Ich habe neulich etwas Interessantes festgestellt: Wenn Sie Hitlers „Mein Kampf“ bei Amazon bestellen, können Sie das Buch hinterher mit gelben Sternen bewerten. Erstaunlich, nicht wahr? Noch erstaunlicher ist aber, was passiert, wenn Sie das auf einer Comedy-Bühne erzählen. Erst geht ein Raunen durch den Saal, dann gibt es ein paar Leute, die verzögert lachen, und schließlich gibt es die Leute, die nach dem Auftritt kommen und sagen: „Tolle Show, aber dieser Hitler-Gag ging zu weit. Das war nicht korrekt.“
Nicht korrekt?! Das ist - mal abgesehen davon, dass ich ja nur Tatsachen wiedergegeben habe - der älteste Humorkiller der Welt. Und gleichzeitig der Treibstoff eines jeden Humoristen. Ein guter Gag lebt von der Überraschung, er bricht mit der Erwartung, verlässt die ausgetrampelten Gedankenpfade, spielt mit dem, was wir für normal oder korrekt halten. All das ist Teil der Mechanik eines guten Gags. Und zunächst einmal gilt: Ein guter Gag ist ein guter Gag! Auch wenn er die Grenzen des politisch Korrekten überschreitet.
Der Schweizer Satiriker Andreas Thiel hat es auf den Punkt gebracht, indem er sagte: „Auch ein politisch nicht korrekter Witz funktioniert, wie ein Witz eben funktioniert. Es kann also sein, dass Sie über etwas nicht lachen dürfen, aber müssen.“ Die Frage, ob man über einen zum Beispiel rassistischen Witz lachen soll, findet Thiel „genauso absurd wie die Frage, ob man sterben soll, wenn man zu Unrecht erschossen wird“. Da hat er sehr recht. In der Schweiz teilt man diese Ansicht übrigens nicht ganz. Dort kann Andreas Thiel angeblich nicht mehr auftreten, weil er für „politisch unkorrekt“ gehalten wird. Ich hingegen finde: Natürlich dürfen wir über alles Witze machen - wir müssen sogar!
Gute Comedy ist immer ein Abbild der Gesellschaft
Gute Comedy ist immer ein Abbild der Gesellschaft. Wie frei wir sind, erkennen wir daran, wie frei wir lachen. Und da ist leider die Facebookisierung des Abendlands in vollem Gang: Alles, was uns nicht gefällt, wird entlikt. Wir setzen uns im Digitalen Scheuklappen auf und leben in unserer gefilterten Blase. So haben wir es online gelernt, und so setzen wir es im echten Leben fort. Der Gag dabei: Einige halten diese Blase für ein objektives Abbild der Realität. Dabei ist es in Wahrheit Zensur. Selbstzensur. Sie wollen nicht hören, was ihnen nicht gefällt. Sie wollen es abschalten. Sie wollen im Prinzip das, was der Mensch nach der Show von mir forderte. Aber: Ein Maler sagt auch nicht, ich finde generell die Farbe Blau scheiße, also lasse ich sie weg. Ohne Blau kein Violett, keine interessanten Zwischentöne, keine Ausdifferenzierung, keine Weiterentwicklung. So ist es mit Comedy eben auch. Wir sollten nichts weglassen, wir sollten über alles sprechen, über alles Witze machen, über alles lachen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht für mehr Juden-, Neger-, Schwulen- und Behinderten-Witze - ich bin für mehr gute und schlaue Juden-, Neger-, Schwulen- und Behinderten-Witze. Und ein guter und schlauer Gedanke darf auch grenzwertig sein, im humoristischen wie im politischen Sinn. Auseinandersetzung, Konfrontation, Diskussion: Im besten Fall regt Humor das an. Themen und Denkweisen pauschal zu tabuisieren bringt nichts. Und das gilt im Übrigen generell und nicht nur für Pointen.
Denn wohin es führen kann, wenn in der Gesellschaft der Eindruck entsteht, bestimmte Meinungen dürften nicht geäußert werden, wird am Beispiel der AfD deutlich. „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, hört man oft von deren Politikern und Anhängern. Wie Donald Trump mit seinen mexikanerfeindlichen Sprüchen gerieren sie sich als Verfechter der freien Rede, die gegen die grassierende Political Correctness ankämpfen, und gehen damit auf Wählerfang. Dass es aber lustigerweise recht paradox ist, hemmungslos zu hetzen und gleichzeitig zu behaupten, man dürfe dies und jenes nicht sagen, darüber sprechen sie nicht.
Wenn Sie mich fragen, ist bei uns etwas grundsätzlich durcheinandergeraten. Der Komiker Jan Böhmermann macht einen politisch nicht korrekten Joke, sagt also etwas, das er nicht ernst meint, und bekommt da- für mächtig Ärger. Die AfD-Vizechefin Beatrix von Storch sagt ständig politisch nicht korrekte Sachen, die sie ernst meint, und wird dafür gewählt. Das zeigt: Humor ist in Deutschland eine ernste Sache. Im Gegensatz zur Politik. Ich finde, es wird Zeit, das umzukehren. Sonst werden wir vor inkorrekter politischer Korrektheit noch ganz humorphob. War das jetzt politisch korrekt oder unkorrekt?
Ingmar Stadelmann, 36, ist Stand-up-Comedian und Radiomoderator. Dem Thema „Humorphobie“ hat er ein ganzes Bühnenprogramm gewidmet, mit dem er derzeit durch Deutschland tourt. Alle Termine: ingmarstadelmann.de
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