Einer von uns: Route 66
Wenn man den ehemaligen Bundesliga-Trainer Peter Neururer auf seinem Mobiltelefon anruft, wird das Freizeichen vom Steppenwolf-Gassenhauer „Born To Be Wild“ unterlegt, seit Jahren schon. Neururer, Schnauzbart und Motorradfahrer, ist ein Rebell geblieben, der einmal im Jahr groß rausmuss. Dann fährt er mit seiner Maschine, so sagt man das ja, und ein paar Kumpels, die auch Maschine sagen, einmal quer durch die Vereinigten Staaten. Geradeaus meistens. Route 66. Eine Idee von Unendlichkeit. Dabei verspricht sie nichts außer den eigenen Verlauf. Asphalt, bis das Benzin alle oder der Fahrer durch keinen
Tankstellenkaffee der Welt noch wachzuhalten ist. Diese Straße ist sich selbst genug. Ein viel befahrener Mythos, so abgenutzt wie das Wort selbst. Die Erfidung der Einfachheit. Denn niemand reist dorthin, um tatsächlich auf Easy Rider zu machen. Route 66 bedeutet, auf der letzten goldenen Ader im modernen Kadaver der USA der Vergangenheit nachzuspüren, dem Gefühl von Weite – tatsächliche Transzendenz.
Natürlich ist das auch Rummel, die Wiederaufführung dieses ewigen Roadmovies. Aber es ist dort so viel Platz, so viel Strecke, dass man den anderen davonfahren kann, bis man sich selbst überholt. Und dann ist da nur noch Straße, und die Gedanken flegen heran. Das ist ja der Kern des Ganzen, diese Geschichte vom Highway zur Hölle, der allein schon das Ziel ist. Kein Ort, sondern die Reise an sich. Immer dem Horizont entgegen, den am Ende der Wüste, hinter den schwarzen Bergen, ein Größenwahnsinniger aufgespannt haben muss. Hunter S. Thompson als Bob Ross: da noch eine Wolke, hier noch einen Felsen. Hinter dem Kaktus der Kojote. Und am Wegesrand dann, keine Gala, nur Diner: zum Bier einen Hamburger, große Freiheit. Peter Neururer lässt ein Lied davon singen.
Keiner von uns: Jakobsweg
Er war dann mal weg. Und plötzlich waren alle da. Wurde Pilgern das neue Ding, Völkerwanderung. Mit Hape Kerkeling begann der Niedergang des Jakobswegs zur längsten Touri-Meile der Welt. Horizontalmeditation für den Kleinbürger, der sich nun auf den 790 Kilometern zwischen Roncesvalles und Santiago de Compostela durch die galizische Einöde schleppte. Im Rucksack die Hoffnung auf den spirituellen Orgasmus.
Vor und hinter ihm aber eben nicht die Leere, in der die Einsicht zu Hause ist, sondern nur andere Allwettermenschen in Allwetterjacken. Heute treten sich jährlich mehr als 250.000 davon gegenseitig aufs unbedingt feste Schuhwerk. Jakobsweg, das ist der Gänsemarsch der geistig Entschleunigten. Immer hintereinander, mit leeren Blicken. The Nordic Walking Dead. Der Camino, so hieß er mal stolz, ist längst das
Promi-Luder unter den Pilgerrouten, jeder darf mal rüber, und am Ende wird das Elend auch noch von ProSieben abgefimt. Schon vor Jahren hatte der Privatsender eine Gruppe TV-Hampel dort ausgesetzt. Katy Karrenbauer, Oliver Petszokat, den unvermeidbaren Claude-Oliver Rudolph und Quartalswanderer Ingo Naujoks, der das mit der inneren Einkehr offenbar missverstanden hatte und bald ganz bierdurstig über die Ebene taumelte. Erleuchtung und Ernüchterung liegen oft nah beieinander. Ein echter Segen ist dieser Himmelshighway dann auch nur für jene, die entlang des Weges ihre Klingelbeutel aufhalten, Streckenposten mit soften Drinks und harten Betten, der Kaffee für fünf Euro. Dennoch lockt der Jakobsweg weiter. Weil es immer Trampel geben wird, die nach Pfaden suchen, an deren Ende die große Weisheit wartet. Letztlich aber, Schweiß in den Augen, Blut in den Socken, trifft man dort nur sich selbst und seinesgleichen. Oder, schlimmer noch, heilige Scheiße, Claude-Oliver Rudolph.
Alle Artikel