Du weißt, du hast Hunger, wenn du in einer Boa constrictor keine Bedrohung mehr siehst, sondern Nahrung. Es ist mein siebter Tag mit knurrendem Magen, als ich im Sand liegend in die Palmkronen starre und mir wünsche, die vor Tagen gesichtete Würgeschlange tauche irgendwo dort oben auf.
Sie besteht aus etwa einem Meter prächtigen Muskelfleischs und ich aus 1,77 Metern finsterer Entschlossenheit. Sie hat keine Giftzähne und ich eine Machete. Was also soll schiefgehen? Ich war mal ein Mann mit einer Schlangenphobie. Dann wurde ich ein Mann mit einem leeren Magen.
Seit einer Woche bin ich auf einer einsamen Tropeninsel im Pazifik. Sie gehört zu einer Inselkette, die vor der Küste Panamas liegt und fast so schön heißt, wie sie aussieht: Perleninsel-Archipel.
Abhauen auf eine einsame Insel: Ausgerüstet nur mit Machete, Wasser, Notfall-Kit und einem Satellitentelefon
Kokospalmen, heller Sand, dichter Dschungel. Es ist exakt die Art paradiesischer Insel, die für all die großen Verschollenen aus den Büchern und Filmen – von Robinson Crusoe bis zum „Castaway“ Tom Hanks – zum ganz und gar unparadiesischen Knast wurde, aber für jeden zivilisationsmüden Büroturm-Rumsitzer der große Traum geblieben ist. Auch ich träumte ihn. Und dann, Anfang dieses Jahres, las ich von einem Mann, der ihn erfüllen kann.
Drei Monate später steige ich in einen Airbus, der mich nach Panama City bringt, dann in eine Propellermaschine, die 20 Minuten später auf einem palmengesäumten Asphaltstreifen auf der Insel Contadora aufsetzt – und schließlich in einen Golfbuggy, der mich in ein Hotel mit Blick auf den Pazifik und Maracuja-Margaritas auf der Getränkekarte fährt.
Dort sitzt der Mann, Tom Williams, ein 35 Jahre alter Brite mit einem beständigen sanften Strahlen im Gesicht im Abendlicht auf einer Terrasse und erzählt mir und neun anderen Männern und Frauen, die aus England, Chile und den USA angereist sind, was uns ab morgen erwartet: acht Tage Inselleben.
Erst fünf Tage, an denen wir von Tom und seinem Kollegen Tom McElroy, einem Survival-Coach aus Kalifornien, lernen, was man fürs Überleben dort braucht. Dann drei, an denen wir uns in Gruppen aufteilen und uns allein durchschlagen.
Ausgerüstet nur mit Machete, Wasser, medizinischem Notfall-Kit und einem Satellitentelefon – falls wirklich alles schiefgeht.
Was wir uns von dem Trip erwarten, fragt Tom schließlich. Und wir alle – sechs Männer und drei Frauen zwischen 27 und 40 Jahren, darunter Banker, Klempner, Manager(innen) – erzählen was von Abenteuer, Herausforderung und, ja, ein bisschen Selbsterkenntnis. Tom nickt und lächelt sanft. Er ahnt wohl, dass es härter wird, als wir denken – und paradiesischer zugleich.
Tag 1 auf einer einsamen Insel im Pazifik: Bekanntschaft mit dem „tree of death“ und Plastikmüll
Ein Felsen voller Pelikane ragt wie ein Vorposten aus dem Meer, als wir uns in einem kleinen Motorboot der Insel nähern. Dann wird der Blick frei auf unsere Bucht: einen etwa 1000 Meter langen Sandstrand, eingefasst von schroffen Felsen, dahinter wucherndes Grün, aus dem einzelne Palmen hervorschießen wie Silvesterraketen.
Das Wasser ist überraschend kühl, als wir mit unserem Gepäck vom Boot springen und beginnen, Vorräte an Land zu schleppen: Essen für die ersten fünf Tage – Reis, Yucca, Kochbananen – dazu Dutzende Kanister Trinkwasser. Viereinhalb Liter pro Person und Tag haben wir dabei. Es schmeckt nach Plastik und Abflussrohr.
Jahrelang hat Tom auf der ganzen Welt nach einem Ort gesucht, der ihm für seine Idee geeignet schien, Survival-Trips auf eine wirklich einsame und unberührte Insel anzubieten. Dann fand er sie im Fernsehen.
Sie war der Star von „The Island with Bear Grylls“, einer vom namengebenden TV-Abenteurer präsentierten Art Dschungelcamp für Survival-Amateure. Tom fand heraus, wie die Insel heißt und wem sie gehört. Jetzt ist er zwei- bis dreimal im Jahr Mieter im Paradies.
