgt die Dauerbeschallung mit schlechten Nachrichten und die dadurch ausgelösten körperlichen Reaktionen nicht etwa für ein wenig Bauchweh oder einen (Männer-) Schnupfen, sondern kann Übergewicht und zahlreiche chronische Beschwerden wie Bluthochdruck und Diabetes begünstigen.

 

Der Weg aus der Mediensucht

 

Obendrauf kommen psychische Folgen, bei denen es um mehr als ein wenig schlechte Laune oder Niedergeschlagenheit geht. Mittlerweile wissen wir sogar, dass die Berichterstattung über eine Katastrophe uns stärker stresst, als bei der Katastrophe selbst vor Ort zu sein. Und nun? Keine Nachrichten mehr, kein Weltgeschehen mehr live mitverfolgen? Wie kommen wir weg von unserer Sucht nach Updates, weg von der Nadel? Was sicher nicht hilft: kalter Entzug. Stattdessen sollten wir uns unserer eigenen steinzeitlichen Automatismen bewusst werden und uns ein paar neue Gewohnheiten zulegen. Denn wie bei jeder anderen Sucht – seien es Schokolade, Zigaretten, Alkohol oder Pornos – gilt auch bei der Mediensucht: Wir müssen die ewige Schleife aus Reiz, Routine und Belohnung neu programmieren. Damit wir uns nicht mehr durch Push-Nachrichten, Facebook- Updates oder neue E-Mails den Kick holen. Neue Gewohnheiten fallen nicht vom Himmel, sind aber auch kein Hexenwerk.

 

 

Credit: Playboy Deutschland

 

Wir können zum Beispiel smartphonefreie Zeiten einplanen – vor allem wenn wir mit anderen Menschen unterwegs sind. Oder das Smartphone zu Hause immer an einem festen Ort platzieren (am besten verdeckt, denn schon ein Smartphone in Sichtweite sorgt für Stress). Klar ist natürlich auch, dass es dabei nicht nur darum geht, wie oft wir neue Informationen aufnehmen, sondern vor allem welche. Wie viel bringen uns die reißerischen Überschriften, die wir zum vierten Mal in den letzten 40 Minuten gescannt haben, wirklich? Haben wir vielleicht mehr davon, uns endlich die Bücher vorzunehmen, die wir schon seit dem letzten Weihnachtsfest lesen wollten? Wer sich nicht sofort überfordern will, kann sich auch einfach mal vertiefend in ein News-Thema einlesen und dessen Zusammenhänge studieren, statt ihm nur seine Aufmerksamkeit für einen flüchtigen Moment zu opfern. Dadurch trainieren wir uns mit der Zeit an, der ständigen Ablenkung zu widerstehen.

 

 

 

Ähnlich wie beim Hanteltraining im Fitness-Studio wird es ein wenig dauern, bis daraus Routine wird. Oder betrachten Sie Ihre neu entwickelte „Medienhygiene“ doch wie die Pflege Ihres Autos: Da wissen wir ja auch, dass wir regelmäßig die Waschstraße besuchen müssen – und die meisten nehmen das sehr genau. Seien Sie zu sich selbst genauso gut.