Porno-Darstellerin Christie Stevens kniet und blickt zu ihrem Kollegen Isiah Maxwell auf, ihr Mund ist weit geöffnet. Ihre Brüste hüpfen mit jeder Bewegung, die ihr Kopf nach vorn und hinten macht, während ihre platinblonde Mähne sich den Rücken herunterschlängelt.
„Mein Ehemann“, stöhnt sie, greift Isiahs bestes Stück und schaut in seine Augen, „würde das niemals tun.“
Rund ein Dutzend Männer stehen am Set, und jeder wirkt auf seine Weise deplatziert. Drei sind Journalisten und erleben den vielleicht besten Tag ihres Lebens. Zwei sind IT-Unternehmer, die mithilfe von Pornos ihrem Start-up zum Durchbruch verhelfen wollen. Die anderen arbeiten in der Unterhaltungsbranche für Erwachsene. Für sie ist das hier Routine.
Eine Wendepunkt in der Porno-Branche
Der heutige Dreh scheint einer wie viele andere zu sein. Christie schlendert in der Pause in Overknees und durchsichtigem BH in der spärlich eingerichteten Beverly-Hills-Villa umher. Zwischendurch studiert die 30-Jährige ihren Text. Sie spielt eine gelangweilte Hausfrau, die den Staubsaugervertreter hereinbittet, ihr sein Rohr mal genau vorzuführen. So weit, so vertraut.
Doch das Shooting steht womöglich für einen Wendepunkt in der Branche, vielleicht sogar in der gesamten Unterhaltungsindustrie.
Denn der Film soll auf VR-Brillen (Virtual Reality) laufen, die erst seit 2016 in größerer Zahl im Handel sind. Und für Christie ist es die erste VR-Produktion, obwohl sie seit fünf Jahren im Business arbeitet. Während sie noch nicht weiß, welche Stellungen heute so auf dem Programm stehen werden, ist die Position des Konsumenten klar: Er wird Christie nicht nur zusehen, sondern virtuell selbst Sex mit ihr haben.
Der Betrachter agiert selbst in einer erotischen Fantasiewelt
Szenen aus subjektiver Perspektive („POV“) sind nicht neu. Dabei filmt der Darsteller seine Gespielin beim gemeinsamen Sex. Sein Gesicht ist nicht zu sehen. Die Einstellung suggeriert, der Betrachter sei selbst Sex-Akteur. Doch VR-Pornos eröffnen hier ganz neue Dimensionen.
Wer ein VR-Headset trägt, verlässt seine gewohnte Umgebung. Man starrt nicht auf einen Bildschirm, sondern betritt einen Raum, in dem eine Partnerin wartet. Die Hände müssen sich nicht mehr mit Tastatur oder Maus beschäftigen. Stattdessen wird man – gefühlt – Teil einer Fantasiewelt: erotische Alltagsflucht auf einem völlig neuen Niveau.
Experten glauben, dass sich dadurch nicht nur Pornos, sondern auch andere Technologien weiterentwickeln werden.
Porno als Vorreiter der Moderne
Pornografie und ihre Vorläufer waren seit jeher Vorboten neuer Technologien. Wird etwas erfunden, das Erotik noch zugänglicher oder spannender macht, hilft der heiße Inhalt der neuen Technik, sich durchzusetzen, sagen Historiker. Von der Höhlenmalerei der frühen Menschen bis zur Geschichte von Fotografie und Film – überall finden Sie dafür Belege.
Beispiel Videotechnik: Mehr als 50 Prozent der ersten Kaufkassetten waren 1979 mit Erotikfilmen bespielt – zwei Jahre nachdem die ersten VHS-Kassetten und Videorekorder in den Handel kamen. Und auch als zu Beginn der 90er das Internet massentauglich wurde, nutzten die meisten Konsumenten die neue Technologie, um Menschen beim Sex zuzusehen.
Die digitale Wende
Die Porno-Industrie war die erste Branche, die vom Online-Handel profitierte. Bereits 2001 betrug der Umsatz der US-Erotik-Industrie eine Milliarde Dollar. Noch 2013 verzeichneten Porno-Seiten mehr Besucher als Netflix, Amazon und Twitter zusammen. Amateur-Darsteller und Laien-Filmer verdienten immer kräftiger mit und eroberten die digitale Welt – auch im Porno-Geschäft ein Tummelplatz fröhlicher Dilettanten. Und die Profi-Branche geriet kräftig in Abschwung.