Er durchstreift es, Machete am Gürtel, Hut auf dem Kopf, wie ein Ranger sein Revier. Wir erkunden den Strand, und Tom stellt uns den einzigen Bewohner der Insel vor, vor dem wir uns wirklich in acht nehmen sollen: einen Baum, der voller kleiner grüner Äpfel hängt. Botaniker nennen ihn Manchinel, die Einheimischen „tree of death“. Seine Früchte sind tödlich, sein Harz ist ätzend wie Säure. Sich bei Regen darunterstellen: ganz schlechte Idee.
Ansonsten sei die Insel aber ziemlich sicher, erklärt Tom. Es gebe zwar relativ harmlose Skorpione an Land und relativ scheue Stachelrochen im Wasser, aber sie sei frei von gefährlichen Spinnnen oder giftigen Schlangen.
Wovon die Insel nicht frei ist: Plastikmüll. Kein Strand der Welt ist mehr völlig frei davon. Im Gegenteil. Wer heute auf einer einsamen Insel strandet, kann im Grunde fest damit rechnen, dort ein Paar Flip-Flops in passender Größe vorzufinden. Es macht unser Survival-Training also nur realitätsnäher, dass wir den Plastikmüll nicht ignorieren, sondern auf Brauchbarkeit prüfen. Schnell haben wir einige Schüsseln, Flaschen und Sitzunterlagen zusammen.
Zurück an unserer Ankunftsstelle, graben wir dicke Äste als Pfosten in den Sand, legen ein paar dünnere darüber und bedecken diese mit Palmblättern. Es herrscht Trockenzeit, mehr als dieses Sonnendach brauchen wir nicht. Dahinter spannen wir unsere Hängematten zwischen die Palmen.
Später am Lagerfeuer kreist eine Flasche Rum. Kurz frage ich mich, wie spät es gerade in Deutschland ist, und merke, dass ich zum ersten Mal an diesem Tag an etwas anderes denke als an das, was ich gerade tue.
Tag 2 auf einer einsamen Insel: Abnehmende Begeisterung und wachsender Respekt gegenüber der Kokosnuss
Hatte Robinson Crusoe Rheuma? Ich gehe schwer davon aus. Die Nacht war lang, weil sie in den Tropen immer zwölf Stunden dauert. Kühl, weil der Wind heftig vom Meer her blies. Und qualvoll, weil Hängematten nichts für Bauchschläfer sind.
Ich bin als Erster wach und hacke mir schwitzend – die Faserschicht ist sagenhaft zäh – eine Kokosnuss auf. Etwas, das ich fortan täglich tue. Mit abnehmender Begeisterung zwar – sie schmeckt am ersten Tag exotisch, am dritten fad, ab dem fünften nur noch nach nervigen Stückchen zwischen den Zähnen –, aber mit wachsendem Respekt. Die Kokosnuss ist die Lebensgarantie jedes Verschollenen: gefüllt mit Wasser und Nahrung, umhüllt von Zunder.
Ganz ungefährlich ist sie aber auch nicht. Tod durch herabfallende Kokosnuss: Das kommt in den Tropen häufiger vor, als man denkt. Auch deshalb versuchen wir heute, einige Palmen zu besteigen und die Nüsse abzuernten.
Survival-Coach McElroy spannt sich ein Seil um die Fußknöchel und hüpft hinauf wie ein junger Pavian. Ich bleibe auf einem Meter Höhe hängen wie ein herzkranker Gorilla.
Als die lähmende Mittagshitze vorbei ist, macht sich ein Teil der Gruppe daran, das Camp mittels klar markierter Wege, ordentlich arrangierter Kanister und hübsch platzierter Palmblätter in eine Art Ferienanlage zu verwandeln. Seltsam, dieser menschliche Wunsch nach Ordnung, denke ich. Es steckt wohl das Bedürfnis nach Sicherheit dahinter. Und das kann man schon mal haben, wenn man am Rande eines Dschungels campiert. Zu Hause sehnst du dich nach der wilden Insel – und auf der Insel sehnst du dich nach einem Zuhause.
So ist das wohl im Leben: Abenteuer und Sicherheit müssen sich die Waage halten. Im Grunde war es auch die Suche nach dieser Balance, die Tom auf die Idee mit den Inseln brachte.
Tom ist in Südengland aufgewachsen, studierte Geografie und tauchte für seine Abschlussarbeit monatelang durch die Karibik, um Korallen zu kartieren. Ein toller Job. Nur keiner, der Geld einbringt.
