"Ein absolutes Freiheitsgefühl"

Credit: Timo Dersch / Tutima

TOLGA TASKIN, DER WELTREKORDHALTER IM EISTAUCHEN, bringt anderen Menschen bei, was es heißt, die Luft anzuhalten und runterzukommen – im wörtlichen, aber auch im mentalen Sinn.

Foto: Timo Dersch / Tutima

TAUCHMEISTER

Wenn er nicht gerade unter Wasser irgendwelche Weltrekorde bricht, bringt der Extremsportler Tolga Taskin anderen Menschen das Apnoetauchen und Harpunieren bei. Dazu gründete er vor einigen Jahre eine Tauchschule namens Apnea-College mit Standorten in ganz Deutschland.

Credit: Timo Dersch / Tutima

 

Bereits ein einziger erster Blick in Tolga Taskins Wohnung verrät uns seine Leidenschaft: An den Wänden hängen Harpunen, auf dem Schreibtisch liegt eine Tauchermaske. Genau die, die er bei seinem Rekordtauchgang trug.

Herr Taskin, wie kommt man auf die Idee, einen Rekord im Eistauchen aufzustellen?

Ich hatte meine ersten Taucherfahrungen unter Eis tatsächlich erst letztes Jahr. In Finnland hat jemand den Rekord von 70 Metern aufgestellt. Ich habe mir das angeschaut und gedacht, das kann ich auch. Ich war noch nicht mal sechs Jahre alt, als mir mein Opa das Apnoetauchen und Harpunenfischen beibrachte. Tauchen konnte ich also schon ganz gut, ich musste mich nur noch an die extreme Kälte gewöhnen.

Ist unter Eis zu tauchen nicht besonders gefährlich?

Klar, es ist ja nicht nur dieser Kälteschock, für viele ist auch die Dunkelheit ein mentales Problem. Aber beim Apnoetauchen geht es mir darum, mich in eine möglichst extreme Situation zu bringen. Gerade in Verbindung mit der Dunkelheit und der extremen Kälte spüre ich meinen Körper noch viel stärker, das hat eine viel höhere Intensität.

Sieht man wirklich gar nichts dort unten?

Ehrlich gesagt, habe ich zu 90 Prozent die Augen zu. Ich mache sie nur auf, um meine Tauchzeit zu kontrollieren. Mein „M2 Pioneer Chronograph“ von Tutima leuchtet und hält eine Tiefe von 300 Metern aus, so tief könnte selbst ich niemals tauchen (lacht). Die ersten 10 bis 20 Meter bin ich mit geschlossenen Augen in einem totalen Entspannungszustand, aber später ist es wichtig zu wissen, wie lange man schon unterwegs ist, wann man unten angekommen ist und wie viel Zeit man noch für den Aufstieg hat.

Wie lange dauert so ein Extremtauchgang?

Zwischen anderthalb und vier Minuten. Aber die eigentliche Herausforderung liegt darin, den extremen Druck auszuhalten. Hier an der Oberfläche haben wir ein Bar atmosphärischen Druck. Alle zehn Meter unter Wasser steigt dieser Druck um ein weiteres Bar. Bereits eine Tiefe von 30 Metern kann bei den meisten Menschen mit einer untrainierten Lunge zu einem Lungenriss führen. Eine absolut lebensgefährliche Situation. Bei einer Tiefe von knapp 75 Metern steigt der Druck auf meinen Körper um das Achtfache. Um das auszuhalten, muss man lange trainieren.

Ich finde es schon beeindruckend, dass Sie vier Minuten die Luft anhalten können.

Wenn ich ganz ruhig bin, schaffe ich auch sieben Minuten. Das ist nur eine Frage der Übung. Wenn ich Ihnen die richtigen Atem- und Mentaltechniken beibringe, kann ich Sie in zwei Tagen auch auf vier Minuten bringen. Das hilft einem runterzukommen, im wahrsten Sinne des Wortes (lacht). Viel wichtiger ist jedoch, dass ich über die Jahre eine hohe Sauerstoff-Adaption aufgebaut und meinem Körper antrainiert habe, mit weniger Sauerstoff länger bei Bewusstsein zu bleiben. Normale Menschen werden bei 40 bis 60 Prozent Sauerstoff im Blut ohnmächtig, ich halte 15 bis 20 Prozent aus.

