Eine Frau im Bikini baut sich vor mir auf. „Ich wurde fei schon entjungfert“, sagt sie und verschränkt dabei die Arme unter dem C-Körbchen, als verleihe einem der Koitus auf dem Disco-Klo mit einem betrunkenen Teenager besondere Privilegien. Ich hatte Sex, ich kenne meine Rechte!
„Wieso darf ich trotzdem nicht auf die Freefall-Rutsche?“, fragt sie und deutet auf den 22 Meter hohen Turm hinter mir, an dem ein Schild Frauen die Benutzung verbietet. „Das ist voll die Diskriminierung.“ „Quatsch“, sage ich. „Da wirken beim Rutschen 3 G auf dich. Das ist so viel wie bei einem Start mit dem Spaceshuttle. Wenn du da im Auffangbecken unten ankommst, schießt dir das Wasser mit so einer Wucht in die ...“ hoppla, beinahe hätte ich Muschi gesagt. Ich suche nach einem Wort, das mir nicht direkt einen Twitter-Eintrag unter dem Hashtag #MeToo beschert. In das Schmuckkästchen? In den Honigtopf?„... in die Scheide, dass es erheblichen Schaden anrichten kann – nicht nur am Jungfernhäutchen.“
Und um das zu verhindern, stehe ich hier. Denn ich bin der Beschützer der Vaginen. Ich bin heute Bademeister im Wasserpark der Area 47. Die Area 47 ist mit einer Größe von zwölf Fußballfeldern der größte Outdoor-Freizeitpark in Österreich und liegt im Tiroler Ötztal. Etwa 250.000 Besucher kommen jede Saison hierher zum Rafting, Canyoning, Klettern oder Mountainbiken. Außerdem gibt es einen Badebereich mit einem Sprungturm sowie einem Wakeboard-Lift und mehreren Wasserrutschen. Das ist mein Arbeitsplatz für heute. Warum? Weil Bademeister Helden sind. Sie retten Leben. Kein DJ und kein Skilehrer können da mithalten. Wo wir sind, fühlen sich Frauen geborgen. Das kommt bei den Damen an. Die Mund-zu-Mund-Beatmung? Bloß das Vorspiel. Hoffe ich jedenfalls ...
Kaum ist die Rutschen-Feministin weg, wartet dahinter schon eine attraktive Blondine. „Sind Sie hier der Bademeister?“
„Bademeister, Lebensretter – nennen Sie es, wie Sie wollen.“ „Ah, gut. Könnten ...“ In dem Moment knistert mein Walkie-Talkie, und die Stimme eines Kollegen dröhnt im Lautsprecher: „Jungs?“ Mit der autoritären Handbewegung eines Verkehrspolizisten unterbreche ich die Frau. „Einen Moment!“ Dann halte ich mir das Funkgerät vor das Gesicht und mache eine ernste Miene. „Roger, was gibt’s?“ „Ich hab meinen Joghurt am Wakeboard-Lift vergessen. Kann mir den einer nachher mitbringen?“ Die Blondine runzelt die Stirn. „Ja, mach ich“, sage ich kleinlaut ins Mikrofon und wende mich dann wieder meinem Badegast zu. „Ähm, ja, also was wollten Sie mich fragen?“ "Ob Sie den 10-Meter-Turm öffnen könnten – falls Sie nichts Wichtigeres zu tun haben?“
Ehrlich gesagt, würde ich lieber die Toilette im „Big Brother“-Container schrubben, als mit meiner Höhenangst dort hinaufzugehen. Aber auch das gehört nun mal zum Job. Wenn ich es mir aussuchen dürfte, wäre mir ein kollabierendes Bikini-Model im Kinderbecken jetzt aber schon lieber. Mit zittrigen Knien setze ich auf der nassen Treppe des Turms einen Fuß vor den anderen, bis ich schließlich am Eisentor bin, das den Zugang zum 10-Meter-Brett versperrt. Scheiße, ist das hoch!