Also nahm Tom eine Stelle bei einer Software-Firma in England an, wurde unglücklich, absolvierte eine Expedition zum Nordpol, war wieder glücklich und suchte dann das Abenteuer in Chile. Dort fand er allerdings: erst mal wieder einen festen Job, diesmal im Finanzbereich. „Ich hatte offenbar nichts aus meinen Erfahrungen gelernt“, sagt er. Den Job macht er bis heute, will ihn aber bald aufgeben und die Inseltrips zu seinem Beruf machen. „Mal sehen, ob das klappt.“ Er klingt, als finde er gerade das Unvorhersehbare an diesem Plan ziemlich beruhigend.
Tag 3 auf einer einsamen Insel: Die Lektion vom Feuer
Wenn du auf einer einsamen Insel Feuer hast – das ist Lektion eins heute –, hast du auch Trinkwasser. Weil du es mittels Verdampfung herstellen kannst. Flasche mit Meerwasser in die Glut legen, andere Flasche so darüber platzieren, dass der Dampf zwar hinein-, das kondensierte Wasser aber nicht mehr hinauskann, ein paar Stunden warten, schon hat man ein paar Schlucke zu trinken. Nur muss man vorher eben Feuer machen, womit wir bei Lektion zwei wären.
Es ist Survival-Coach McElroy, der sie uns erteilt. Mit Anfang 20 hat der heute 40-Jährige ein Jahr allein in einem Wald in den USA verbracht und nur von dem gelebt, was es dort gab. Seitdem geht er mit der Furchtlosigkeit eines Mannes durchs Leben, der weiß, dass er jederzeit in die Wildnis zurückkehren könnte, falls alles andere schiefgeht.
Außerdem macht er seitdem schneller mit zwei Stöcken ein Feuer, als ich ein Zippo aus der Hosentasche krame.
Aus dem harten Holz des Gumbo-Limbo-Baums hat er einen 30 Zentimeter langen Stab geschnitzt sowie ein schmales Brett als Unterlage. Darauf setzt er den Stab auf und reibt ihn dann so schnell und druckvoll hin und her, dass bald ein winziges Stück Glut entsteht. Er hebt es in ein Nest aus Kokosfasern, bläst sanft hinein, und – fuff – steht es in Flammen.
Feuer bohren nennt sich diese Technik. Meine Bohraktivitäten resultieren allerdings nur in einer eurostückgroßen blutigen Blase an der Hand.
Als Tom später zeigt, dass man den Stab auch in einen Bogen spannen und diesen hin und her ziehen kann, um die nötige Reibung zu erzeugen, sehe ich nur noch desillusioniert zu, statt es auch selbst zu probieren.
Die Blase schmerzt, und meine Kräfte schwinden. Wir essen seit drei Tagen etwa die Hälfte dessen, was ich an einem normalen Tag zu Hause essen würde. Morgens gibt es ein paar Kekse und Müsli-Riegel, Abends einen Teller Reis oder Nudeln. Dazu selten etwas Fisch (wir fangen fast nichts), aber immer eine Prise Sand, die beim Kauen zwischen den Zähnen knirscht.
Spät an diesem Abend liege ich in der Finsternis in meiner Hängematte und glaube, Regen zu hören, der auf Laub fällt. Es knistert und raschelt. Dabei ist die Luft trocken und der Himmel klar. Komisch. Zwei Sternschnuppen später schlafe ich ein.
Tag 4 auf einer einsamen Insel: Die Liste potenzieller Nahrungsmittel für die Selbstversorgung wird länger
Es muss einer Invasion geähnelt haben, was sich letzte Nacht unter unseren Hängematten abspielte. Jeder Quadratzentimeter Sand ist am Morgen überzogen von Krabbelspuren. Vom wem sie stammen?
Tom hebt eine Tasche hoch, die an einer Palme lehnt. Ein Dutzend Krabben rennt davon: die Körper groß wie Handflächen, die Zangen lang wie Finger, die Beine orangefarben wie Kürbisse. Sie heißen Halloweenkrabben, graben sich tagsüber im Sand ein und kommen uns nun jede Nacht besuchen. Zu Hunderten.
Ihr Lieblingsort: ein riesiger Felsen in der Nähe unseres Camps, von dem es nachts, wenn sie ihn im Mondschein erklettern, Krabben zu regnen scheint.
Ich setze sie auf meine Liste potenzieller Nahrungsmittel für die Selbstversorgungsphase, die übermorgen beginnt. Ebenfalls darauf: die Noni-Frucht – auch Survivor-Fruit genannt, weil sie so ekelhaft nach Schimmelkäse schmeckt, dass man sie nur freiwillig verzehrt, wenn es um Leben oder Tod geht – sowie die riesigen Austern, die auf den Felsen am Meer wachsen.
