Eine Möhre kann wunderbar schmecken, wenn sie liebevoll bearbeitet und als Püree, Sorbet oder Salat serviert wird. Karotten lassen sich gut glacieren oder mit etwas Sahne und Hühnerbrühe zu einer Suppe mixen. Moment, Hühnerbrühe: Ist das noch politisch korrekt? Ein Tier zu töten, um ein Süppchen zu verfeinern? Geht nicht auch Gemüsebrühe? Geht schon. Schmeckt aber anders. Womit wir bei einem der großen ideologischen Schlachtfelder unserer Gesellschaft angekommen sind.
Es wird derzeit eine leidenschaftliche Debatte über den Frevel der Massentierhaltung geführt, ja, der Fleischkonsum des Menschen steht generell am Pranger. Tatsächlich gibt es nachvollziehbare Gründe, auf den Verzehr von tierischen Produkten zu verzichten. Warum sollen Tiere gezüchtet, gequält und umgebracht werden, damit es dem Menschen bessergeht? Wer sich einmal in den Schlachthöfen der Republik umgesehen hat, ist geschockt. Ob er nun Fleisch isst oder weitgehend darauf verzichtet. Statt sich aber für artgerechte Nutztierhaltung einzusetzen, wird das vegane Leben zum Maßstab eines autoritären Weltbilds erhoben. Danach sind Fleischfresser schlichtweg Unmenschen, denn sie respektieren die Würde der Kreatur nicht.
Die radikalen Verteidiger der Tierrechte haben leider einen rhetorischen Vorteil, weil sie auf ein Pathos setzen können, das Mitgefühl erzeugt. „Artgerecht ist nur die Freiheit“, lautet zum Beispiel ein demokompatibler Buchtitel von Hilal Sezgin. Die US-amerikanische Philosophin Christine Korsgaard formuliert den pathetischen Imperativ der Tierrechtsbewegung folgendermaßen: „Selbst wenn wir aus der Welt keinen Ort ohne Raubtiere machen können, so können wir es doch vermeiden, selbst Raubtiere zu sein.“ Wer will schon ein Raubtier sein?
Doch leider ist alles viel komplizierter. Denn wie weit würden Tierrechtler und vegane Ideologen gehen? Würden sie Ureinwohnern irgendwo auf der Welt den Krieg erklären, weil sie Katzen und Hunde verspeisen? Und was ist mit den vielen Religionen, in denen dem Fleischkonsum eine rituelle Bedeutung zukommt? Sollen weltweit Milliarden Menschen missioniert werden? Was sagt man Leuten, die in Afrika verhungerten, wenn sie keine Eier äßen? Ja, wann ist ein Tier überhaupt ein Tier? Und was würden wir tun, wenn herauskäme, dass Äpfel eine Seele hätten? Okay, diese Frage ist nicht ganz so ernst gemeint. Wo aber ziehen wir welche tierrechtlichen Grenzen? Und welche Nahrungsmittelengpässe und Umweltkatastrophen ergäben sich, wenn die Weltbevölkerung keine tierischen Proteine mehr zu sich nähme? Müssten, dürften oder sollten Menschen sterben, wenn alle Tiere „befreit“ würden?
Diese Fragen sind ähnlich plakativ wie die Slogans der Tierrechtsbewegung. Tatsächlich ergeben sich, wenn man die Forderungen nach einem vegetarischen oder veganen Leben ernst nimmt, sehr widersprüchliche Argumentationslagen. Man könnte auch sagen: Unter bestimmten Bedingungen wäre es unmenschlich, den Fleischkonsum zu verbieten. Denn das ist die Crux mit allen strikten Ernährungsvorgaben: Sie lassen sich aus sozialen, kulturellen, religiösen, ökologischen und ökonomischen Gründen nicht verallgemeinern.