„Super, danke“, sagt die lebensmüde Schönheit, als ich das Schloss aufsperre, und tritt nach vorn. „Kkl ... klar. Kkkein Problem.“ Es ist schwer, eine Frau aufzureißen, wenn man dabei papierbleich mit beiden Händen am Geländer hängt wie ein Boxer in den Ringseilen. Da sehe ich doch lieber auf dem Blob-Turm nach dem Rechten, der ist zumindest ein bisschen niedriger. Der Blob ist ein Luftkissen, das im Wasser liegt. Ein Badegast sitzt vorn auf dem Kissen, ein anderer springt von einem vielleicht fünf Meter hohen Turm auf das hintere Ende der Matratze. Die Luft weicht nach vorn aus und katapultiert den Vordermann in den Himmel. Leider platscht einer gerade etwas blöd mit dem Rücken auf und treibt nun ohnmächtig im Wasser. Und was macht mein Kollege neben mir? Dieser unscheinbare Student mit den schmalen Schultern? Springt direkt hinterher. Ohne zu zögern. Ohne erst mal ’nen Zeh reinzustecken um sich an das kalte Wasser zu gewöhnen. Holt nicht einmal tief Luft oder schickt ein Stoßgebet zum Himmel. Macht einfach so ’nen Köpfer und zieht den armen Kerl aus dem Wasser, während ich wie festgeschraubt dastehe und blöd gucke. Ich kann die abschätzigen Blicke der Badegäste in der Schlange hinter mir spüren und versuche, meine Tatenlosigkeit zu rechtfertigen: „Ich hab gerade zu Mittag gegessen und muss 30 Minuten warten, bis ich ins Wasser darf.“
Aber das rettet die Situation auch nicht mehr. Nach so einer Heldentat beeindrucke ich hier oben niemanden mehr. Deswegen klettere ich vom Blob-Turm wieder runter und setzte mich unten am künstlichen Badesee unter einen Sonnenschirm. Von hier aus habe ich einen guten Überblick. Auf der Wiese sitzen zwei Waschbrettbauch-Kerle und spielen Karten. Vor ihnen steht ein Sixpack Corona-Bier. Ein paar Schritte weiter liegen zwei Frauen auf ihren Handtüchern. Die eine trägt eine silberne Plastikkrone auf dem Kopf und hat wohl Geburtstag. Die andere hat einen prallen Hintern. Normalerweise habe ich kein Glück bei solchen Frauen im Schwimmbad. Was auch ganz logisch ist. Wenn ich in einem Autohaus zwischen lauter Ferraris stehe, zeige ich ja auch nicht auf die andere Straßenseite, wo der Bofrost-Lieferwagen parkt, und rufe: „Den will ich!“ Und Frauen wollen eben lieber eines dieser Alphamännchen mit Muskeln. Oder mit Uniform, weil die auch Macht ausstrahlt. Zum Glück bin ich heute so eine Art Uniform-Mann – der in der kurzen Hose und mit der Trillerpfeife im Mund. Und es ist höchste Zeit, sie einzusetzen. Aufgepasst, Ladys, es ibt einen neuen Sheriff im Badeland!
Ich schlendere also zu den Jungs hinüber, wobei ich meine Trillerpfeife an einer Schnur lässig durch die Luft kreisen lasse wie ein Gefängniswärter seinen Schlagstock. So muss sich Robert De Niro in „Taxi Driver“ gefühlt haben, als er mit dem Revolver vor dem Spiegel posiert. Redest du mit mir? Du laberst mich an? Du laberst mich an? Ich puste in meine Trillerpfeife. „Jungs, Glasflaschen sind verboten. Die muss ich konfiszieren.“ Also wenn bei den beiden Mädels hinter mir jetzt nicht der Uterus vibriert wie ein Dampfbohrhammer, weiß ich auch nicht weiter.
„Mach kein’ Scheiß, Alter“, motzt der eine Waschbrettbauch. „Und wieso dürfen die ihren Sekt behalten?“, fragt der zweite und zeigt auf die Mädels. Tatsächlich steht auch dort eine Proseccoflasche. Mist, die war mir nicht aufgefallen. Ich war so auf den Hintern fokussiert. Oh Mann, was für ein Arsch!
„Ähm ... tja ... also“, stottere ich etwas hilflos in Richtung der Frauen. „Die muss ich dann leider auch einsammeln.“ Ich nehme die Flaschen an mich und füge kleinlaut hinzu: „Tut mir wirklich leid.“ Da das jetzt wahrscheinlich kein guter Moment ist, um nach ihrer Telefonnummer zu fragen, trete ich den Rückzug an und schleppe sechs Coronas und eine Proseccoflasche zu meinem Sonnenschirm wie ein Familienvater die Wochenendeinkäufe zur Supermarktkasse. Hinter mir höre ich eine der Frauen schimpfen: „Oh Mann, was für ein Arsch.“
Demotiviert lasse ich mich in meinen Stuhl plumpsen. Ich blicke hinunter auf meine blanken Füße, die mittlerweile so rot sind wie ein Fliegenpilz. War ja klar. Ich bin einen Tag Bademeister, und der Einzige, der meine Hilfe braucht, bin ich selbst. Neben mir auf der Wiese sitzt eine Frau auf ihrem Handtuch und verteilt Sonnencreme auf ihrem Arm. "Darf ich mir die mal ausleihen“, frage ich.
Die Frau guckt belustigt. „Ein Bademeister ohne Sonnencreme?“ „Na ja, eigentlich bin ich Autor. Ehrlich gesagt, spiele ich heute bloß den Bademeister, um zu testen wie gut das bei Frauen ankommt.“ Die Frau lacht. „Autoren sind doch viel heißer als Bademeister! Du rauchst und trinkst Scotch bei der Arbeit, wenn du schreibst. Männlicher geht’s doch gar nicht!“
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