Was geht Ihnen durch den Kopf eine Sekunde vor dem Tauchgang?

Ich weiß ja, was mich erwartet. Das wird ein Abenteuer, ich werde Emotionen erfahren, die sehr stark sind. Auch negative: Irgendwann bekommt man diesen Atemreiz, also den unglaublichen Wunsch, wieder atmen zu können, das Sichtfeld verengt sich, und überall in den Extremitäten fühlt man ein starkes Kribbeln. Aber das ist okay, ich freue mich trotzdem darauf.

Wie fühlt es sich dann an so tief unter Wasser?

Unten in dieser enormen Tiefe fühle ich mich ganz allein und to­tal weit weg, als wäre ich gar nicht mehr auf dieser Erde. Ein absolu­tes Freiheitsgefühl.

WICHTIGES GERÄT Bei allen Tauchgängen trug Taskin die „M2 Pioneer“ von Tutima – 300 Meter wasserfest und dank Leuchtmasse im Dunkeln ablesbar, 5200 Euro
Credit: Tutima

Was ist schwieriger, der Ab- oder der Aufstieg?

Beim Runtertauchen bin ich so­ zusagen tiefenentspannt. Der Auf­ stieg ist das Schwierige. Sich von der Dunkelheit wieder zurück ins Licht zu kämpfen ist ein bisschen wie eine Reise zurück ins Leben. Man geht dabei durch die Hölle, der Organismus ist kurz vor dem Ersticken. Das sind unglaubliche Emotionen, die man dabei erlebt. Gleichzeitig fühlt man einen star­ken Überlebensinstinkt.

Ist das nicht Todesangst?

Nein, ich habe unter Wasser ein Urvertrauen, dass alles klappt, entsprechend verspüre ich keine Angst. Das macht mich manchmal unter Wasser zu risikofreudig.

Was kann denn da unten alles schiefgehen?

Sehr viel. Eine Woche vor mir war ein anderer Taucher am Weißensee, der genau wie ich den Weltrekord im Eistauchen brechen wollte. Er ist in der Tiefe ohnmächtig gewor­den. Warum, weiß ich nicht. Zu viel Druck, zu viel Stress, irgendwas lief nicht rund. Er musste an die Oberfläche und sofort ins Kranken­haus gebracht werden. Mit guter Technik und einem eingespielten Team kann man Risiken natürlich überschaubar halten. Aber es ist und bleibt ein Extremsport. Man geht an seine Grenzen und sollte sich vorher gut überlegen, wie weit man bereit ist zu gehen.

Und wenn man dann oben ankommt?

An der Wasseroberfläche ist auf einmal alles sehr laut und grell. Man hat das Gefühl, nach einer intensiven Reise durch die Dun­kelheit und den Tod wieder zurück ins Leben gefunden zu haben. Der Körper schüttet in dem Moment extrem viele Hormone aus. Egal, was man davor gespürt hat, den Stress und die Sorgen, die man hatte, das ist alles wie weggeblasen. Man denkt sich nur: Ich habe über­lebt, ich bin wieder da. Das ist ein unglaublich motivierendes Gefühl.

In Luc Bessons bekanntem Film „Im Rausch der Tiefe“ hat das Apnoetauchen beinahe etwas Spirituelles, ist das wirklich so?

Der Film übertreibt an manchen Stellen, aber tatsächlich vermit­telt er die Leidenschaft ganz gut. Dieser Wunsch, abzutauchen und vielleicht auch für immer zu ver­schwinden: Das kommt am Ende des Films zum Ausdruck, wo der Protagonist mit dem Delfin weg­ schwimmt. So ein Freiheitsgefühl und den Wunsch, unten zu blei­ben, kenne ich auch.

Wollten Sie auch schon mal mit dem Delfin wegschwimmen?

Bei mir im See gibt es ja keine Del­fine (lacht). Aber ja, es steht da immer eine Frage im Raum, eine Neugierde: Was passiert, wenn ich einfach hier bleibe? Was passiert, wenn ich noch tiefer tauche? Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe mein Leben. Ich bin keiner dieser Extremsportler, die die Nähe des Todes suchen. Ich möchte nur dieses intensive Gefühl so lange wie möglich ausdehnen.