So manche Porno-Produktionsfirma, die diese digitale Wende überlebt hat, hegt heute neue Hoffnung: VR. Der Siegeszug der virtuellen Realität könnte den Profis wieder satte Umsätze bescheren. Mit Inhalten, die nichts anderes sind als technisch aufbereitete 180- und 360-Grad-Bilder – die gleiche Technik, die auch Google Maps verwendet.
Für Porno-Firmen gilt es herauszufinden, welche VR-Inhalte der Kunde will und wie man sie produziert. Eine viel zu große Anforderung an die vielen kleinen Porno-Laien im Netz.
Blowjob auf dem Plüschteppich
An diesem Drehtag in L.A. filmt Sam Burton, Inhaber von Holotrope VR, einer Firma, die neue Wege der VR-Produktion erschließen soll: drehen, dazulernen, weiterentwickeln. „Firmen, mit denen wir sonst arbeiten, haben dafür kein Budget“, sagt Burton. Ursprünglich stammt er aus der Film- und TV-Branche. „Die Porno-Industrie fängt jedoch schon an zu investieren.“
Für die Szene mit Christie Stevens und Isiah Maxwell hat Burton eine ganze Batterie an Aufnahmegeräten mitgebracht: GoPros, die zu einem 360-Grad-System zusammengeschlossen sind, und mehrere Kameras mit Fischaugenobjektiven, die den menschlichen 180-Grad-Blick imitieren. Wenn der Nutzer sich später das Headset aufsetzt, wird er seine tatsächliche Umgebung durch das weiße Wohnzimmer und die beige Couch hier am Set ersetzen.
Links die Aussicht auf Los Angeles, rechts die Tür, durch die Isiah – als Staubsaugervertreter – hereingekommen ist. Und direkt vor sich auf dem Plüschteppich wird er Christie sehen, die sich auszieht und auf die Knie sinkt, um mit einem Blowjob zu beginnen.
Sex-Toys sorgen für körperliches Erleben
VR-Porno ist so vereinnahmend, dass, wenn das Headset abgenommen wird, es gute zehn Sekunden braucht, sich wieder an die echte Umgebung zu gewöhnen. Vor allem wenn das virtuelle Blickfeld echt aussieht. Dennoch gilt bislang Facebook mit seinen trickfilmartigen „Spaces“ zum Treffen von „Freunden“ – beziehungsweise deren Avataren – als größter Treiber der VR-Entwicklung. Die Porno-Branche verspricht da wesentlich mehr.
Mitstreiter wie Kiiroo zum Beispiel entwickeln Sex-Toys, die sich über das Internet fernsteuern lassen. Die neueste Idee der Firma: Indem das Sexspielzeug mit den Porno-Szenen im VR-Film gekoppelt wird, können Nutzer die Sex-Szene nicht nur sehen, sondern auch physisch erleben. Synchron zum Bild simuliert das Spielzeug die Bewegungen der Personen im Film.
Sex-Akrobatik ohne Unterbrechung
Noch verkaufen sich VR-Systeme eher schleppend, was vor allem am hohen Preis liegen dürfte. Ein Headset kostet bis zu 900 Euro. Trotzdem sind die Experten optimistisch. Die Firma Digi-Capital, die VR-Unternehmen berät, prognostiziert, dass bis 2020 Einnahmen aus VR-Inhalten und Headsets bei rund 30 Milliarden Dollar liegen werden.
Und es zeige sich bereits, „dass die Leute bereit sind, für Pornos Geld auszugeben“, sagt Burton am Rande des Drehs in Beverly Hills, während Christie nach dem ersten Blowjob Problemen begegnet, die nur VR-Darsteller kennen: Normalerweise ist es die Aufgabe des Mannes vor der Kamera, die Frau beim Sex ins rechte Licht zu rücken. Doch eine Kamera ist auf Isiahs Schulter geschnallt, und seine einzige Aufgabe ist es, die Erektion zu halten, ohne sich zu bewegen.
Eine 25-minütige Akrobatiknummer
Also macht Christie die meiste Arbeit. Führt seinen Penis in ihre Vagina ein, während sie den Augenkontakt zur Kamera hält. Dann positioniert sie ihre Füße vor seinen Hüften und ihre Hände auf dem Couchtisch hinter sich und rutscht auf seinem Penis herum – eine 25-minütige Akrobatiknummer ohne Unterbrechung, denn VR gestattet bislang keinen Filmschnitt.
„War alles sehr viel schwieriger als bei einem normalen Porno-Dreh?“, fragen wir hinterher. „Um ehrlich zu sein: Es war harte Arbeit“, gesteht sie und tupft sich den Schweiß ab. „Aber trotzdem gut. Denn letztlich ist es ja immer noch Sex.“