Als aufgeklärter Carnivore würde ich den Fleischkonsum aber keineswegs zum Fetisch machen. Wer keine Hühnersuppe essen möchte, muss das nicht tun. Die regressiven Pöbeleien der veganen Front lasse ich mir aber auch nicht länger gefallen. Zumal der Streit um die korrekte Ernährung nur ein Ersatzschauplatz zu sein scheint. Es ist schon auffällig, dass sich vor allem Frauen der veganen Doktrin anschließen, und es ist auch nicht zu übersehen, dass immer mehr Feministinnen einen Zusammenhang zwischen „fanatischem Fleischverzehr“ und „Männlichkeitswahn“ konstruieren. Die Weigerung, Hühnersuppe zu schlürfen, wird so zum „Widerstand gegen das Patriarchat“ (Carol J. Adams).
Ist der Veganismus also die aktuelle Spielart eines ganz besonders lustfeindlichen Feminismus? Ja und nein. Ja, weil das Fleisch, das der Mann begehrt, im veganfeministischen Weltbild zum doppelten Tabu wird: Wenn ein Mann auf Bratwürste steht, muss er auch ein Sexist sein. Und wenn er das Steak blutig bestellt, dann ist er im Kosmos des veganen Feminismus zwangsläufig ein Gewaltmensch. Das ist natürlich Unsinn. Weil auch Frauen gern Bratwurst und blutiges Steak essen, weil sie keineswegs von einer Männermafia zum Fleischkonsum gezwungen werden und weil die meisten Frauen durchaus einen positiven Zusammenhang zwischen der Erotik des Essens und der Sexualität im Bett herstellen. Das Männerbild des veganen Feminismus lebt von allzu stumpfen Ressentiments, und sein Frauenbild ist im Grunde frauenfeindlich.
Deshalb möchte ich hier für einen lustbetonten, bewussten und vielfältigen Fleischkonsum plädieren, für den das englische Motto „Nose to tail“ gilt. Auf Deutsch: Von der Schnauze bis zum Schwanz werden Fleischstücke gegessen, von denen nicht einmal mehr Großmutter wusste, wie man sie ordentlich zubereitet. Dabei geht es um den ehrlichen Respekt vor dem Tier. Wenn wir das Schwein schon schlachten, um es zu verspeisen, dann versuchen wir uns auch an allem, was das Tier bietet: Zunge, Backe, Ohren, Hirn und Herz lassen sich vorzüglich zubereiten. Wenn Schwein, dann auch Schwanz.
Wir Gastrosexuellen unterscheiden nicht zwischen höher- und minderwertigem Fleisch, wir werfen nichts weg. Und siehe da, sowohl das Kochen als auch das Essen werden interessanter. Warum also nicht mal einen Hahnenkamm-Salat probieren? Wegschmeißen ist keine Lösung. Wenn wir Fleischesser uns ausschließlich für biologisch und regional erzeugte Waren entscheiden und von der Schnauze bis zum Schwanz alles zubereiten, würde das Schlachtaufkommen auch ohne veganfeministische Direktiven deutlich gesenkt werden. Das ist gut für Umwelt, Mensch und Tier - und der Spaß geht auch nicht verloren.
Mein Bruder, der einmal mit dem Fahrrad durch Frankreich gefahren ist und in jedem zweiten Landgasthaus frischen Rinderhoden gegessen hat, durfte mit der Genitalspeise eine ganz besondere Erfahrung machen. Nach dem zehnten Hodengericht bekam er wegen der hohen Hormondosis selbst dicke Eier und musste behandelt werden. Also auch bei diesem Trend ist Vorsicht geboten. Wenn ich daheim Innereien oder Abseitiges aus Haut und Hirn serviere, werde ich keinen Gast nach Hause schicken, der mir sagt: Auf Kalbskopfchips oder Lammlebergrütze möchte ich heute gern verzichten! Denn das gilt für Ernährungstrends und feministische Moden gleichermaßen, dass ihnen eine Tendenz zum Totalitären innewohnt.
Alle Artikel