Immer wieder stoßen wir auf sie, als wir an diesem Tag den nördlichen Teil unserer Insel erkunden. Mit Steinen schlagen wir sie auf und essen sie roh. Sie schmecken fantastisch. Zumindest mir.
Auf der Ostseite der Insel durchqueren wir, das Wasser bis zum Bauch, exakt jene Art Mangrovensumpf, die man in Florida nur zur Alligatoren-Jagd betreten würde und in Australien nur in eindeutig suizidaler Absicht. Aber Tom versichert noch einmal, dass es hier weder Krokodile noch Giftschlangen gibt, und wir waten zuversichtlich durch die grüne Brühe.
Überhaupt ist die Stimmung in der Gruppe seit Tagen so gut wie in einem Teen-Horror-Film, kurz bevor das Gemetzel losgeht. Tagsüber erledigt immer gerade jemand, was getan werden muss – Feuerholz sammeln, fischen, kochen –, ohne dass irgendjemand irgendwen zu irgendwas auffordert.
Abends sitzen wir am Lagerfeuer und reden. Ich lerne, warum Samoaner so fett sind – nur die Dicksten hielten lange genug auf See durch, um neue Inseln zu entdecken – und wieso so viele Piraten eine Augenklappe trugen: Wenn sie vom hellen Deck ins dunkle Bootsinnere stiegen, schoben sie sie einfach aufs andere Auge – und konnten so sofort etwas sehen.
Tag 5 auf einer einsamen Insel: Erste Sichtung der Boa constrictor
Wird das Gemetzel bei uns losgehen, wenn morgen die Selbstversorgungsphase und damit der echte Hunger beginnt? „Die Menschheit ist immer nur zwei Mahlzeiten von einem Massaker entfernt, heißt es“, sagt Tom und lacht.
Am Abend wird die Boa zum ersten Mal gesichtet. In der Nähe unseres Camps. Braun wie Laub soll sei sein und lang wie ein Besenstiel. Noch macht mir der Gedanke eher Angst als Appetit.
Tag 6 auf einer einsamen Insel: Wir vergessen, Feuer zu machen
Vor vielen Jahren sank auf dem Pazifik mal ein Schiff. Crew und Passagiere verteilten sich auf zwei Rettungsboote. Auf dem einen übernahm der Kapitän das Kommando, auf dem anderen sein Steuermann.
Der Kapitän fühlte sich schuldig und mies. Apathisch saß er da, die Vorräte im Boot waren bald aufgebraucht, die Stimmung am Boden. Der Steuermann aber bewahrte Stärke und Antrieb. Er rationierte die Vorräte auf seinem Boot, führte einen festen Tagesablauf ein und Spiele, um die Moral zu stärken.
Als die Boote nach Wochen gefunden wurden, war der Kapitän tot, und die Leute in seinem Boot waren so schwach, dass sie von Bord getragen werden mussten. Die Insassen des anderen Bootes kletterten munter von Bord und fielen ihren Rettern in die Arme.
Mit dieser Geschichte schickt uns Tom am Morgen los in unsere drei Tage Einsamkeit. Er und McElroy werden auf der Insel bleiben, sich aber zurückziehen und nur im Notfall eingreifen. Der Rest von uns teilt sich zunächst in kleinere Gruppen und dann auf die Buchten der Insel auf.
Ich wandere als Teil einer Fünfer-Gruppe am Strand entlang, bis wir den Lagerplatz erreichen, den Tom uns empfohlen hat. Dort legen wir los, wie das Team im Gute-Laune-Boot. Aus Ästen und Palmblättern zimmern wir etwas zusammen, das wie ein Hochbett aussieht, sich aber wie ein Nagelbrett anfühlen wird.
Dann setzen wir uns auf die Felsen und hängen stundenlang erfolglos unsere aus Plastikflaschen und Nylonschnüren gebauten Angeln ins Wasser. Was wir vergessen: Feuer machen. Das fällt uns erst zwei Stunden vor Sonnenuntergang auf. Wir probieren es mit der Handrolltechnik, bis uns die Kräfte ausgehen. Dann mit der Bogentechnik, bis alle Schnüre gerissen sind, die unsere Rucksäcke und Shorts hergeben.
Um halb acht ist es so dunkel, dass wir einander an den Schultern halten, während wir uns den Weg zu unserem Nachtlager ertasten. Noch lachen wir. Noch spüren wir die harten spitzen Äste in unseren Rücken nicht – und die Krabben, die bald um uns herumkriechen.
