Blenden wir einmal zurück – in die Serie „Mad Men“. Darin sehen wir echte Playboys, schöne Frauen und guten Stil. Die Männer in Anzug und weißem Hemd, die Frauen in Kostüm oder Kleid, mit Lippenstift. Echte Männerschuhe statt Sneakers, High Heels statt Ballerinas, filterlose Zigaretten, Zigarren und Pfeifen. Und am Ende des Tages gibt es Scotch in einer schönen Bar.
Wir gewinnen Einblick in die Arbeitswelt der 1960er-Jahre, es ist noch Leben im Büro. Keiner muss twittern oder soziale Netzwerke pflegen, das Girl next door ist noch näher und anziehender als Tinder. Trotz höherer Arbeitszeiten und weniger Urlaub gibt es keinen Burnout. Das ist, arbeitspsychologisch gesehen, doch erstaunlich: Warum werden die Arbeitszeiten geringer, aber die psychischen Krankheiten nehmen zu?
Ein älterer Herr, pensionierter Jurist, erzählte mir einmal nach einer Lesung, von montags 8 Uhr bis samstags 14 Uhr sei die gewöhnliche Arbeitszeit gewesen, aber weder er noch seine Kollegen hätten gedacht, sie hätten zu wenig Zeit. Er habe sein Pfeifchen gehabt, herzliche Kollegen, und er verstehe die heutige Hetze und Klage gar nicht.
In den 1950er- bis in die 1980er-Jahre gab es eine ganz andere Arbeitskultur. Die war in manchen Aspekten unfreier, aber bei genauerem Blick war sie vielleicht lebensbejahender als die heutige. Sie war vielleicht auch insgesamt gesünder, zumindest für die „White-Collar-Workers“. Es ist nämlich weniger wichtig, ob man 35 oder 55 Stunden Dienst schiebt, es ist entscheidend, was innerhalb dieser Zeit geschieht. 35 Arbeitsstunden Leidenszeit sind belastender als 55 Stunden in guter Atmosphäre. Aber was bestimmt eine gute Atmosphäre?
Die Schreibtische hatten noch eine Stabilität, die zwei Personen trug
Für die „Mad Men“ gab es keine 35-Stunden-Woche. Es gab aber auch keinen Tag, an dem nicht mit dem Eintritt ins Büro geraucht, Kaffee und ab mittags auch Alkohol getrunken wurde. Da man noch nicht in Großraumbüros den kontrollierenden Blicken anderer ausgesetzt war, standen in den Büros natürlich Sofas, und die Schreibtische hatten noch eine Stabilität, die zwei Personen trug.
Es wurde viel an Sex gedacht, diese Arbeitswelt war in ihrer Atmosphäre noch nicht transparent und zwanghaft, sondern sporadisch anzüglich. Dadurch wird ein Büro nicht zur Playboy-Mansion, aber es ist eben auch kein Kloster. Und das wirft insgesamt eine provozierende Frage auf: Macht uns heute die Askese im Büro, die strikte Abwesenheit von Alkohol, Nikotin und Sex am Arbeitsplatz krank? Waren diese drei Dinge nicht das ideale Schmiermittel in einer Welt, in der sehr viel und lange gearbeitet wurde?
Wer einen Großteil seines Tages im Büro verbringt, der sollte nicht auf die Illusionen eines Work-Life-Balance-Modells reinfallen, welches das Leben der guten und die Arbeit der schlechten Seite zuschlägt. Es geht darum, auch die Arbeitszeit als erfüllte Lebenszeit zu sehen, sonst wird das ganze Leben unbefriedigend.
Die Optimierung der Arbeitsprozesse und das gewachsene Gesundheitsbewusstsein haben alle körperlich schädlichen Genussmittel aus den Büros vertrieben. Die Psyche wurde dabei allerdings vergessen. In einer hochoptimierten Arbeitswelt sollen sich die Triebe nicht auf die Kollegin, sondern auf die Excel-Tabellen richten. Die Askese geht inzwischen sehr weit. Dabei steht nirgends geschrieben: Wer arbeitet, der soll leiden.
Alte Fotografien erzählen diese Geschichte, egal, ob im Ingenieurbüro, in der Werbeagentur oder der Kanzlei: Wo früher Bier- und Weinflaschen neben Aschenbechern und Knabbereien standen, steht heute nur noch Mineralwasser (mit und ohne Kohlensäure!). Es ist, rein körperlich gesehen, zwar gesünder, aber der Mensch lebt nicht von Brot allein. Wenn ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnen soll, dann können geistige Getränke auch dem Körper wohltun.
Ab mittags zu trinken hat oft zur psychischen Gesundheit beigetragen
Da Alkohol auch Gefahren birgt, ist natürlich die Dosierung entscheidend: Niemand möchte von heimlichen Alkoholikern bevölkerte Unternehmen, in denen jeder Konflikt und jede Angst mit einem Scotch betäubt werden. Aber die puritanische Variante des optimierten Kapitalismus ist ein Ersatzglaubenssystem: Man möchte perfekt funktionieren in produktiven Systemen. Man optimiert, um produktiv zu sein, man macht Menschen zu Automaten. Es ist klar, dass eine zwanghaft asketische Arbeitswelt alle menschlichen Bedürfnisse nur noch in der Freizeit sucht. Allerdings ist die dann immer zu kurz.
Ab mittags in gesunder Dosierung Alkohol zu trinken war früher keine Seltenheit und hat oft zur psychischen Gesundheit beigetragen. In Frankreich, Italien und Spanien – Ländern mit einer besseren Esskultur – ist der Mittagswein keine Seltenheit. Längere und kultiviertere Mittagspausen empfehlen auch die Arbeitsmediziner. Ein Glas Wein zum Essen erhöht nicht nur den Genuss, sondern wirkt auch stresslösend. Das Über-Ich ist im Alkohol löslich.
Jeder kennt die Situation: Eine Kollegin hat Geburtstag, mittags gibt es ein Glas Prosecco – und der ganze Nachmittag ist lockerer. Man muss nicht sofort an das vulgäre Verhalten betrunkener Männer denken, nicht an die Bagatellisierung von Alkoholismus. Es gibt ein großes Spektrum der kultivierten und psychisch gesunden Genussformen geistiger Getränke.
Kein Mensch sollte sich im Büro betrinken, und natürlich muss in manchen Berufen jeder Tropfen tabu sein. Aber die großen Kunstwerke der Architektur wären wohl ohne die obligatorische Flasche Bier nicht erbaut worden und mancher wichtige Deal ohne den Schwenker Cognac nicht zum Abschluss gekommen. In meinem Büro jedenfalls steht eine Flasche Jack Daniel’s. Es gibt diese Tage. Sie reicht für eine Ewigkeit, aber allein, dass sie dort steht, beruhigt mich und auch manchen Kollegen.
Es ist Zeit, zurückzukehren zu einem geläuterten Genuss
Das Büro ist keine Wellness-Oase und kein Fitness-Studio. Wir brauchen dort weder jeden Mittag einen Masseur, seltsame Psychotechniken noch permanentes Coaching. All diese Angebote sind nichts als der Versuch, Ausgleich zu schaffen in einer fatal gestalteten Arbeitswelt, deren Großraumbüros und Glastüren für subtile Dauerüberwachung sorgen.
Es ist Zeit, zurückzukehren zu einem geläuterten Genuss, der uns die Arbeit wieder als Teil des Lebens verstehen lässt. Da ist die Zigarette plötzlich eine den Stress deutlich reduzierende 5-Minuten-Pause und das Glas Whisky die Belohnung nach einem erfolgreichen Abschluss. Die Arbeitswelt heute ist überspannt und viel zu sehr von Ängsten bestimmt. Das wird sich nicht ganz so schnell ändern. Aber manchmal hilft einfach ein Drink.
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