Tag 7 auf einer einsamen Insel: Mein hungriges Selbst ist ein träges Wesen
Es ist ein erstaunlicher Moment, wenn du deinem hungrigen Selbst begegnest. Drei Dinge werden mir klar: Du kannst fast alles essen. Du könntest fast alles töten. Du bist ein verdammt gefährliches Wesen.
Allerdings ist mein hungriges Selbst auch ein verdammt träges Wesen. Aufstehen und fünf Meter zu meinem Notizbuch gehen, um einen Gedanken aufzuschreiben? Viel zu anstrengend. Ist aber auch egal, weil ich das Denken – viel zu kraftraubend – an diesem Vormittag sowieso bald aufgebe.
Genauso wie die Hoffnung auf Feuer. Ich wäre ein schlechter Kapitän. Sitze aber mit guten Leuten in einem Boot. Gordon, ein Fitness-Trainer aus London, findet doch noch ein Stück Schnur, und Leo, ein britischer Banker, die Kraft in sich, den Bogen noch einmal hin- und herzuschieben, bis – Ja! Mach weiter, Mann! – tatsächlich ein winziges Stück Glut entsteht.
Er hebt es so behutsam in ein Kokosfasernest, als handle es sich um den Embryo des letzten verbliebenen Seepferdchens auf dem Planeten. Als er in das Nest pustet, spüre ich meinen Puls hämmern, als es aufflammt, eine irre Euphorie. Wir haben Feuer gemacht.
Plötzlich erscheint alles wieder möglich. Und plötzlich läuft alles wie von selbst.
Leo fängt einen kleinen Zackenbarsch, Gordon findet ein paar riesige Austern. Ich selbst kann zwar weder als Jäger noch als Sammler überzeugen, erkenne beim Abendessen aber, dass es eine weitere – meinem Naturell offenbar eher entsprechende – Strategie gibt, um in der Wildnis satt zu werden: die der Hyäne. Was den anderen zu eklig ist (halbgarer Zackenbarschkopf) oder dann doch zu riskant (lauwarmer Austernschleim), verschlinge ich mit einer Kaltblütigkeit, die ich mir selbst nie zugetraut hätte.
Tag 8 auf einer einsamen Insel: Ich würde hier verrückt werden
Sonnenaufgang. Ich sitze am Strand und zähle die juckenden roten Punkte an meinen Händen. 42 an der linken, 28 an der rechten. Die Sandmücken haben uns in der Nacht entdeckt. Es ist unser letzter Tag auf der Insel. Hat die Zeit hier etwas in mir zum Vorschein gebracht, das ich nicht kannte? Außer der Hyäne ohne Kapitänstauglichkeit?
Vielleicht die Erinnerung an ein paar einfache Wahrheiten: Dein Körper und dein Kopf sind für Bewegung gemacht. Und sie sind zäher, als du denkst, du kannst ihnen also mehr zumuten. Lass sie nicht im Büro verkümmern.
Der Tag schwebt an mir vorbei, und ich sehe ihm gelassen – morgen gibt es ja wieder Essen – und teilnahmslos dabei zu. Doch die Nacht wird hart. Ich wache nach wenigen Stunden auf und schlafe nicht mehr ein. Alles an mir juckt, schmerzt, will, dass das alles endlich vorbei ist.
Mit einem angeschwemmten Klodeckel fache ich in der Dunkelheit die Glut an. Dann gehe ich im Mondlicht am Strand auf und ab, singe und rede laut mit mir selbst.
Nach etwa einer Stunde stelle ich fest, dass ich noch immer den Klodeckel in der Hand halte, und habe eine klare Erkenntnis: Allein würde ich hier in kürzester Zeit verrückt werden. Und dann, viele Meter, Lieder und seltsame Gedanken später, höre ich die ersten Vögel zwitschern.
Tag 9 auf einer einsamen Insel: Zwei Monate würde ich nicht überleben
„Würdest du für 50.000 Dollar noch zwei Monate auf der Insel bleiben?“, fragt Tom mich, kurz bevor wir morgens in das Boot steigen, das uns zurück auf die Isla Contadora bringt.
„Mit Essen? Klar.“
„Und ohne?“
„Das würde ich nicht überleben.“
Wenige Tage nach unserer Abreise beginnen auf der Insel die Dreharbeiten für die neue Staffel von „The Island“. In der Sendung ist später zu sehen, wie die Teilnehmer ihr Camp an unserem Strand aufschlagen. Schon bald töten sie zwei Boas. Und essen sie. Es ist kaum Fleisch dran.
Mehr Informationen über die Insel-Trips von Tom Williams: www.desertislandsurvival.com
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